Bernhard Spring

Folgen einer Landpartie


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urzeitliche, lebendige Landschaft voller kleiner Wunder, für die Botfeld kein Interesse zu haben schien. Zwar unterhielten sie sich prächtig über die lokale Flora, über Wettereinbrüche und die allgemein zurückgehende Artenvielfalt, doch schien Botfeld kein wahrer Pflanzenmensch zu sein. Er betrachtete das, was sich ihm darbot, als Hindernis, das es mit dem Pferd, der Barke und zu Fuß zu überwinden galt, mit Jagdhunden, Steinschlossflinten und einem gewissen Tatendrang, der an Abenteuerlust zu grenzen schien. Eichendorff vermutete in ihm einen Menschen, der sich immer nur teilweise ausleben könnte. Hier, im feuchten Wald, war der historisch belesene Botfeld vergessen und nichts verriet den auf Haltung und Abstammung bedachten Mann. Hier lebte er den versierten Jäger in sich aus, der gern mit den Kameraden plauderte, einen Einblick in seine Fertigkeiten gab, jedoch kein Auge für Sauerampfer, Wasserspiegelungen oder landschaftliche Stimmungen hatte. Botfeld war auf der Pirsch und faszinierte Eichendorff durch seine völlige Loslösung von allem, was nichts mit Jagd zu tun hatte.

      »Wir haben Glück mit dem Wetter, mein Freund«, erklärte Botfeld. »An manchen Tagen ist die Sicht so trübe, da lassen sich die Enten kaum von der Wasseroberfläche unterscheiden. Und trotzdem müssten Sie sofort abdrücken, auch wenn Sie sich nicht sicher wären, auf was Sie überhaupt zielen, denn das Pulver wird durch die Luft in wenigen Augenblicken feucht.«

      Eichendorff stopfte sich lachend eine Pfeife. »Dann bliebe mir wenigstens das blamable Ergebnis meiner Bemühungen erspart.«

      Aber Botfeld wiegelte ab. »Seien Sie nicht so streng mit sich. Entenjagd ist nicht jedermanns Sache. In Schlesien haben Sie es vielleicht eher auf Rotwild abgesehen.«

      Eichendorff zog den Tabakrauch tief ein und schüttelte dabei verneinend den Kopf. »Ich bin nicht zur passionierten Jagd gemacht. Übrigens auch nicht zum Jäger.«

      Botfeld schmunzelte über dieses kleine Wortspiel und hakte sich bei dem Freund unter.

      Schließlich brachen sie die Jagd ab, nachdem sie ein kleines Waldstück vollständig durchstreift hatten und zwischen den Bäumen bereits eine benachbarte Siedlung erkennen konnten.

      »Dort liegt Atzendorf, Bistumsgebiet«, meinte Botfeld und deutete zwischen den Bäumen entlang. »Seit der Reformation wird es von dem Dompropst verwaltet. Es sind die großen Herren wie er, die uns Kleinen zu schaffen machen. Hier ist es der Propst und im Osten ist es der sächsische Kurfürst. Sie zerreiben uns allmählich zwischen ihren Grenzen. Lassen Sie uns umkehren, Eichendorff.«

      Damit machten sie kehrt und unterhielten sich über die Probleme der Ständepolitik, wobei freilich Botfeld wesentlich mehr beizutragen hatte. Eichendorff stellte anerkennend fest, dass der Gleichaltrige wesentlich informierter und engagierter in die Familiengeschicke eingriff, während er selbst von den wirtschaftlichen und politischen Verwicklungen seiner Familie nahezu unbetroffen geblieben war. In Botfeld sah er einen jungen, aufgeschlossenen Mann, der ihn an seinen Bruder Wilhelm erinnerte, nur dass diesem das gelegentlich Ausschweifende angekreidet werden musste, was Botfeld offenbar gänzlich abging. Er war ein ernster, strebsamer Mann, der selbst in diesem nebensächlichen Moment, als die Jagdhelfer nach und nach zusammenkamen und die erlegten Enten präsentierten, höchst aufmerksam das um ihn herum Geschehende verfolgte. Eichendorff spürte die verborgene Anspannung, die in ihm steckte, die ihn so männlich und gereift erscheinen ließ, und kam sich verträumt und albern vor, wenn er an die winzigen Zeilen dachte, die er vor Tagen im Gedenken an Undine geschrieben hatte.

      In der stillen Pracht

      In allen frischen Büschen und Bäumen …

      Nach dem Auszählen der Enten wurde die Jagd für beendet erklärt. Die Jagdhelfer sammelten die Gerätschaften auf einen Einspanner, nahmen den Bediensteten die Flinten ab und führten den Wagen zurück zum Gut. Da sich Jakob ihnen anschloss, blieben Eichendorff und Botfeld allein. Sie hatten es nicht eilig, denn zum einen war der Weg ein kurzer, zum anderen aber erwartete sie nichts Dringliches in Geusau. Mit großem Interesse folgte Eichendorff den Beschreibungen Botfelds, der sich über die Gemeinde ausließ und sie mit anderen familiären Besitzungen verglich. Als Eichendorff aber auf seine Familiengüter angesprochen wurde, konnte er nicht viel Konkretes sagen. Wenn er an Lubowitz dachte, kamen ihm Reitausflüge über die väterlichen Güter in den Sinn, er erinnerte sich der gebildeten Mutter, die ihm gemeinsam mit den Mädchen das Lesen schmackhaft gemacht hatte, bis sie bedauerte, dass er zu viel Gefallen daran gefunden, wodurch er einen etwas einfältigen Charakter bekommen hätte. Auch von Breslau erzählte er Botfeld, konnte aber selber keinen Gefallen an seinem Bericht finden, denn für Eichendorff war die Metropole eine karge Handelsstadt voll der Zwänge und Etiketten seiner katholischen Gymnasialzeit. Erst in Halle, und hier schloss sich die kurze Erzählung Eichendorffs, fühlte er eine nahezu grenzenlose Freiheit, die sich ihm trotz der stillen Aufsicht durch seinen Bruder Wilhelm und natürlich durch Jakob bot. Diese bislang unbekannte Selbstständigkeit schrieb er weniger der Stadt Halle, die ja eigentlich provinziell und austauschbar war, sondern vielmehr dem Studentendasein an sich zu, das Ansehen und Wohlwollen zugleich versprach. Botfeld war derselben Meinung, und beschwingt von der Erkenntnis, ein für ihre Verhältnisse unglaublich freies Leben zu führen, trafen sie in Geusau ein.

      Als sie den Wirtschaftshof des Gutes betraten, fiel ihnen sofort die allgemeine Unruhe unter den umhereilenden Bediensteten auf. Das Dorf hatte ihnen noch keinerlei Eindruck der Sensation gegeben, hier aber, auf dem Gut, lag eine Verwirrung in der Luft, die Botfeld und Eichendorff gleichermaßen die eben noch empfundene Freude nahm.

      Einer der Diener eilte, sowie er Botfeld bemerkte, auf ihn zu. »Herr, es ist ein Unglück geschehen!«, rief er noch in der Bewegung. »Ein großes Unglück!«

      Botfeld wurde sichtlich angespannt. »Sag, was passiert ist, heraus damit!«, forderte er, worauf der Diener, eine abgezehrte, früh gealterte Person, unter nervösen Blicken nach dem sie umgebenden Treiben, berichtete, was sich zugetragen hatte.

      »Der Thiel, mein Herr, der Thiel hat sich auf seiner Kammer das Leben genommen.«

      Eichendorff war nur zu bewusst, was das Unheilvolle an diesem Vorgang war. Nicht etwa der Tod eines Bediensteten hatte die Bewohner in Aufruhr versetzt, sondern der Hergang desselben. Auch den Protestanten war der Freitod eine unverzeihliche Versündigung.

      »Es wurde nach dem Pfarrer Kerl geschickt«, fuhr der Diener fort, »aber er hat sich geweigert, dem Thiel den letzten Segen zu geben. Stattdessen hat er die Leichenwäscherin aufgefordert, den Toten herzurichten, sodass er ihn erst im Sarg zu Gesicht bekommt. Nach dem Tischler ist auch schon gerufen.«

      Botfeld hörte zu, als sei er weggetreten. Erst langsam, dann abrupt gewann sein Blick an Schärfe und Eichendorff spürte, wie er die Lage zu überschauen versuchte.

      »Ist Thiel … ist der Tote noch auf seiner Kammer?«, fragte er und bekam zur Antwort, dass man ihn zwar abgenommen, aber sonst nichts weiter unternommen hätte, da man auf die Heimkehr Botfelds hätte warten wollen. Selbst die Leichenwäscherin wäre zurückgewiesen worden, sodass sie noch unverrichteter Dinge bei den Mägden vor dem Hause warten würde. Der Tischler hingegen sei nach Blösien aufgebrochen, um eine der Barmherzigen Schwestern zu bewegen, über der Leiche den Segen zu sprechen.

      Kaum hatte der Diener geendet, ging Botfeld schnellen Schrittes an ihm vorüber und eilte über den Hof, wo er unter den vor den Gesindehäusern Wartenden die Leichenwäscherin ausmachte und ihr flüchtig die Hand reichte, die diese knicksend ergriff. Eichendorff folgte ihm gemeinsam mit dem Diener, den er, sowie Botfeld weit genug voran war, am Arm packte und zu sich zog.

      »Wer war dieser Thiel?«, fragte er den Mann so diskret wie möglich.

      Dieser erwiderte: »Thiels Michael lebte seit seiner frühesten Kindheit auf dem Gut. Sein Vater kam vor ein paar Jahren um, als ihm ein Ochse vor die Brust rannte. Thiel war der Kammerdiener des jungen Herrn Botfeld. Welch ein Verlust!«

      Eichendorff war nur zu gut bewusst, wie schwer Botfeld dieser Schlag treffen musste. Er dachte an Jakob, der ihm wie ein zweiter Bruder war, und eilig versuchte er, zu dem Freund aufzuschließen. Dieser hatte die offene Kate Thiels erreicht, wo sich auf sein Wort hin die vor der Tür versammelte Menge teilte und ihm dem Eintritt