Joe Martin

Buchreihe:Respekt - Wirtschaft -


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alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen“, sagte der FDP-Vorsitzende Lindner der „Bild am Sonntag“ und fügte hinzu: „Das ist eine Sache für Profis.“

       Der Vorsitzende der deutschen FDP findet, dass Kindern und Jugendlichen der Raubtier-Instinkt fehlt. Sie sind noch nicht alt genug, um die Welt zu verstehen. Sie sollen erst einmal Ökonomie studieren, also lernen, wie unser Wirtschaftssystem funktioniert, um zu verstehen, wie die Weltwirtschaft sich in den letzten Jahren verzahnt hat und wo die Grenzen des technisch machbaren sind. Sie kennen doch noch nicht die Idee von Unter-unter-unter-Firmen und wie man mit Lobbyismus Geld verdienen kann. Vorher denn auch?

      Die Grenzen des Machbaren sind fließend

       Nun, darauf kann man nur antworten, dass die Grenzen des Machbaren in der Wirtschaft jederzeit durch eine bessere Wirtschaftsordnung verschoben werden können. Zum Beispiel durch einen Kapitalismus mit Herz, für den ich mit diesem Respektbuch plädiere. Die globalen Zusammenhänge sind nichts anderes als Menschen-gemachte Systeme, die deswegen nicht gut sein müssen und zu denen es eine Menge Alternativen gibt.

       Nichts in der Wirtschaft ist in Stein gemeißelt und selbst wenn, dann verfügen wir heute über genügend Technologie, um Steine auf verschiedene Arten zu zertrümmern und zu verkleinern. Mit dem technisch Sinnvollen können wir ganze Berge abtragen, zerkleinern und damit Häuser bauen, Straßen betonieren und Deiche aufstellen.

       Letzteres wird auch immer dringender nötig, denn durch den rücksichtslosen Verbrauch der Umwelt und der Natur sind in den kommenden Jahren ganze Landstriche durch Überflutung bedroht. Warum? Weil die Turbokapitalisten, die radikalen Liberalen und Neoliberalen eine Wirtschaftsordnung fordern, in der die Märkte die Macht haben. Ein Wirtschaftssystem, in dem der Stärkere gewinnt.

      Massive Indoktrination

       Um die Perversion dieses Systems zu verstehen, bedarf es eines längeren Studiums und einiger Erfahrung oder zumindest massiver Indoktrination. Bevor die Kinder und Jugendlichen also ihrem Herzen folgen und ihrem Gefühl für gut und böse, sollen sie sich bitte noch ein bisschen dem Einfluss des Systems unterziehen. Sie sollen doch bitte ihren Verstand und ihren Intellekt erst einmal abschalten, bis unsere Schulen und Universitäten genügend Zeit hatten, ihnen einseitig die freie oder die sogenannte soziale Marktwirtschaft zu erläutern. Die ist alternativlos und das müssen die Kinder und Jugendlichen verstehen.

       Die Geschichte der Menschheit ist voller Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen und der Kapitalismus ist das momentane Format, mit dem die Menschen in den meisten Länder dieser Welt konfrontiert sind. Das ist noch nicht lange so, denn noch vor ca. 30 Jahren herrschten in Osteuropa und in der Sowjetunion der Staatssozialismus vor. Der Staat regelte in diesem System die Wirtschaft. Ohne Erfolg, denn leider ist der Staat ein sehr schlechter Unternehmer.

      Sozialismus und Kommunismus sind Rohrkrepierer

       Der Sozialismus und noch viel schlimmer, der Kommunismus, sind definitiv nicht geeignet, eine Gesellschaft auf Dauer effizient und nachhaltig mit allen notwendigen Gütern zu versorgen und damit die ein glückliches, zufriedenes und gesundes Leben für alle zu ermöglichen. Seit ca. 1990 kann man das kommunistisch-sozialistische Experiment definitiv als gescheitert betrachten und ad acta legen.

       Lediglich ein paar Diktatoren halten heutzutage noch daran fest und glauben immer noch an die eierlegende Wollmilchsau. Ein genauer Blick hinter die Fassaden des Sozialismus in Kuba, Nord Korea und Venezuela zeigt, dass es dort auch nur noch zulasten der Bevölkerung geht und die herrschende Elite sich nur mit Gewalt und mithilfe des korrupten Militärs an der Macht halten kann. In China ist es mit der Freiheit der Bevölkerung auch nicht so weit her und durch die Überwachung mit modernen Videoanalysen und Gesichtserkennung wird es auch nicht besser.

       Kommunismus und Sozialismus kann man also getrost abhaken, so wie auch die Feudalherrschaft oder die Monarchie. Jedwede faschistische Diktatur sowieso.

      Der Kapitalismus gewinnt!

       Es bleibt also der Kapitalismus und der gewinnt. Das kann man genauso sagen und das ist auch gut so. Die Frage ist natürlich, welcher Kapitalismus? Das ist nämlich die Gretchenfrage.

       Wenn du jetzt verwirrt bist, weil du dachtest, dass Kapitalismus gleich Kapitalismus ist, dann hast du wahrscheinlich noch nie darüber nachgedacht, warum der Kapitalismus sich in einigen Ländern mehr um arme und schwache Menschen kümmert, wie zum Beispiel in vielen europäischen Ländern, während in anderen, wie in den USA, Arme und Schwache sich weitestgehend selbst überlassen werden.

      Kapitalismus ist nicht gleich Kapitalismus

       Es gibt eben den unregulierten und wilden Kapitalismus und den etwas mehr eingeschränkten. Diesen eingezäumten Kapitalismus nutzen wir in Europa, wobei er in immer größerem Maße freigelassen wird und werden soll. Das ist das erklärte Ziel der FDP und auch der CDU/CSU.

       Nicht ganz frei bis zum erlaubten Organhandel, aber doch sehr viel freier als bisher. In den vergangenen Jahren wurden schon viele Beschränkungen entsprechend aufgehoben, wobei die Lobbyisten der Banken und der Konzerne unermüdlich daran arbeiten, dass immer mehr möglich wird. Ganz anders in den USA, wo der Kapitalismus schon wesentlich intensiver tobt. Mit Erfolg, wie man sehen kann. Also mit Erfolg für die Elite und zum Nachteil der meisten.

       Immerhin verdreifachte sich seit Mitte der 1970er-Jahre bis 2017 das sogenannte Bruttosozialprodukt, das BIP, in den USA. Das Bruttosozialprodukt ist ein archaisches Model, das gerne genutzt wird, um den Reichtum eines Landes darzustellen. Politiker und ganze Volkswirtschaften orientieren sich an diesem BIP.

      Das Bruttosozialprodukt, das BIP

       Das Bruttosozialprodukt ist die Gesamtmenge aller Waren und Dienstleistungen, die eine Volkswirtschaft, also ein Land produziert. Wenn das BIP steigt, dann spricht man von Wirtschaftswachstum. Wirtschaftswachstum soll gut sein. Alternativlos, so sagt man. Das muss gewährleistet werden. Das ist natürlich dummes Zeug, wie du in diesem Respektbuch sehen wirst, aber dazu später mehr.

       Das Bruttosozialprodukt ist eine der seltsamsten Blüten des Casinoskapitalismus. Und das aus verschiedenen Gründen. Zum einen ist die Zusammenstellung, was zum BIP beiträgt und was nicht, irgendwie willkürlich. Die Regeln werden von sogenannten Wirtschaftsfachleuten zusammengestellt, die natürlich irgendwelchen Interessen folgen und dafür sorgen, dass es der Industrie, der Wirtschaft und den Banken gut geht. Keiner beißt die Hand, die ihn füttert.

       Diese Regeln besagen zum Beispiel auch, dass Mütter die Kinder umsonst erziehen müssen. Mütterliche Erziehung und Pflege bereichern das BIP nicht. Auch freiwillige Leistungen in Vereinen oder bei Verbänden, die freiwillige Arbeit bei den Tafeln und ähnlichen Organisationen bereichern das BIP nicht. Ein Krieg hingegen würde das BIP erhöhen, denn wenn Waffen produziert werden, dann sind das Waren, die eine Volkswirtschaft produziert und verkauft.

       Alleine an diesem kurzem Beispiel erkennst du, dass das Bruttosozialprodukt und auch das Wort Wirtschaftswachstum schön klingen, aber irgendwie auch nur willkürlich berechnete Zahlen sind, die leicht verändert und manipuliert werden können.

      Das BIP und die Inflation sind Augenwischerei

       Genauso wie übrigens auch die sogenannte Inflation, die aus der Preisveränderung eines definierten Warenkorbs, der ihr zugrunde liegt, berechnet wird. Genau wie beim BIP kann der aber Produkte beinhalten, die mehr oder weniger stark im Preis steigen oder fallen und wird schon mal nach Bedarf angepasst. Dazu ein einfaches Beispiel: Wie hoch wäre die Inflation, also die Preissteigerung, in Deutschland wohl, wenn man die Mietsteigerung oder die Immobilienpreise mitberücksichtigen würde? Immer noch unter 2 % pro Jahr, wie die Politik angibt?

       Aber auch hier sind es die Wirtschaftsfachleute, die diesen Warenkorb definieren und diese Wirtschaftsfachleute folgen natürlich irgendwelchen Interessen, oft genug den Interessen der Lobbyisten, die von der Industrie und den Banken bezahlt werden. Auch hier gilt, man beißt doch nicht in die Hand, die einen füttert. Schon gar nicht, wenn man selbst dadurch seinen eigenen Warenkorb mit ganz anderen Produkten füllen kann als der gemeine Bürger, der bei Discountern einkaufen muss, um über die Runden zu kommen.