Thomas Einsingbach

Asian Princess


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zu Boden ging. Eine großkalibrige Kugel hatte Twangs Stirn aus kürzester Entfernung zerschlagen und war durch den Hinterkopf wieder ausgetreten. Twang Bai Leng, der Fischer aus dem Mündungsdelta des Irrawaddy-Flusses, war im Alter von nicht einmal vierzig Jahren im Kampf um seine letzte Würde gefallen.

      Als die Offiziere heraneilten, steckte der Kapitän in aller Seelenruhe seine Pistole hinter den Gürtel seiner Uniformjacke und griff nach seiner Zigarettenpackung. „Der Mann muss blind gewesen sein. Oder dämlich. Wahrscheinlich beides. Jeder hier an Bord sollte wissen, dass ich meine Waffe nicht als Dekoration trage. Mir reicht’s jetzt. Wir fordern noch heute eine neue Mannschaft an.“

      Wenig später entledigte sich der Kapitän seiner Uniformjacke und begutachtete die verletzte Schulter. Das robuste Textilmaterial hatte die Wucht des Angriffs weitgehend neutralisiert und lediglich eine oberflächige Wunde zugelassen.

      „Was machen wir mit denen da?“ Einer der Offiziere wies in Richtung des Sonnensegels, unter dem elf verängstigte Burmesen hockten.

      „Bringt sie zum Schweigen. Wäre nicht gut, wenn einer von denen irgendwann das Maul aufreißt und Lügen über uns erfindet.“

      13

      Claudia Bächle-Malvert klopfte mit ihrem Kugelschreiber mahnend auf die Tischplatte. „Können wir anfangen?“

      Es war Dienstagabend. Mittlerweile waren bald sechzig Stunden seit dem Rebheimer Leichenfund vergangen. Den Beamten sah man ihre Erschöpfung an. Das Dezernat für Kapitalverbrechen war seit Monaten unterbesetzt. Zwei Kollegen hielten sich in Griechenland zur Unterstützung bei der Registrierung von Flüchtlingen auf, zwei weitere hatten sich krankgemeldet und eine Kommissarin war in Elternzeit. Claudia hatte die Sekretärin gebeten, Thermoskannen mit extra starkem Kaffee zu befüllen und einen Schwung Energieriegel zu organisieren.

      „Also, Leute! Was haben wir bisher ermittelt? Was können wir daraus folgern? Welche Informationen wollen wir morgen auf der Pressekonferenz der Öffentlichkeit mitteilen?“, begann sie und rückte den Notizblock vor sich zurecht.

      Der stellvertretende Dezernatsleiter Malte Brettschneider legte die Hände in den Nacken und streckte seinen langen Oberkörper über die Rückenlehne. Die Kommissare Erol Tekzö und Larissa Koslowski hielten sich nachdenklich an ihren Kaffeebechern fest.

      „Ach, fast hätte ich es vergessen. Ich möchte, sofern ihr euch noch nicht bekannt gemacht habt, Marco Klingenberger vorstellen. Er ist kommissarischer Leiter des Polizeipostens in Rebheim und wird uns bei den Ermittlungen vor Ort unterstützen, und …“, Claudia ließ ihren Blick durch die müde Runde kreisen, „… ich habe entschieden, dass Marco bis auf Weiteres die Pressearbeit unserer Sonderkommission übernimmt. Ihr könnt euch denken, dass in der nächsten Zeit auf diesem Gebiet einiges auf uns zukommen wird.“

      Marco war, wie die anderen auch, in Zivil erschienen. Er trug eine sportliche Lederjacke, unter der ein mintgrünes Poloshirt zum Vorschein kam, war offenbar noch hellwach und schenkte der Gruppe ein strahlendes Lächeln.

      „Marco, mein Name ist Claudia“, wandte sich die Chefin an den Neuen. „Wir duzen uns intern. Im Außendienst, bei Vernehmungen und vor allem im Umgang mit der Presse verwenden wir untereinander das Sie.“

      Marco nickte, und als er die Hände vor sich auf die Tischplatte legte, wirkte er wie ein routinierter Fernsehnachrichtensprecher.

      „Na, dann wäre die Kuh auch vom Eis“, kommentierte Erol, den viele für einen Türken hielten, obwohl er in Budapest geboren war und schon seit Jahrzehnten die deutsche Staatsbürgerschaft besaß. Er ignorierte Claudias strengen Blick, die ihn gerade fragen wollte, wen oder was er wohl mit der Kuh gemeint haben könnte, und begann seinen Bericht.

      „Eine entblößte männliche Leiche wurde am Sonntagmorgen gegen sieben Uhr fünfzig auf dem Rebheimer Madonnenberg gefunden. Der Leichnam wurde vom pensionierten Polizeihauptmeister Kühnle während des Spazierganges mit seinem Hund entdeckt. Um kurz nach acht traf ein Streifenwagen des Polizeipostens Rebheim an der Fundstelle ein.“

      „Seit wann habt ihr Sonntag eure Dienststelle besetzt? Die Meldung hätte doch an den Kriminaldauerdienst gehen müssen“, unterbrach Larissa und sah Marco neugierig an.

      „Das ist das Schöne am Landleben. Da sind die Wege kurz“, antwortete Marco mit einem Augenzwinkern. „Michael Kühnle und ich sind gute Bekannte. Er hat tatsächlich zuerst meine private Mobilnummer gewählt, weil er wollte, dass der Fundort ohne Verzögerung abgesperrt wird. Ich war schon wach – wir haben seit einem Vierteljahr Nachwuchs, da sind die Nächte nicht allzu lang – und bin unmittelbar nach dem Anruf auf den Madonnenberg gefahren. Herr Kühnle hat selbstverständlich sofort nach dem Telefonat mit mir Meldung an den KD gemacht.“

      „Als wenn der Kriminaldauerdienst eine langsame Truppe wäre“, murrte Erol.

      „Das war schon okay. Marco hat die Fundstelle professionell gesichert und die Aussage vom ehemaligen Kollegen Kühnle noch vor Ort aufgenommen. Besser hätten wir das auch nicht machen können“, verteidigte Claudia ihren neuen Mitarbeiter.

      „Kann ich jetzt weitermachen? Oder möchte ein anderer übernehmen?“

      „Natürlich, Hauptprotokollführer Erol! Wir sind alle hundemüde und wollen uns zur Abwechslung auch einmal ein paar Stunden zu Hause bei unseren Lieben blicken lassen“, entspannte Malte die Situation.

      „Eine gute Idee, obwohl bei mir zu Hause nur ein leerer Kühlschrank wartet“, gab Erol zurück und fuhr mit seiner Zusammenfassung fort. „Die Spurensicherung hat am Fundort nicht einen Hinweis entdeckt, der uns weiterhelfen könnte. Keine Reifeneindrücke von einem Fahrzeug, keine Fußspuren, außer denen von Kühnle und seinem Hund, keine Textilteilchen, Zigarettenreste oder etwas anderes Verwertbares, rein gar nichts. Die Leiche muss aus der Luft über dem Weinberg abgeworfen worden sein.“

      „Das hätte man vermutlich bemerkt“, warf Larissa ein.

      „Was hat die Untersuchung in der Rechtsmedizin ergeben?“, fragte Malte.

      „Die Leiche ist umgehend ins Institut für Rechtsmedizin nach Heidelberg gebracht worden. Der diensthabende Mediziner hat unsere Einlieferung auf die Prioritätenliste gesetzt. Hier ist der vorläufige Bericht, kam vor zwei Stunden per Fax.“ Erol hob ein Blatt in die Höhe. „Die erste Erkenntnis lautet: Der Mann ist nicht eines natürlichen Todes gestorben! Wer hätte das gedacht?“

      Auf dem Tisch lagen vergrößerte Fotos, die am Sonntagmorgen direkt an der Fundstelle aufgenommen worden waren. Dazu warf Erol nun einen weiteren Packen mit Aufnahmen der Gerichtsmedizin. „Das Merkwürdige ist, dass nicht die Verletzungen zum Tod des Mannes geführt haben.“

      „Wie bitte?“, fragte Larissa. „Allein der abgeschnittene Penis hat doch zu einem Blutverlust geführt, der tödlich gewesen sein muss.“

      „Richtig. Einen derartigen Verlust überlebt kein Mann“, bestätigte Erol, „aber das Opfer war bereits tot, als man ihm die Verletzungen zugefügt hat. Wir haben die Einschüsse im Gesichtsbereich übersehen.“

      „Warum wurde das Gesicht des Opfers so verwüstet, wenn der Mann schon tot war?“, wollte Marco wissen, der die Fotografien eingehend betrachtete.

      „Keine Ahnung. Vielleicht war’s ein Psychopath“, antwortete Erol. „Die Gerichtsmediziner gehen jedenfalls davon aus, dass der Mann vor den Misshandlungen erschossen wurde. Drei Kugeln Kaliber fünf Komma sechs sind über der Nasenwurzel und durch das Jochbein in den Schädel eingedrungen. Zwei Geschosse steckten im Großhirn. Das dritte hat sich im Kleinhirn aufgepilzt.“

      „Aufgepilzt?“ Marco blickte Erol an.

      „Bei einer Kleinkaliberpatrone handelt es sich nicht um ein Vollmantelgeschoss, wie es bei größeren Kalibern üblich ist. Kleinkaliberkugeln haben eine geringere Durchschlagskraft und ihre Ummantelung ist deutlich weicher. Tritt das Geschoss nicht aus dem Körper aus, weil die inneren Gewebewiderstände es sozusagen ausbremsen, kann die Ummantelung aufreißen, was dann ‚Aufpilzen‘ genannt wird.“