Lernen und Arbeiten zu ermöglichen. Nämlich dem Verhalten der Menschen. Viele Unternehmen beschränken sich gerne darauf, weil das nicht so viel Unruhe schafft und irgendwie einfacher zu bewerkstelligen scheint. Zeichen für eine solche Haltung sind beispielsweise die Forderung, dass man die Menschen eben mitnehmen müsse. Oder dass jene lediglich das richtige Mindset entwickeln müssten. Was hierbei gerne vergessen geht ist, dass die mit dem «richtigen» Mindset sich anschliessend an den alten Verhältnissen aufreiben. Mit einem solchen Vorgehen vergeben wir daher nicht nur eine in der Regel eher seltene Chance, sondern verbrennen auch gleich die Menschen, die für Veränderungen empfänglich sind und gerne vorangehen.
Wenn wir also wirksam und nachhaltig das Verhalten der Mitarbeitenden entwickeln wollen, sind zwei Prämissen unerlässlich:
Wir müssen die dafür notwendigen Verhältnisse schaffen.
Wir sollten auf diesen Prozess möglichst wenig Einfluss nehmen.
Allein das stellt die Personalentwicklung vor ein ziemliches Dilemma. Denn Einflussnahme in Lernprozesse ist ja die ureigene Aufgabe aller Schulungs- und Bildungsanbieter. Sie bestimmen die Lernziele, definieren die Inhalte und deren Relevanz, sie geben die Methoden vor, mit denen diese konsumiert werden sollen, und sie kontrollieren den Erfolg dieser Bemühungen. Wenn sie all das nun nicht (mehr) dürfen, was sollen sie denn dann noch tun?
An meiner etwas vorwitzigen Formulierung erkennen Sie schon, dass es ein solches Vorgehen nicht sehr leicht haben wird. Wer würde sich denn auch sehenden Auges überflüssig machen wollen? Dabei ist das ja gar nicht nötig, Schulungsabteilungen in Organisationen müssen sich eben auch transformieren. Sie müssen neue Verantwortlichkeiten und Aufgaben entwickeln, die es den Mitarbeitenden ermöglichen, selber zu lernen, wie sie neu lernen und arbeiten wollen. Denn genau das ist das Vorgehen, mit dem alle Menschen lernen. Wir müssen bloss einen Blick in unsere Kindheit werfen.[4] Bis zur Einschulung lernen Kinder alles, was sie können, indem sie es tun. Sie lesen dazu keine Bücher und lassen sich nicht von Pädagogen leiten. Sie setzen sich selber ihre Ziele, probieren aus, ahmen nach, suchen sich Hilfe, wenn nötig, und lernen aus jedem Scheitern. Haben Sie mal beobachtet, mit welchem Eifer und welcher Motivation sich Kinder bis ins schulpflichtige Alter ihre Welt erschliessen und dabei unglaubliche Entwicklungsschritte machen? Sehen Sie in Ihren Trainingsveranstaltungen auch nur annähernd ähnliche Begeisterung?
Ziele als treibende Kraft
Was sticht im Vergleich von Vorschulkindern mit Menschen in Bildungskontexten oder Organisationen besonders heraus? Es sind die Ziele. Setze ich mir meine Ziele selber, so werde ich die nötige Motivation entwickeln können, mich bis zu deren Erreichung durchzubeissen. Wir sollten also in Organisationen lernen, auf andere Weise mit Zielen umzugehen. Wie wäre es beispielsweise, wenn die Menschen, die lernen und ein gewünschtes Verhalten entwickeln sollen, die zu erreichenden Ziele mindestens mitgestalten könnten? Ich höre schon die Einwände alteingesessener Trainer*innen, wo wir denn hinkämen, wenn sich jeder selber aussuchte, was gerade angenehm sei! Ich formuliere es dahingehend um, dass ich sehr gut selber bestimmen kann, was ich an Wissen und Fertigkeiten brauche. Kein*e Trainer*in oder Vorgesetzte*r kann das für mich übernehmen. Und spätestens an dieser Stelle schliesst sich der Kreis zu den Verhältnissen. Arbeite ich als fremdbestimmtes, willenloses Wesen an Aufgaben, deren Sinnhaftigkeit sich mir nicht erschliesst, so trifft der oben gemachte Einwand ganz sicher zu. Gestalte ich aber meine Ziele und die Art und Weise der Zielerreichung mit, so bin ich die Person, die weiss, was es braucht und wie vorgegangen werden kann. Oder ich hole mir Hilfe.
Gegenseitige Hilfe
Hilfe ist ein gutes Stichwort für zwei weitere Faktoren, die Organisationen beim neuen Lernen und Arbeiten weiter voranbringen können. Dies betrifft einerseits die Personalentwicklung und deren Frage, was sie inskünftig tun sollen, wenn Lehren und Kontrollieren zum Auslaufmodell werden. Richtig, sie können helfen. Also nicht proaktiv, sondern auf Anfrage. Begleitend und nicht verordnend. Sich damit zu Lernbegleiter*innen entwickeln, die bei Bedarf Unterstützung bieten. Methodisch, wenn gewünscht auch didaktisch und wenn möglich auch inhaltlich.
Substanzieller und nachhaltiger ist jedoch die Hilfe, die Menschen in Organisationen[5] gegenseitig leisten können. Indem sie fachlichen und methodischen Austausch zu den Themen pflegen, mit denen sie sich aktuell beschäftigen. Hier geht es also darum, eigenes Wissen zu teilen und von Erfahrungen und Erkenntnissen anderer zu profitieren. Mit anderen Worten: Ein persönliches Lernnetzwerk aufzubauen, mit Menschen, die in ähnlichen Wissensgebieten oder Anwendungskontexten unterwegs sind. Das ist nicht zwingend ein Selbstläufer. Denn zum einen ermutigen Organisationen nicht unbedingt dazu, Wissen zu teilen – wozu nicht zuletzt individuelle Jahresziele einen Beitrag leisten. Zum anderen kommt diese Form der gegenseitigen Lernhilfe in unserer Bildungsbiografie nicht vor, wir haben es also nicht gelernt. Aber dafür gibt es natürlich Möglichkeiten. Eine, die ich besonders empfehlen kann, heisst Working Out Loud[6]. Ein selbstorganisiertes Lernprogramm, in dem vernetztes Lernen dadurch erlernt werden kann, dass man es tut. In kleinen Schritten, in Gruppen von maximal fünf Teilnehmenden und über einen Zeitraum von zwölf Wochen. Allerdings weise ich darauf hin, dass diese Methode nicht verordnet werden sollte. Laden Sie einfach ein, dies auszuprobieren, möglichst bunt über die ganze Organisation zusammengewürfelt und ohne die Vorgesetzten um Erlaubnis zur Teilnahme bitten zu müssen.[7]
Fazit
Möglicherweise war das jetzt alles ein bisschen viel auf einmal. Und vielleicht war die eine oder andere Idee sogar völlig abwegig. Aber keine Sorge, sie müssen ja nicht alles auf einmal umsetzen. Fangen Sie bei der Organisation an. Und wenn Ihnen das glaubwürdig gelingt, dann haben Sie von vielen Menschen bereits die grundsätzliche Bereitschaft gewonnen, sich ebenfalls zu verändern. Und bald schon sind Sie auf dem Weg zu Ihrem Erfolg in Digitalien.
Handlungsempfehlungen
Gewinnen Sie das Management für echte Veränderung. Gegen dessen Willen werden Sie keine Chance haben.
Behaupten Sie nicht, das der angestrebte Wandel nützlich ist, sondern machen Sie den Nutzen für die Betroffenen erlebbar. Das hilft Ihnen dabei, Sog anstelle von Druck zu entwickeln.
Setzen Sie partizipative Methoden für die Gestaltung des Change ein. Wenn die Menschen in Ihrer Organisation mitgestalten können, werden sie die benötigte Energie und Motivation entwickeln.
Werfen Sie nicht gleich die ganze alte Welt über den Haufen, damit überfordern Sie sich, Ihre Mitarbeitenden und Ihre Kunden. Rom ist auch nicht an einem Tag gebaut worden.
1 https://de.wikipedia.org/wiki/Cynefin-Framework ↵
2 https://de.wikipedia.org/wiki/Scrum ↵
3 Es gibt natürlich immer Menschen in Organisationen, die sich über die herrschenden Verhältnisse hinwegsetzen und durchaus in der Lage sind, selbst zu denken und zu handeln. Aber dies wird in der Regel nicht goutiert und erzielt nur in seltenen Fällen Wirkung. ↵
4 Ich weiss, die ist in der Regel schon lange her. Aber vielleicht haben Sie ja eigene Kinder und können sich an deren Kindheit besser erinnern. ↵
5 Übrigens auch organisationsübergreifend. ↵
6 https://workingoutloud.com/ ↵
7 Auf