Christina Auerswald

Magdalene und die Saaleweiber


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Mägde schufteten von Sonnenaufgang an, und Else war wieder einmal nicht aufzufinden. Der kleine Hans hing Magdalene am Rockzipfel, Rosina hatte genug zu tun und konnte sich nicht um ihn kümmern.

      Am Waschtag wurde aus der Lauge gewaschen, das bedeutete eine Menge kraftraubendes Schleppen und Walken. Zwei Mal im Jahr wuschen sie auf diese Weise, im Frühjahr und im Spätsommer, Hemden, Schürzen und Bettzeug. Die Sonne strahlte hell, das Gras auf der Wiese zeigte seine von einem kräftigen Wind gebeugte silbrige Rückenseite. Das war ideales Wetter für die große Wäsche. Auf den warmen Steinen im Hof roch es nach nassem Staub.

      Rosina und Gertrud hatten am Vorabend das Regenwasser aus der Zisterne in den Zuber geschöpft, den sie auf den Hof gestellt hatten. Es war weicher als Brunnenwasser, deswegen brauchte man weniger Lauge. Darin hatten sie über Nacht die Wäsche eingeweicht, das grobe Leinenzeug zuunterst, die feinen Stücke obenauf. Am Morgen legten sie ein dick mit Holzasche bestrichenes Tuch darauf und waren dabei, heißes Wasser aus der Küche nach draußen zu schleppen. Mit dem siedenden Wasser bildete die Holzasche eine Lauge, die wurde durch das Tuch gefiltert und durchdrang die Wäsche. Es roch unangenehm, aber dafür wirkte es umso besser. Wenn das heiße Wasser im Zuber war, mussten alle zupacken und jedes Teil scheuern, und das grobe Schrubben war harte Arbeit. Viele Hände mussten helfen, auch Elses Hände.

      Den Kleinen auf dem Arm, ging Magdalene durchs Haus. »Else«, rief sie laut.

      »Wir können Else nicht finden«, plapperte Hans mit heller Stimme.

      »Ja«, antwortete sie. »Weg ist sie.« Ein glücklicher Gedanke spiegelte Magdalene einen Moment lang vor, die Altmagd hätte sich in Luft aufgelöst.

      »Hat Else sich versteckt?«, fragte er. Mit großen Augen sah er zu, wie seine Mutter nickte. Magdalene öffnete nacheinander die Türen im Obergeschoss. »Else hat keine Lust zum Arbeiten«, sagte sie.

      »Ist faul«, rief Hans und stieß die kleinen Fäuste in die Luft.

      »Else«, rief Magdalene.

      Keine Antwort.

      Im Erkerzimmer blieb sie am Fenster stehen. Es war weit geöffnet, Septemberwind strich herein. Sie sah hinaus, Hans auf dem Arm.

      »Da ist Else!«, rief der Kleine und zeigte mit seinem Ärmchen in das Gewimmel vorm Haus. Else kam die Straße herab, besser gesagt, sie schritt. Sie bewegte sich gemessen, mit gereckter Brust und gehobenem Kinn. Die Leute drehten sich nach ihr um, weil sie von einem jungen Mann begleitet wurde, der sich einen halben Schritt hinter ihr hielt, mehrmals nickte, neben die Altmagd trat und ihr eine grazile Verbeugung samt Handkuss verehrte. Magdalene konnte ihren Mund vor Überraschung nicht schließen.

      Der Mann war gut zu sehen, er stand mitten im Sonnenlicht. Er war mager wie ein alter Hund und überragte Else um eine Kopflänge. Sein Gesicht war glatt, mit großen, vorstehenden grauen Augen und vollen Lippen. Er lächelte warm und sah Else ins Gesicht. Gekleidet war er in modisches Wollzeug von dunkelgrüner Farbe, und das waren nicht die Kleider eines Mannes, der selbst arbeiten musste. Das Einzige, was ihn wie einen Simpel wirken ließ, war sein Haarschnitt, ein einziges Gewirr aus schiefen und krummen Fransen. Die Haarfarbe kam nahe an ihre eigene, ein kräftiges Kastanienbraun. Magdalene konnte sich nicht helfen, der Mann kam ihr auf eine gewisse Weise bekannt vor. Im Moment fiel ihr nicht ein, wo sie ihn schon einmal gesehen haben konnte. Es war, als ob die Erkenntnis in einem Winkel hinter ihrer Stirn hockte und jeden Moment daraus hervorspringen wollte, aber sie sprang nicht. Der Mann drehte sich um, als Else ins Haus ging, und stiefelte mit langen Schritten davon.

      Das Geschehen war Magdalene unbegreiflich. Sie beschloss abzuwarten. Else kam ungestört herein, wandte sich zur Treppe und ging mit stolzem Blick an ihrer Herrin vorbei, als ob sie sie nicht gesehen hätte. Sie tappte die nächste Treppe hinauf, die Tür ihrer Kammer krachte. Stille kehrte ein. Magdalene wartete, dass Else zur Arbeit zurückkehrte, aber die Altmagd blieb verschwunden. Deshalb rückte Magdalene das Kind auf ihrem Arm zurecht und ging Else nach. Sie drückte die Klinke der Mägdekammertür ohne zu klopfen herunter.

      Else stand reglos mitten in ihrer Kammer, die Küchenschürze hatte sie schon umgebunden. Sie ließ die Aufträge wie Hagelkörner über sich niedergehen, den Blick an ihrer Herrin vorbei in den Treppenaufgang gerichtet, und sagte keinen Ton. Statt ihrer krähte fröhlich Hänschen von seinem bequemen Sitz in Magdalenes Arm herab: »Else kann nicht faul sein, muss arbeiten!« Prompt färbte sich Elses Gesicht rot wie eine Kirsche.

      Am Abend war Magdalene müde vom Heben und Tragen, Klopfen und Walken. Sie streckte ihren Rücken und ließ sich zum Essen auf die Küchenbank fallen. Die Sonne versank hinter den Dächern und schenkte der Stadt ein leuchtend orangerotes Dämmerlicht.

      Georg Rehnikel kam an den Tisch und setzte sich, ohne seine Frau eines Blickes zu würdigen. Am Nachmittag hatte Magdalene Isabeaus Wahrheitsmilch gemischt, ein Löffel davon schwamm in Georgs Bier. Er schnitt sich ein Brot, nahm ein Stück vom Käse und biss ab. Endlich griff er nach dem Bierkrug. »Habt ihr heute gewaschen?«

      »Ja«, antwortete Magdalene. »Es war viel zu tun.« Er zog den Krug näher an seine Brust und hob ihn an. Noch ehe er trank, setzte sie nach. »Else hat sich nicht beteiligt, sie hatte etwas Besseres vor.«

      Er ließ den Krug sinken. »Willst du schon wieder gegen sie hetzen?«

      Magdalenes Blick lag auf dem Krug. Er hatte noch keinen Schluck getrunken. Sie schwieg und wartete geduldig. Sie redete erst, nachdem er ihn anhob und einen langen Zug trank.

      »Statt zu arbeiten, hat sie sich von einem jungen Mann hofieren lassen.«

      Georg schob die Kinnlade vor. »Warum versuchst du, Else zu verleumden?«

      »Das tue ich nicht. Ich habe es vom Fenster aus gesehen. Er hat ihr auf der Straße vorm Haus die Hand geküsst. Frag die Nachbarn, alle haben es gesehen, sogar Hänschen. Den hatte ich auf dem Arm.«

      »Ach was«, murmelte Georg. »Wer weiß, was du gesehen hast. Die jungen Leute machen so was heutzutage überall. Der Mann war bloß höflich.«

      Er runzelte die Stirn. Sein Blick lag im Krug, und für einen Moment durchfuhr Magdalene die Angst, er könnte die Wahrheitsmilch darin erkennen. Nichts passierte. Georg trank den Rest mit einem Zug aus, schob den leeren Krug quer über den Tisch, stand auf und ging im Raum hin und her. Er sagte kein Wort mehr.

      Angesichts der Tatsache, dass er das Getränk vollständig seine Kehle hinabgestürzt hatte und ihr von nun an sein wahres Gesicht zeigen würde, war Magdalene unterm Strich zufrieden. Nur die Übelkeit, die ihr all die Zeit im Magen lag, wollte nicht vergehen. Im Einschlafen fiel ihr auf, wie wach Georg auf seiner Seite des Bettes lag. Er drehte sich unter seinem dicken Federbett hin und her, zerrte die Kissen nach links und rechts, schnaufte und seufzte. Vielleicht war es die Wahrheit, die durch das Getränk zutage trat und ihn am Schlafen hinderte.

      5. KAPITEL

      Magdalenes Unwohlsein wollte auch in den nächsten Tagen nicht vergehen. Es fühlte sich wie ein Unwetter an, dem man nicht ausweichen kann. Ihre mühsamen Anstrengungen wogen wie Federn gegen die dickbäuchigen dunklen Wolken am Horizont. Der Sommer war vorbei. Der Oktober würde in drei Tagen anbrechen, die Tage wurden kürzer. Noch lag die freundliche Wärme des Spätsommers in den Straßen, und zwischen den dicken Mauern des Spezereienlagers hielt sich der Rest jener satten Trockenheit bis in den Winter hinein. Das änderte nichts an den aufkommenden Stürmen. Bald würde es draußen unweigerlich kalt werden, bitterkalt.

      Seit Georg die Wahrheitsmilch zu sich genommen hatte, wollte Magdalene jede Gelegenheit zu Gesprächen mit ihm nutzen. Es gab keinen Ort, der dazu besser geeignet war als das Lager. Dort geriet er in beste Stimmung und vergaß das Geldverdienen. Er beschäftigte sich mit Dingen, die ihm Spaß machten, und war darin nicht zu halten. Voller Hingabe kramte er in seinen