Joe Martin

Buchreihe:Respekt - Wirtschaft -


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USA, gemessen am BIP, ein: „Zwischen 1975 und 2017 verdreifachte sich in den USA das reale Bruttosozialprodukt … von 5.49 Billionen auf 17.29 Billionen Dollar. In diesem Zeitraum stieg die Produktivität um etwa 60 Prozent. Der reale Stundenlohn der Mehrzahl der Amerikaner stagnierte jedoch von 1979 an, wenn er nicht gar sank.“

       Das scheint ein Missverhältnis zu sein und deshalb kommt sie zu der Konklusion, dass eine winzige Elite nahezu alle Gewinne aus diesem Wirtschaftswachstum einstreicht. Sie schließt den ersten Absatz ihres empfehlenswerten Buchs mit der folgenden faszinierenden Frage ab: „Sollte das daran liegen, dass diese Elite aus besonders produktiven Mitgliedern der Gesellschaft besteht?“

      Manche leisten Ungeheuerliches

       Das scheint sehr unwahrscheinlich, auch wenn die Daten es nahelegen. Obwohl wir uns wieder in der gleichen Situation wiederfinden wie zuvor, in der der normal Arbeitende ca. 5 Millionen Jahre arbeiten muss, um so reich zu werden, wie einer der momentan reichsten Männer der Welt. Wieder klafft zwischen dem Reichen und dem Durchschnittsmenschen eine riesige Lücke. Dieses Mal eine Produktivitätslücke.

       Vielleicht ist es aber auch nur der Unterschied in der Deutung des Worts produktiv? Warum ist das überhaupt wichtig? Ist der Gewinn aus Aktienanlagen produktiv? Oder sollten wir nur von Produktion und sprechen, wenn der Bauer die Kartoffel aus der Erde holt oder eine Firma ein neues Auto gebaut hat? Oder ist das eigentlich sowieso egal?

       Sollten nicht andere Kennzahlen eine Rolle spielen, wie zum Beispiel die Zahl der Armen in einem Land oder die Zahl der Obdachlosen? Diese Zahlen zählen nicht zum BIP. Diese und viele andere Zahlen zählen nicht im Casinokapitalimus. Aber es gibt Unterschiede zwischen Kapitalismus und Kapitalismus.

      Das Gesetz des Stärkeren

       Um diese Unterschiede geht es mir in diesem Respektbuch. Der ungezügelte, unregulierte Raubtier- und Casinokapitalimus, der nichts anderem folgt als dem Gesetz des Stärkeren, führt zu Ungleichheit in einem ungesunden Maß. Wenn die Vermögensverteilung zu extrem wird, geht es zu vielen in der Bevölkerung schlecht. Je schlechter es ihnen geht, desto unzufriedener werden sie.

       Wenn du Tag und Nacht schuftest und trotzdem am Ende des Geldes noch viel Monat übrig bleibt, dann ist das auf Dauer frustrierend. Das kann dann nur noch übertroffen werden, wenn dein Chef dich für deine Arbeit lobt und sagt: „Sie sind ein wertvoller Mitarbeiter und durch Sie verdient die Firma viel Geld. Machen Sie bitte weiter so, denn dann kann ich mir schon nächstes Jahr wieder einen neuen Sportwagen anschaffen.“ Gefolgt von einem Schulterklopfen.

       Das ist natürlich auch wieder eine übertriebene Satire und hat keinen Bezug zur Wirklichkeit. Keine Satire ist es, dass ein Zehntel der Bevölkerung, rund 67 %, also zwei Drittel von allem, besitzen.

       Das hat natürlich nichts mit deiner Arbeitsleistung für deinen Boss zu tun, denn das Geld verdienen die Reichen ja nicht durch deine Arbeit, sondern durch die Spekulation an den Kapitalmärkten. Durch Aktien, Anleihen und Hedgefonds. Das können sie, weil ihnen der Zugang zu diesen Spekulationen möglich ist und weil sie, im Gegensatz zu dir, genügend Zeit, Kontakte und vor allen Dingen Geld haben, um in dem Restmonat – der nach dem Ende deines Geldes – ihr Geld noch spekulativ und gewinnbringend einzusetzen.

       Das alles in einem Finanzcasino, dem die Politik immer mehr Türen geöffnet hat und für den seit 40 Jahren die Regeln immer weiter gelockert werden. Und das war jetzt gar nicht mehr satirisch gemeint.

      Der Kapitalismus ist die beste Wirtschaftsform

       Ich bin nicht gegen den Kapitalismus. Im Gegenteil. Ich glaube, dass es die beste Wirtschaftsform ist, die unserer Gesellschaft den größten Vorteil bringt und vor allen Dingen dafür sorgen kann, dass wir weiterhin in einer Demokratie leben können. Kapitalismus bedeutet auch, gegenüber den sonstigen Herrschaftsformen wie Diktaturen oder auch Monarchien, für alle Freiheit und Recht. Das dürfen wir nicht verspielen, zu viele Menschen sind in den vergangenen Jahrhunderten im Kampf dafür gestorben.

       Leider schürt der Raubtierkapitalismus aber das Feuer der Diktatur, des Geldes und der damit verbundenen Ungleichheit und Unfreiheit. Der Raubtierkapitalismus pervertiert Demokratie, Freiheit und zerstört unsere Natur und damit die Grundlage unseres Lebens, indem er die Umwelt so beschädigt, dass wir bald keine Umwelt mehr haben. Dann gibt es auch keinen sicheren Lebensraum mehr und vielleicht auch nicht mehr genug zu essen und trinken für alle. Die Konsequenzen kannst du dir leicht selbst ausmalen, ich will keine Weltuntergangsstimmung verbreiten.

      Die Unzufriedenheit wächst

       Man sieht heute schon wie die Unzufriedenheit wächst, wie Verschwörungstheorien und rechte, faschistische Vereine und Parteien Zulauf erhalten. Immer mehr Menschen protestieren durch Aufruf zu Gewalt gegen den Staat, Gewalt gegen bestimmte Politiker und immer mehr Menschen stören den sozialen Frieden. Das ist ein Zeichen von mangelndem, beziehungsweise erodierendem Respekt gegenüber Menschen, dem Tierwohl und der Umwelt. Mangelnder Respekt, der von der Jagd nach mehr Kohle, nach noch mehr Schotter, Penunzen und Kröten – nämlich Geld – mehr und mehr und bald ganz verschwindet.

       Wenn es uns nicht gelingt den Raubtierkapitalismus zu bändigen und einen Kapitalismus mit Herz zur Richtlinie zu machen, dann wird diese Erosion zu mehr Unzufriedenheit, zu mehr Ungleichheit und zuletzt zu sozialem Unfrieden und einer zerstörten Umwelt führen.

       Deshalb plädiere ich in diesen Kapitel definitiv für den Kapitalismus, aber einen Kapitalismus mit Herz.

      Was ist „Kapitalismus mit Herz“?

       Was hat das Wort „Herz“ in diesem Zusammenhang für eine Bedeutung? Nun, man kann es für die, die es nicht intuitiv verstehen, auch einen Kapitalismus mit Leitplanken nennen. Leitplanken, die den Kapitalismus einzäunen und dafür sorgen, dass Profite nur ein Teil der Lösung sind, aber nicht das ultimative Ziel.

       Gerade die Corona-Pandemie 2020 hat gezeigt, dass alles Geld der Welt und die Jagd nach dem Profit für einen Virus keine Bedeutung haben. Das Virus hat sich nicht darum geschert, ob ein Infizierter reich oder arm ist. Es hat einfach einen biologischen Wirt mit bestimmter chemisch biologischer Zusammensetzung benötigt, um seinerseits zu „überleben“ und um sich zu vermehren. Dieser Wirt waren nun mal Menschen und nicht wie bei früheren und anderen Viren ein anderes Tier, ein Schwein oder ein Rind.

       Was wir aber auch erleben mussten, war, dass auch wenn das Virus keinen Unterschied macht, die Lebensumstände des Einzelnen einen großen Unterscheid ausmachen. Arme Menschen sind alleine durch die Lebensumstände einem sehr viel höherem Infektionsrisiko ausgesetzt als reichere. Arme Menschen leben enger zusammen, was eine Infektion begünstigt.

      Arme Menschen haben weniger Überlebenschancen

       Arme Menschen sind in der Regel schlechter ernährt und verfügen auch dadurch über ein schwächeres Immunsystem und können dem Virus weniger entgegensetzen. Ärmere Menschen müssen unter riskanten Bedingungen arbeiten, weil sie über keinerlei Reserven verfügen, um ein paar Wochen oder Monate in Quarantäne zu leben. All dies zeugt von einer riesigen Ungleichheit gegenüber einer Bedrohung durch eine unsichtbare Gefahr für Leib und Leben.

       Ärmere Menschen erhalten auch keine perfekte Behandlung, vielleicht können sie gar kein Krankenhaus aufsuchen, weil sie es sich nicht leisten können. Sie sterben dann einfach zu Hause, weil sie nicht beatmet werden.

       Der US-Präsident hat das vorgeführt. Er erkrankte am Virus, wurde in dem besten Hospital in den USA von den besten Ärzten und mit den besten Methoden behandelt und überlebte. Seine Lüge, dass alle Menschen in den USA mit den besten Methoden behandelt werden würden, glaubte wohl keiner, der ein bisschen Verstand hat.

       Ärmere Menschen, die kein Geld und keine entsprechende Krankenversicherung haben, sterben immer noch durch das Virus.

      Eine unfaire Wirtschaftsordnung

       All das ist ein direktes Resultat einer unfairen Wirtschaftsordnung, die als frei und demokratisch angepriesen wird. Sie ist aber nichts anderes als eine Politik, in der der Stärkere überlebt, zulasten der Schwächeren. Das gilt es zu ändern. Dringend. Schnell. Nachhaltig.

       Wir stehen