Thomas Einsingbach

Asian Princess


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in den Augen ihres Entführers. Der Mann stieß sie auf die Matratze und kehrte zu dem pinkfarbenen Stuhl zurück.

      „Ich setze Gewalt nur im Notfall ein. Ich rate dir gut, es nicht darauf ankommen zu lassen. Noch einmal: Wir sind ein Team und es gelten meine Regeln. Verstanden?“

      Diesmal nickte Suwannee.

      „Gut. Dann können wir jetzt überlegen, wie wir unsere Zusammenarbeit sinnvoll und effektiv gestalten“, jaulte die verzerrte Stimme aus der Kitteltasche des Vermummten. Suwannee musterte ihren Entführer. Der Schlag in ihr Gesicht war nicht mit voller Wucht ausgeführt worden. Ihr Schrei danach war eher eine Schreckreaktion als der Ausdruck eines tatsächlichen Schmerzes gewesen. Der Mann wirkte auf den ersten Eindruck souverän, aber sie hatte das Gefühl, dass er von irgendetwas getrieben wurde. Diente seine Maskierung und die elektronische Sprachverfremdung womöglich dazu, seine Unsicherheit zu verbergen?

      10

      Twang Bai Leng schob sich widerwillig einen Löffel einer undefinierbaren Flüssigkeit zwischen die wenigen Zähne, die ihm geblieben waren. Der sehnige kleine Mann spuckte die brackige Brühe, in der ein paar Fischabfälle dümpelten, wieder aus. Sein Blick fiel auf Min-Min. Von den ursprünglich siebzehn burmesischen Deckarbeitern, mit denen der verrostete Fischtrawler aus der südthailändischen Hafenstadt Krabi-Town ausgelaufen war, waren bereits fünf Männer Krankheiten, Unfällen oder ihrer Erschöpfung zum Opfer gefallen. Twang und seine verbliebenen Kollegen befanden sich seit mehr als sechs Monaten ununterbrochen auf See, und er konnte sich nicht mehr entsinnen, wie es sich anfühlte, wenn der Boden unter den Füßen nicht dem Rhythmus des Meeres gehorchte. Um nicht vollends die zeitliche Orientierung zu verlieren, schnitt Twang jeden verfluchten Morgen, den er auf diesem Höllenkahn aufwachte, eine Kerbe in einen der Holzpoller, an denen die Taue der Netze befestigt wurden. An manchen Tagen schien es ihm, als habe er am Horizont eine verschwommene Küstenlinie erkennen können. Aber wahrscheinlich waren es nur Sinnestäuschungen gewesen, ausgelöst durch die flirrende tropische Hitzeglocke, unter der sich die Seeleute tagein, tagaus abrackerten. Twang wusste, dass sich Min-Mins restliche Lebenspanne nur noch in ein paar Tagen bemaß und er dann, wie all die anderen armen Teufel, im Nirgendwo des Indischen Ozeans verschwinden würde. Er wandte den Blick von seinem Landsmann ab. So und nicht anders würde es kommen, wenn nicht ein Wunder geschah.

      Die Schleppnetze des Trawlers waren zur Reparatur eingeholt worden. Bis zum Sonnenuntergang, wenn es zur zweiten Fangschicht läutete, sollten die Männer ihre Arbeit erledigt haben. Man hatte es bei der Jagd vor allem auf die Thunfische abgesehen, von denen die prächtigsten Exemplare auf den Tischen teurer Restaurants landeten und der Rest in der riesigen Fischfabrik im Industriehafen von Krabi in Konservendosen abgefüllt wurde. Twang und die anderen von der Sonne schwarz gerösteten burmesischen Seelen mussten die wertvolle Beute vom minderwertigen Beifang trennen, der wiederum zu Krustentierfutter für thailändische Garnelenfarmen weiterverarbeitet wurde. Täglich, meist gegen Spätnachmittag, kreuzte das Mutterschiff auf und sammelte den Rohfang der Werksflotte ein, auf deren Kuttern alle drei Wochen die Kapitäne und die Offiziere wechselten. Meist waren es Malaien oder Thais, deren Gemeinsamkeit darin bestand, dass kaum einer von ihnen der burmesischen Sprache mächtig war.

      Twang spürte, wie auch seine Kräfte mit jedem zusätzlichen Tag schwanden. Es hämmerte in seinem Schädel, seine Handflächen waren von den groben Tauen zerschunden. Durchfall und Erbrechen plagten ihn schon seit Wochen, und manchmal wusste er nicht einmal mehr die Namen seiner Gefährten, mit denen er die täglichen Vierzehnstundenschichten durchlitt. Twang riss sich zusammen. Er wollte nicht so enden wie die Kameraden, die während der Arbeit zusammengebrochen waren.

      Vor einer Ewigkeit war Twang einmal stolzer Eigentümer eines kleinen Fischkutters gewesen. Die Erinnerung trieb ihm die Tränen in die Augen und doch gab er sich ihr fast täglich hin, weil sie ihn am Leben hielt. Es waren verwaschene Bilder aus einer anderen Welt, aus einem anderen Leben. Jeden Morgen waren er und zwei seiner Söhne hinaus ins Irrawaddy-Delta geschippert. Auch damals hatte gelegentlich ein verirrter Thunfisch im Netz gezappelt, wenn die auflaufende Flut in das verästelte Labyrinth des Vaters aller burmesischen Ströme drängte. Die harte Arbeit als Fischer hatte sie nicht reich gemacht, aber sie konnten bei den Bauern Fisch gegen Obst, Gemüse oder einen Sack Reis eintauschen und niemand seiner achtköpfigen Familie musste hungern. Es war sogar Geld für den Schulbesuch seines ältesten Sohnes in der fernen Metropole Rangun übrig. Vor acht Jahren beendete dann ein Zyklon Twangs Traum von einer besseren Zukunft für seine Kinder. Mit rotierender Wut zerstörte der Wirbelsturm „Nargis“ nicht nur sein Haus, sondern zerschmetterte auch den Kutter, seine Lebensgrundlage, und riss drei Familienmitglieder mit in den Tod. Als die letzten Ersparnisse aufgebraucht waren und die Lage immer verzweifelter wurde, entschloss sich Twang fortzugehen. Er hatte Glück und fand Arbeit auf einer thailändischen Palmölplantage nahe der malaysischen Grenze. Dort hatte man ihm sechs US-Dollar Tageslohn versprochen. In Wahrheit wurden allerdings weniger als drei Dollar ausbezahlt, den Rest behielt der Aufseher und nannte diesen Abzug Kommission. Natürlich konnte Twang so niemals die sechshundert Dollar begleichen, die er einem Landsmann für die Beschaffung der gefälschten Arbeitserlaubnis und die Vermittlung dieser Arbeitsstelle schuldete und die sich durch astronomische Zinsen mittlerweile auf einen Betrag geschraubt hatten, dessen Höhe nur noch der Gläubiger kannte. Als ihm ein weiterer Vermittler anbot, ihn auszulösen und ihm gleichzeitig eine Stelle auf einem thailändischen Fischtrawler garantierte, hatte es Twang zunächst für eine glückliche Schicksalsfügung gehalten. Er liebte den Fischfang und hoffte, so sein Heimweh ein wenig besser ertragen zu können. Wie hätte er ahnen können, dass es ihn gleichsam in die Hölle verschlagen würde?

      Twang zwang sich zwei weitere Löffel der gehaltlosen Suppe in seinen ausgemergelten Körper, als der Kapitän auftauchte. Seine blaue Uniform war zerschlissen und mit Speiseresten bekleckert. Aber der Mann war stark und brachte gewiss das Doppelte von Twangs Gewicht auf die Waage. In der Offiziersmesse wurde schließlich ordentlich aufgetischt. Der Mann zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch gegen die Windrichtung der salzig-schwülen Brise.

      „Männer! Bewegt euch! Ihr werdet nicht fürs Herumlungern bezahlt!“ Er war der erste Kapitän seit Monaten, der wenigsten seine Befehle auf Burmesisch beherrschte.

      „Käpt’n … Sir …“ Twang saß mit überkreuzten Beinen im Schatten eines löchrigen Sonnensegels, unter dem die Besatzung ihre wenigen Ruhepausen verbrachte.

      „Käpt’n, Sie müssen Min-Min mit dem Mutterschiff in ein Krankenhaus bringen.“ Twang blickte hinüber zu einem schmächtigen Kerlchen, das in seinem Erbrochenen lag. Der Kapitän sah überrascht auf und Twang erschrak über sich selbst. Was war in ihn gefahren? Was ging ihn das Schicksal des kleinen Min-Min an? Hatte er nicht genug eigene Sorgen?

      „Min-Min wird sterben, wenn Sie ihn nicht zu einem Arzt bringen“, hörte sich Twang noch einmal und ihm war im selben Moment klar, dass er einen unverzeihlichen Fehler begangen hatte. Merkwürdigerweise blieb der Kapitän seelenruhig und verzog keine Miene. Hatte er überhaupt vernommen, was Twang verlangt hatte?

      11

      Nach seiner ersten Nacht auf deutschem Boden erwachte William erstaunlich erfrischt und ausgeruht. Es war noch keine sechs Uhr. Er zog die Vorhänge zurück und sah in einen unfreundlich düsteren Morgen hinaus, was ihn aber nicht weiter störte. Von seinem Zimmer in der obersten Etage des Hotels hatte er einen Blick auf die weltberühmte Schlossruine, die in der verschwommenen morgendlichen Dämmerung geheimnisvoll am Hang des Königstuhls thronte. William verspürte noch immer keinen Appetit, dafür aber Lust auf Bewegung und erinnerte sich an einen Hinweis an der Rezeption, der für die kostenlose Nutzung der hoteleigenen Fahrräder warb.

      „Sie finden alle interessanten Sehenswürdigkeiten in direkter Umgebung unseres Hotels“, erläuterte der Portier, als er William einen Stadtplan und den Schlüssel für das Fahrradschloss überreichte. „Und wegen dem Wetter machen Sie sich mal keine Sorgen. Das wird noch!“

      William schob das Rad auf den Vorplatz des Hotels, wo ihn Nieselregen empfing und ihm, obwohl es erst Mitte September war, ein empfindlich frischer