ist es«, flüsterte sie. »Da drin bewahrt sie ihre Mixtur auf. Wenn sie nun dem Meister etwas antun will?«
»Warum sollte sie das tun?«, fragte Rosina. »Sie hat ihn gern.«
»Pah! Sie kann ihn gar nicht gernhaben, so, wie sie mit ihm umgeht.« Else stemmte die Hände in die Seiten. Vom Rührlöffel, den sie in der Hand behielt, tropfte ein Klecks Suppe auf den Boden. »Sie kommt und geht, wie es ihr passt. Habt ihr nicht gesehen, dass sie letztens einfach fortgeritten ist? Sie hat ihren Mann nicht einmal um Erlaubnis gefragt. Wo gibt’s denn so was? Stundenlang weggehen, wer weiß, wohin, und dir hat sie ihr Kind dagelassen, als wenn’s ihr egal wäre.«
»Ich bin Kindermagd«, antwortete Rosina, »es ist meine Aufgabe, mich um Hans zu kümmern, wenn sie keine Zeit dafür hat.« Sie sah in die Schüssel mit den Erbsen und hob den Kopf nicht mehr.
Else wollte ihre Hetzreden fortsetzten, aber sie verstummte. Die Meisterin kam die Treppe hinab. Sie legte im Korridor, keine drei Schritte von den Mägden in der Küche entfernt, das Mantelet um die Schultern und nahm den Korb in den Arm. Die Tür klappte hinter ihr.
Else beugte sich in das Küchenfenster, das auf die Straße ging.
»Da spaziert die feine Dame fort«, sagte sie lauter, denn sie musste jetzt nicht mehr flüstern. »Als ob sie auf den Markt ginge. Glaubt sie, dass sie uns für dumm verkaufen kann? Heute ist überhaupt kein Markt. Weh dir, Georg Rehnikel, du wirst Hörner tragen, ehe du dich versiehst!«
7. KAPITEL
Das dumme Gerücht ließ Magdalene keine Ruhe. Es war Mägdeklatsch, sie musste also Mägde fragen. Eigentlich hielten die Mägde ihr Geschwätz vor den Bürgerinnen verborgen, aber Magdalene fand immer einen Weg. Sie wusste, wo sie welche treffen konnte, die Ohr und Mundwerk vor ihr nicht verschlossen. Mit hastigen Schritten verließ sie das Haus in Richtung Süden.
Am Alten Markt trafen sich die Mägde aus dem Ulrichsviertel und dem Trödel, weil sie zum Schwatzen unauffällig bei der Wasserkunst stehen und tun konnten, als würden sie warten, bis sie mit ihren Krügen an die Reihe kamen. Der erste trübe Herbsttag umarmte die Stadt. Die Luft war schwer und feucht, wie eine Last lag der Dunst in der Schlucht zwischen den Häuserfronten. Maria und Sybille, zwei Mägde in Magdalenes Alter, standen zusammen. Sie gingen ohne Mantel, eine Koketterie, für die es um diese Jahreszeit zu kühl wurde. Sybille war Magdalenes Duzfreundin, sie hatten jahrelang nahe beieinander die gleiche Arbeit tun müssen, sie in der Ritterakademie, Magdalene bei ihrem Onkel Conrad.
Die Vertraulichkeit mit einer Magd störte Magdalene nicht, obwohl der Standesunterschied zwischen ihnen groß war. Ihr Onkel hatte sie oft genug ermahnt, sich nicht mit der Dienerschaft gemeinzumachen, aber gerade das hatte ihren Widerstand erregt. Warum sollte sie nicht mit Sybille Spaß haben? Mit ihr war es tausendmal lustiger gewesen als im strengen Haushalt ihres Onkels, auch lustiger als mit der alten Anna, ihrer Amme, lustiger als mit ihren plärrenden kleinen Nichten. Sybille war ein fröhliches Geschöpf. Sie lachte und kicherte bei jeder Gelegenheit, nahm kein Blatt vor den Mund und redete am liebsten über alles, was in der Stadt passierte oder jemals passiert war.
Diese Offenheit konnte Magdalene nützlich sein. Sie stellte sich neben die beiden an den Brunnen und setzte ein freundliches Gesicht auf. Sybille begrüßte sie, als würde sie jeden Tag mit einer Bürgerlichen plaudern, schüttelte ihre Lockenmähne und band sich die Haube neu. Sie besaß dunkelblonde Haare mit einem Hauch ins Rote und die dichtesten und krausesten Locken der Stadt. Darauf war sie stolz und knotete die Haube oft auf, damit sie ihre Haare schütteln konnte, als ob sie auf diese Weise alle Blicke auf sich ziehen könnte. Magdalene nickte freundlich und erkundigte sich nach der Familie, der Gesundheit und dem Liebsten, und alle Antworten hörten sich gewöhnlich an. Nach einer Weile geriet das Gespräch unverfänglich auf eine Bahn, die sie nutzen konnte.
»Jonas, mein Schatz«, gestand Sybille, »ist jetzt schon den dritten Monat fort.« Sie seufzte. »Es wird Zeit, dass er wiederkommt, er wollte im August zurück sein. Wir werden heiraten, weißt du?«
Magdalene riss die Augen auf. »Eilt es? Du bist doch nicht schwanger?«
Sybille blies die Backen auf. »Ach wo. Jonas ist ein braver Kerl, der bedrängt mich nicht. Und selbst wenn, ich wüsste mir zu helfen.«
»Wie denn?«, fragte Magdalene.
Maria prustete spöttisch, und Sybille fragte: »Das weißt du nicht?«
Magdalene musste den Kopf schütteln. Die beiden anderen sahen sich an. Jetzt, wo Magdalene von dem Gerücht wusste, fiel ihr das Zögern auf.
»Du willst uns weismachen, du hättest keine Ahnung von solchen Dingen? Ausgerechnet du?« Sybille sah Magdalene mit ärgerlich zusammengekniffenen Augen an. »Wo du seit drei Jahren kein Kind mehr bekommst – warum wohl?«
Beruhigend legte Magdalene ihr eine Hand auf die Schulter. »Meinst du, ich wollte keins und mein Mann hätte ein Mittel gegen Schwangerschaft unter seinen Spezereien?«
Sybille stemmte die Hände in die Seiten. »Das nicht! Sonst hätte er es dir gegeben, als er dir aus Versehen den Hans gemacht hat, dir und auch dem Mädchen damals.«
Magdalene beugte sich ein Stück näher und sah ihr in die Augen. Sybille offenbarte einen schuldbewusst flackernden Blick. Sie fing sich schnell, hob trotzig das Kinn und fuhr fort. »Du hast Glück, dass er dich geheiratet hat. Als es das erste Mal passiert ist, hat seine Frau noch gelebt. Da musste sich dein Mann etwas einfallen lassen.«
Die Mägde schienen nicht in Zweifel zu ziehen, dass Georg einer anderen Frau als seiner eigenen ein Kind gemacht hatte. »Was«, fragte Magdalene, »hat er sich einfallen lassen?«
»Du weißt es nicht?« Erstaunt zog Sybille ihre Stirn kraus. Leiser antwortete sie: »Er hat das Neugeborene gleich, nachdem es zur Welt gekommen ist, in der Küche erstochen und das Blut in einer Schale aufgefangen. Man sagt, er hätte es für eine Rezeptur gebraucht. Das tote Kind hätte er draußen vergraben. Das war vor zehn Jahren, ich vergesse das nie, weil mir meine Mutter die Geschichte kurz vor ihrem Tod erzählt hat.«
»War deine Mutter dabei?« Magdalene war wütend, dass nicht einmal ihre Freundin auf den Gedanken kam, solchen Blödsinn für sich zu behalten.
Sybille merkte Magdalene die Wut an. Sie sprach leiser und gab ein erstes Eingeständnis ab. »Mag sein, dass es sich nicht exakt so zugetragen hat, aber irgendwas haben sie mit dem Kind angestellt und es verschwinden lassen. Mutter hat sich furchtbar aufgeregt, weil niemand der Sache nachgegangen ist. Es war kurz nach der Pest, die Leute hatten andere Sorgen.« Sie blies sich eine lockige Strähne aus dem Gesicht.
»Wer weiß, woran das arme Kind gestorben ist«, erwiderte Magdalene. »Wer soll überhaupt die Mutter dieses Kleinen gewesen sein?«
Maria, die andere Magd, antwortete mit leiser Stimme. »Was wissen wir, welches unglückliche Weib es getroffen hat? Wir waren zu der Zeit selbst noch Kinder. Lasst es in seinem kalten Grab ruhen, das Balg. Das Reden erweckt niemanden zum Leben. Wenn Euer Mann das Kind totgemacht hat, muss er sich eines Tages vor dem Allmächtigen im Himmel dafür verantworten.«
»Warum hat mir niemand davon erzählt? Warum habe ich nicht früher davon erfahren, als ich mit ihm verlobt war?«
Die Mädchen kicherten. Maria antwortete: »Das ist immer so, Rehnikelin. Der, über den geredet wird, erfährt es zuletzt.«
»In Wirklichkeit hatten wir es vergessen«, gestand Sybille, »ich habe auch nicht mehr daran gedacht, sonst hätte ich es dir doch erzählt. Irgendjemand hat sich daran erinnert, als wir gehört haben, dass du einen Bankert hast. Es hat erst einen Sinn ergeben, nachdem der Rehnikel zugegeben hat, dass es sein Kind ist. Du warst gezwungen, das Kind woanders zu kriegen, sonst hätte er es mit deinem Kind