Thomas Williams

Christmas Bloody Christmas 2


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keine Luft holen. Weil jemand meine Arme festhielt, blieb mir nichts übrig, als um mich zu treten. Dabei wurde ich zu Boden gerissen. Während die Luft knapp wurde und meine Brust zu schmerzen begann, dachte ich an meinen Vater und wie enttäuscht er sein würde. Bei meiner Beerdigung hatte er neben meinem Sarg bestimmt nicht mehr Worte für mich übrig als: »Er war eben ein Loser.« Und dann würde er Monika anmaulen, nicht mit den Gästen zu flirten, während sie in der ersten Reihe auf ihr Handy glotzte.

      Die Schreie und Kampfgeräusche drangen nur noch durch ein immer lauter werdendes Rauschen zu mir durch. Ich sah weiße Punkte vor meinen Augen zerplatzen und mein Herz schlug so heftig, als wollte es mir aus der Brust springen. Ich würde wegen einer albernen Halskette sterben. Für ein Mädchen, von dem ich nicht mal sicher war, ob ich es liebte. Alle meine Freunde hatten schon Freundinnen gehabt. In unserem Alter waren Beziehungen aber meist nur von kurzer Dauer. Warum für so jemanden sein Leben riskieren?

      Plötzlich riss jemand an der Tüte und somit auch an meinem Kopf. Zuerst glaubte ich, es würde sich um meinen Gegner handeln, aber dann verschwand das Plastik und jemand brüllte:

      »Das ist meine! Wie soll ich denn mein Zeug nach Hause tragen, wenn du mir die Tüte klaust?«

      Nach Luft schnappend sah ich, wer versucht hatte, mich zu ersticken.

      Das Mädchen mit den Nasenringen und Ketten sowie eines mit pinken Haaren. Der Mann, der die Tüte an sich gerissen hatte, wollte der Pinkhaarigen eine verpassen, als sie ihm mehrmals hintereinander ihr Klappmesser in den Bauch rammte. Noch ehe er zu Boden ging, wandte sie sich mir zu. Geschwächt, wie ich war, würde ich keine Chance gegen sie haben. Entgegen ihren Vorsätzen wollte sie es schnell machen, stieß mit der blutigen Klinge nach mir und hätte mich ins linke Auge getroffen, wäre da nicht die Verkäuferin gewesen, die hinter dem Tresen hervorgetreten war und den Arm des Mädchens packte.

      Wieder änderte das Licht schlagartig seine Farbe und alles kam zum Stillstand.

      Die einzige Person, die sich noch bewegte, war das pinkhaarige Mädchen, als es verzweifelt versuchte, sich loszureißen. Ich hörte etwas trocken knacken, bevor sie mit einem spitzen Schrei das Messer fallen ließ.

      »Das – ist – ein Regelverstoß«, sagte die Verkäuferin laut. Ihr Lächeln glich jetzt einem Zähnefletschen, ihr Gebiss erinnerte an das eines Raubtiers. »Regelverstöße werden sofort bestraft«, fuhr sie fort.

      Um ihre Schmerzen nicht zu vergrößern, hielt das Mädchen zwar still, schrie aber immer noch wie am Spieß. Erst recht, als sich die anderen Angestellten um sie herum aufbauten und den Umstehenden die Sicht auf das nahmen, was als Nächstes geschah. Die Schreie wurden schriller und von reißenden Geräuschen unterlegt, bevor sie abrupt verstummten. Blut klatschte auf die Schuhe der Verkäufer, die sich daran nicht weiter störten. Als sie sich schließlich umdrehten, hielt jeder von ihnen einen Arm, ein Bein oder den Kopf des Mädchens in den Händen.

      In aller Seelenruhe kehrten sie auf ihren Platz zurück, verstauten die abgerissenen Körperteile hinter dem Tresen, wo die Kundschaft sie nicht mehr sehen konnte, und warteten genau vier Sekunden. Dann wurde das Licht wieder weiß, die Musik kehrte zurück und die Verkäuferin von gerade eben sah mich an.

      »Entschuldige, wir sind unterbrochen worden. Du hattest Interesse an einer Halskette, glaube ich«, sagte sie, während um uns herum Stille herrschte.

      Mein Hals schmerzte so sehr, dass ich kaum einen Ton herausbekam, aber dennoch sagte ich mit heiserer Stimme:

      »Ja, sie soll für meine Freundin sein.«

      »Das ist aber schön«, erwiderte die Frau lächelnd.

      Irgendwo hinter mir schrie jemand und sofort gingen die unterbrochenen Kämpfe weiter. Damit es schnell ging, zeigte ich auf die erstbeste Halskette und rief:

      »Die nehme ich.«

      »Soll ich sie als Geschenk einpacken?«

      Weil das zu lange dauern würde, antwortete ich:

      »Auf gar keinen Fall!«

      »Gut, dann sind das bitte einhundert Euro und neunundneunzig Cent.«

      Ich legte das Geld auf den Tresen und verzichtete auf das Wechselgeld, um mit der Halskette unter meiner Jacke aus dem Geschäft zu fliehen. Natürlich versuchte man, mich daran zu hindern. Hände griffen nach mir, zerrten an meiner Kleidung und an meinem Helm, den ich löste, um mich aus einem der Griffe befreien zu können. Kaum war die Kette sicher in einer Innentasche meiner Jacke verstaut, schlug und trat ich um mich. Vielleicht war es das Wissen, diesen Wahnsinn hinter mir lassen zu können, aber ich kämpfte plötzlich noch verbissener, bekam zwar auch wieder einiges ab, doch genau wie mein Vater schien ich gut was einstecken zu können. Der Schmerz trieb mich dazu, selber noch fester zuzuschlagen. Und es gefiel mir, zu sehen, wie mein Kontrahent zu entkommen versuchte. Es stachelte mich regelrecht an, ihm nachzulaufen, obwohl ich hätte nach Hause gehen können. Aber dieser Typ sollte noch ein paar von mir verpasst bekommen. Ich jagte ihn den Gang entlang, verfolgte ihn in eines der umliegenden Geschäfte, wo er offensichtlich nach einem Versteck oder einer Safe-Zone Ausschau hielt. Aber dann war ich schon auf ihm drauf, klammerte mich an ihm fest und biss in sein Ohr. Schreiend drehte er sich im Kreis und wollte mich abwerfen, da riss ich ihm ein Stück von seinem Ohr ab und spuckte es angewidert aus.

      Als er brüllend vor Schmerz nach der Wunde tastete, stach ich ihm meine Daumen in die Augen und trieb sie mit aller Kraft tiefer in die Höhlen, aber da erwischte mich seine Faust auf dem Mund. Meine Lippen platzten auf. Blut und Speichel spuckend, stolperte ich in einen Kleiderständer. Zwei Frauen mussten glauben, dass ich ihnen etwas wegkaufen wollte und begannen, nun auf mich einzuprügeln. Ganz wie mein Vater entschloss ich mich, ihnen nicht wehzutun und ertrug die Prügel. Sie war ohnehin nur von kurzer Dauer, da die Frauen sich wieder den Artikeln zuwandten.

      Ich blieb noch einen Moment liegen, schnappte nach Luft und lachte schließlich. All das wegen einer beschissenen Halskette? Aber es hatte tatsächlich Spaß gemacht. Ich glaubte, meinen Vater zu verstehen, freute mich darauf, ihm von dem Kerl zu erzählen, der wegen mir jetzt bei jedem Blick in den Spiegel und auf seine Ohren an mich denken würde.

      »Chriftmaf Prawl ift fuper!«, sagte ich zu mir selber und lachte über meine komische Aussprache.

      Unter Schmerzen aber äußerst zufrieden stand ich auf, sah mich nach links und rechts um, wo das Chaos tobte. Blutend und erschöpft standen Menschen in Warteschlangen vor den Kassen, ruhten sich aus, bevor sie weitermachen mussten. Nur, damit ihre Liebsten am nächsten Tag etwas Schönes auspacken konnten. Man sollte meinen, dass es an Weihnachten Wichtigeres gab als das. Irgendwann musste es mal eine Bedeutung für dieses Fest gegeben haben, aber die hatten wir wohl vergessen. Fürs Erste war es mir auch egal. Ich hatte bekommen, was ich wollte, und würde meinen Vater stolz machen, wenn er nach Hause kam.

      Also machte ich mich auf den Heimweg. Da mir offenbar niemand ansah, was sich Wertvolles unter meiner Kleidung befand, ließ man mich in Ruhe. Lediglich zwei gleichaltrige Jungs aus der Nebenklasse musste ich verprügeln, und das auch nur, weil ich sie nicht mochte.

      Mein erstes richtiges Weihnachten war ein voller Erfolg.

      ßXV

      Zwanzig Jahre später:

      »Und hier hat einer versucht, mich mit einem Kleiderhaken aufzuschlitzen«, sagte ich stolz und zeigte auf die zehn Zentimeter lange Narbe an meinem Bauch. Meine Freunde und Kollegen nickten anerkennend. Olaf wollte gerade etwas zu einer Brandnarbe in seinem Gesicht sagen, als die jährliche Ansage vorm Christmas Brawl aus den Lautsprechern begann.

      Andächtig hörten wir zu. Mein Vater wäre stolz auf mich gewesen, hätte er all die Narben an meinem Körper und den Stumpf gesehen, der einmal mein rechter Daumen gewesen war. Links war ich fast blind und taub, aber das störte mich kaum. Es war ein wundervolles Andenken an den Christmas Brawl vor elf Jahren. Mein Vater war während des Brawls vor sechs Jahren gestorben, aber ich hatte nie um ihn getrauert, denn das hätte er nicht gewollt. Er war bei seiner Lieblingsbeschäftigung gestorben. Mit einer Grillgabel in der Luftröhre.

      Während sich das Tor öffnete und die