Dritte zeigt auf, dass ein bisher vorhandener Prozess aufgrund eines neu in Erscheinung tretenden Prozesses ersetzt wird und der bisherige somit nicht mehr notwendig sein wird. Das letztgenannte Szenario wirkt oftmals sehr radikal, weil es gegenüber den anderen beiden Szenarien eine Klarheit offenbart. Doch wer den ersten Schockmoment überwunden hat, wird schnell feststellen, dass dieses Szenario für die Weiterentwicklung eines Unternehmens sehr wichtig ist. Alte Zöpfe abzuschneiden und bestimmte Themen bewusst hinter sich zu lassen, kann sehr befreiend und nicht zuletzt prosperierend wirken.
Die Schwächen und Digitalisierungspotenziale sind jetzt also bekannt. Diese gilt es nun entsprechend zu priorisieren, zum Beispiel, wie in der Abbildung dargestellt, anhand der beiden Faktoren «Auswirkung auf die Strategie» und «Aufwand zur Umsetzung». Werden die Schwächen und Potenziale in die Matrix eingesetzt, ergibt sich schnell und visuell greifbar, welche davon zuerst angegangen werden müssen. Die Punkte im Quadrant oben links müssen umgesetzt werden, daran führt kein Weg vorbei. Diejenigen oben rechts sind im Detail zu betrachten, da der damit einhergehende Aufwand nicht zu unterschätzen ist. Für eine langfristig erfolgreiche Veränderung ist es wichtig, dass unterwegs immer wieder Teil- oder Kleinerfolge erzielt und gefeiert werden können. Dazu dienen die Quick Wins im Quadrant unten links, diese sind auf dem Weg zum eigentlichen Ziel mit relativ geringem Aufwand zu erhaschen. Gefährlich wird es unten rechts, diese Themen sollten vermieden werden. Gegebenenfalls sind darin auch Themen analog dem oben genannten, dritten Szenario zu finden, welche künftig nicht mehr wichtig sind und somit eliminiert werden können.
Die Entscheidung, welche Aspekte des Unternehmens zu digitalisieren sind, ist nun also gefällt. Die erste wichtige Hürde ist somit genommen. Natürlich ist noch nichts umgesetzt, aber es ist zumindest schon mal klar, was anzugehen ist.
Die Notwendigkeit zur Veränderung
Die zweite Hürde der Digitalisierung ist die Veränderung an und für sich. Denn ein sich digitalisierendes Unternehmen wird, wie bei jeder Veränderung, auf Ängste, Unsicherheiten und Widerstände stossen. In Anlehnung an «Leading Change» von John P. Kotter beinhaltet dieser Abschnitt Empfehlungen, die für eine erfolgreiche Veränderung zu beachten sind.
Aus der Perspektive des Unternehmens tauchen oft die folgenden drei Themenbereiche auf:
Sind die notwendigen Kompetenzen und Ressourcen vorhanden?
Werden die Prozesse wirklich besser?
Lohnt sich die Investition effektiv?
Bei den Mitarbeiter*innen sind die möglichen Ängste und Unsicherheiten nicht ökonomisch getrieben, sondern wachsen viel eher aus einer Metaebene heraus:
Kann ich das?
Braucht es mich dann wirklich noch?
Um alle Beteiligten wie auch Betroffenen zu aktivieren und für die Veränderung zu motivieren, muss auf die deren Dringlichkeit aufmerksam gemacht werden. Dazu hilft die zuvor durchgeführte Standortbestimmung, mit welcher klar veranschaulicht werden kann, wieso eine bevorstehende Transformation angegangen werden muss und welche Effekte diese mit sich bringen wird.
Nebst der Veranschaulichung der Dringlichkeit gibt es weitere Faktoren, welche hinsichtlich eines erfolgreichen Wandels beachtet werden müssen. Mit der Ausgangslage einhergehend soll auch gleich auf das Ziel verwiesen werden. Was genau soll durch die Veränderung erreicht werden? Und wie kommt das Unternehmen dahin? Dafür lohnt es sich, für jeden Punkt einen Business Case auszuarbeiten, um dadurch die klassischen W-Fragen – Warum, Wohin, Wie, Wer, Wieviel und Wann – zu beantworten. Entsprechend werden eines oder mehrere interne Projekte initiiert. Pro Projekt ist ein*e klare*r Eigentümer*in zu definieren, welche*r mit Herzblut die Verantwortung für das Projekt übernimmt und natürlich auch mit den entsprechenden Kompetenzen eingedeckt wird.
Der im Business Case ausgearbeitete Plan zur Umsetzung ist schrittweise anzugehen. Obwohl in manchen Projekten die Zeit abhängig von der Dringlichkeit knapp sein mag, ist es wichtig, der Veränderung und den dadurch betroffenen Mitarbeiter*innen die notwendige Zeit zu geben. Die oben erwähnten Ängste und Unsicherheiten können zu Widerständen führen und somit die erfolgreiche Umsetzung gefährden. Um das zu verhindern, müssen die Projekteigentümer*innen die gesamte Belegschaft baldmöglichst in die Umsetzung miteinbeziehen. Dies geschieht durch transparente Kommunikation und bedarfsgerechte Schulung sowie Unterstützung. Transparente Kommunikation kann heissen, dass das Ziel und die bisher erreichten Zwischenziele laufend allen mitgeteilt werden. Auch Herausforderungen und eventuelle Rückschläge sind zu kommunizieren. Zudem muss den Mitarbeiter*innen aufgezeigt werden, dass sie sich zu jeder Zeit auch aktiv mit Fragen und Anregungen einbringen dürfen und sollen. Daher auch die bedarfsgerechte Schulung. Vorherrschende Unsicherheiten und Fragen müssen bilateral oder in Kleinstgruppen angegangen werden, um so detailliert und so oft wie notwendig auf einzelne Anliegen eingehen zu können. Die Mitarbeiter*innen müssen Wertschätzung spüren und deutlich erkennen, dass sie nicht nur während, sondern auch nach der Veränderung fester Bestandteil des Unternehmens sind.
Von der Schockstarre ins Tun
Der oben beschriebene Prozess entspricht letztlich einer klassischen Soll-Ist-Analyse. Dieser Prozess dient als optimale Ausgangslage für eine seriöse Herangehensweise an das durchaus komplexe und umfassende Thema der Digitalisierung. Diese Vorgehensweise ist im Grunde sehr simpel und kann in beliebiger Breite ausgedehnt werden. Zudem bringt die detaillierte Ausarbeitung klare Erkenntnisse und Resultate ans Tageslicht. Nun gilt es diese innerhalb des Unternehmens zu kommunizieren, und schon ist der erste, wichtige Schritt hinsichtlich transparenter Kommunikation gemacht. Das Jetzt und der Weg zum Soll sind bekannt. Der Stein ist ins Rollen gebracht.
2.1 Neues Lernen und Arbeiten
Martin Geisenhainer
Darum geht es
Lernen und Arbeiten bedürfen für einen wirklichen Erfolg in Digitalien tiefgreifender Veränderungen. Dabei wird es nicht genügen, kosmetische Modifikationen vorzunehmen, neue Titel und Stellenbezeichnungen zu verteilen oder alle Mitarbeitenden in einen Teambildungsworkshop zu schicken. Nein, hier werden erhebliche Anpassungen notwendig. Der Text will die wichtigsten Handlungsfelder skizzieren und Empfehlungen für Aktivitäten und mögliche erste Schritte geben.
Es war einmal …
A. ist inhabender Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens und konnte seine Firma bisher gut durch alle Schwierigkeiten manövrieren. Er hatte stets das Ruder fest in der Hand, wusste, wie auf Herausforderungen reagiert werden musste, wie mit Bedrohungen umzugehen war und mit welchen Lösungen auf die Entwicklungen des Marktes und der Technologie geantwortet werden konnte.
Doch das wird zunehmend schwieriger. A bekommt immer weniger den Überblick, hat mehr und mehr das Gefühl, das Verständnis für Zusammenhänge und Abhängigkeiten zu verlieren. Wird sich mit Entscheidungen und Reaktionen je länger, je unsicherer. Was soll er tun? Muss er sich von seiner Rolle als starker, stets entscheidungsfähiger Steuermann verabschieden? Kann er anderen das Ruder überlassen? Wem, und in welchen Situationen?
Wo der Schuh drückt
So wie A. geht es vielen Unternehmer*innen. Die Zeiten, wo Einzelne den Überblick behalten konnten, wo sie Ursachen und Wirkungen zu erkennen (und unterscheiden) wussten, und wo sich klar und eindeutig Antworten und Lösungen dafür fanden, sind mehr und mehr Geschichte. Viele Erkenntnisse aus den Schnittstellen zu Kunden, Lieferanten, Marktpartnern oder Technologiepartnern dringen gar nicht mehr bis nach oben durch. Oder können dort zu wenig beurteilt werden, weil es zu schnell zu viele Entwicklung gibt oder weil die Nähe zum operativen Kontext fehlt.
Snowden hat in seinem Cynefin Framework[1]