Gesicht.
So verging fast eine Stunde, in der Undine eisern schwieg, ihre Schokolade nippte und lieber den Schlosspark in seiner farbenfrohen Blumenvielfalt als den Unbekannten betrachtete. Und so gab sich Eichendorff notgedrungen mit Botfeld zufrieden, beide kamen nach all den vorangegangenen Botfelds schnell wieder auf die Universität und das Gewühl der zwölfhundert Studenten zu sprechen und begründeten bei bitterem Merseburger Schwarzbier, von dem Eichendorff schon in Halle gehört hatte, ein freundschaftliches Verhältnis. Pfeife rauchend ließen sie den späten Nachmittag ausklingen. Bei der Verabschiedung schließlich, die vonseiten der Geschwister von Botfeld ähnlich wie die Begrüßung unterschiedlich herzlich ausfiel, lud Botfeld Eichendorff dringlichst für den nächsten Samstag auf eines der familiären Güter im nahen Geusau ein, was dieser dankend annahm.
Auf dem Heimweg nach Halle hatte Eichendorff genug Zeit, um über das Erlebte nachzudenken und sich Kommendes auszumalen, wobei sich immer wieder das Antlitz Undines in seine Gedanken schlich. Dabei hatte Botfeld nicht einmal erwähnt, ob Undine überhaupt in Geusau sein würde, es gab also keinerlei Gründe für Eichendorff, irgendetwas zu hoffen. Vor allem, wo sich Undine ihm gegenüber so reserviert verhalten hatte. Seufzend kam Eichendorff zu dem Schluss, dass die Frauen des Merseburger Landes geheimnisvoll, aber auch furchtbar kompliziert seien.
III.
Es begann bereits zu dämmern, als Eichendorff endlich durch das Rannische Tor Halle erreichte. Nachdem er nahe der Stadtmauer die gemietete Stute zurückgegeben hatte, beeilte er sich, zum Domplatz zu gelangen, wo er und sein Bruder in der Residenz Quartier bezogen hatten. Sicher wartete Wilhelm schon auf den Jüngeren, denn durch die unerwartete Bekanntschaft mit den Botfelds hatte sich sein Aufenthalt in Merseburg erheblich verlängert.
Als er aber die Residenz erreichte, fand er beide Stuben leer. Wilhelm war, wie eine Notiz verriet, mit einigen Verbindungsstudenten ausgegangen. Eichendorff vermutete die Freunde in der Goldenen Rose oder einer Kaschemme in der Kleinen Ulrichstraße. Sie würden dort zechen, bis Wilhelm weit nach Mitternacht von Kommilitonen gestützt nach Hause kommen würde. Er vertrug nicht viel, hatte es noch nie getan. Doch er kannte seine Grenzen nicht, war ausgelassen und auch ein wenig prahlerisch, sodass er den anderen in nichts nachstehen wollte.
Eichendorff war es ganz recht, dass er allein geblieben war, und er verspürte auch kaum Lust, nach den anderen in den zahlreichen Wirtshäusern der Stadt zu suchen. Er fühlte sich viel eher in einer rätselhaft romantischen Stimmung und genoss die Einsamkeit, in der er sich befand. Von Anfang an hatte er sich in der Neuen Residenz aufgehoben gefühlt, vielleicht weil es die einzige katholische Glaubensinsel in einem Meer des Protestantismus war. Hier hatte die durch die in Halle stationierten, altgläubigen Garnisonssoldaten um einiges angewachsene Gemeinde Unterschlupf gefunden, in den Flügelsälen des Gebäudes wurden das tägliche Abendlob und die sonntäglichen Messen abgehalten. Da vor Kurzem zu allem Unglück das Pfarrhaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite niedergebrannt war, wohnte nun auch das gesamte Gemeindepersonal in der Residenz, sodass zu allen Tageszeiten fromme Gesänge einzelner Stimmen oder kleiner Chöre aus dem Hof zu Eichendorffs Fenster klangen. So hörte er auch in diesem Moment einen Mann vor sich hin summen und erkannte in der einbrechenden Dunkelheit den kahlen Kopf des Subdiakons, bei dem die Eichendorffs ihre Stuben angemietet hatten und der sich nun auf dem Weg zu der kleinen Kapelle befand. Eichendorff sah dem Kirchendiener nach, bis dieser aus seinem Blickfeld verschwand. Dann machte auch er sich auf. In Gedanken verloren verließ Eichendorff die Residenz, flanierte über den Domplatz und kehrte in ein kleines Wirtshaus in der Klausstraße ein. Dort nahm er ein bescheidenes Abendbrot zu sich, verstärkte mit Rotwein sein melancholisches Gemüt und ging bald, da es ihm zu laut in dem Saal wurde, wieder zurück auf die dunkle Straße. Er hätte Jakob Schöpp, seinen treuen Diener und Gefährten, mitnehmen können, so wie er es sonst beinahe jeden Abend tat. Doch ihm war nicht nach einer Begleitung, er wollte allein sein.
Ihm ging die Rothaarige nicht aus dem Kopf, Undine von Botfeld. Warum hatte sie ihm nicht das geringste Interesse entgegengebracht? Er hätte sie gern verschmäht für ihr ablehnendes Verhalten, doch sah er ihr Gesicht, ihre Augen so klar vor sich, dass er es nicht über das Herz brachte, sie, die er kaum kannte, so streng zu verurteilen. Was war geschehen, hatte sie ihn in diesem kurzen Augenblick verzaubert? Oder hatte sie ihn unabsichtlich eingefangen? Ein wehmütiges Lächeln trat auf Eichendorffs Lippen. Sein Vater würde ihn mit einem nachsichtigen Blick bedenken, Wilhelm würde Scherze reißen. Der Seppel hat sich in eine kleine Minke vernarrt, alberne Gefühlsduselei. Der Vater, der ehrenwerte Freiherr Adolf Theodor Rudolf von Eichendorff, war ein kühler Kopf, der mit schmalem, doch verdientem Profit die Familiengüter verwaltete. Den klaren Verstand und den Sinn für die Wirtschaft hatte er an Wilhelm vererbt, beiden blieb Eichendorffs sensibles Empfinden der Poesie verschlossen, und auch wenn Wilhelm jetzt in Halle einige Vorlesungen der Geisteswissenschaft besuchte, so doch nur, weil er fest daran glaubte, durch sie eine mögliche Erklärung für die sich wandelnde Gesellschaft und deren Wirtschaftskraft zu entdecken. Doch über mehr als eine geringfügige musische Laune, die er im Privaten pflegte und in allen öffentlichen Angelegenheiten vollkommen verbarg, verfügte Wilhelm nicht. Sicher würde er, der Ältere, den geschickteren Gutsherrn abgeben. Ihm würde es gelingen, die Stellung der Eichendorffs im Oberschlesischen fester abzusichern und ganz im Interesse des Vaters das elterliche Erbe zusammenzuhalten und sogar zu vermehren. Der Jüngere hingegen bliebe ja doch der kindlichen Kurzweil verhaftet und könnte höchstens bewahren, was der Vater ihm eines Tages hinterlassen würde.
Eichendorff wanderte durch die nächtliche Stadt, durch das untere Steintor, bis er zu dem Martinsberg gelangt war und in dessen Nähe den düsteren Stadtgottesacker betrat. Nein, er war nicht verliebt, er fühlte nicht die begehrende Unruhe in sich wie damals, erstmals und bislang zum einzigen Mal, in Breslau, in den Armen der Caroline Pitsch. Wenn er an Undine dachte, so doch nur, weil sie ihm ein Mysterium war, das nicht preisgeben wollte, was es in sich verborgen hielt. Er wollte ihr nahe sein, ohne sie zu lieben. Er wollte sie kennenlernen, doch auf eine Weise, wie sonst niemand Undine kannte. Aber war dieser Wunsch nicht doch ein stilles Zeichen der noch jungen Verliebtheit? Von Sehnsucht gepackt, setzte sich Eichendorff auf eine der hölzernen Bänke, die die Grabzeilen des Friedhofs umrahmten, und blickte auf die Stadt hinab.
Was hatte Botfeld ihm gesagt? Am Sonnabend sei eine Entenjagd und er herzlich dazu eingeladen, auf dem Gut zu übernachten. Von Merseburg aus würde ein verstaubter und gewundener Weg nach Geusau hinausführen, vorbei an Atzendorf und durch ein teils sumpfiges, lichtes Waldland. Wo aber wohnte Botfeld während des Studiums in Halle? Eichendorff war es entfallen, oder hatte er gar nicht danach gefragt?
Schuld an seinen verwirrten Gedanken musste die Neuheit der kleinen, doch heftig pulsierenden Stadt Halle sein, ihr buntes Markttreiben, die Enge der oft mit Grasnarben bewachsenen Gassen, vor allem aber der neblige Dunst, der aus den Salzkoten im Tal aufstieg und sich mit seiner Bitterkeit weit über die Ränder der Stadt als übler und widerlicher Gestank ausbreitete. Dazu kam der Wirrwarr der jungen Universität, an der die Größen der Zeit lehrten und die Sprosse zahlreicher Adelsfamilien studierten, all die verschiedenen Burschenschaften mit ihren Farben und Trachten, ihren Ansichten und Parolen. Kurz, die Stadt war ein fantastisches Durcheinander von Sinneseindrücken, die Eichendorff aufwühlten, sodass er sich nur allzu bewusst war, dass das Bild, das er sich von Undine ausmalte, wesentlich aus Illusionen und Fantasterei bestand. Aber gerade dies machte ihn so neugierig auf die Wirklichkeit hinter der Maske aus seinen Gespinsten und ihrer reservierten Höflichkeit.
Ein frischer Wind fuhr dem in seine trüben Gedanken versunkenen Mann durch die Kleider und er begann zu frösteln. Es würde Zeit für den Heimweg werden, wollte er sich hier draußen nicht verkühlen. Als er zwischen den Grabsteinen umherging, dem Tor, durch das er den Gottesacker betreten hatte, entgegen, dachte er an den jüngst verstorbenen Dichter Novalis und dessen sehnsüchtige Verse, die er seit einigen Jahren immer wieder gern las. Wie langsam würde die Zeit bis zum Sonnabend vergehen, fragte sich der junge Mann. Ihm war trotz oder vielleicht gerade wegen der fortgeschrittenen Stunde an diesem morbiden, beinah schaurigen Ort unerwartet musisch zumute und mit halblauter Stimme reihte er spielerisch die Worte aneinander, die ihm gerade einfielen. Diesen Zeitvertreib hatte er schon oft betrieben, auch wenn ihm keine dieser Reime erhalten geblieben waren. Doch als er in dieser Nacht das hallische