ich mit der Decke und der Kleidung, die ich über den ganzen Boden verstreut hatte. Ich zog nur meine Turnschuhe an und verstaute den Rest im Rucksack. Ich packte einige Steine und Äste und warf sie voller Wut auf die geordnete Ameisenstraße, während ich sie gleichzeitig beschimpfte. Einen Augenblick lang verlor ich die Kontrolle, die Wut übermannt mich. Ja, die Ameisen waren an allem schuld, ich musste die Ameisen fertigmachen, sie hatten mich in diese blöde Situation gebracht, sie würden dafür bezahlen. Ich trat immer wieder auf sie ein, wütend, rasend, wie ein von einer unaufhaltsamen Zerstörungswut Besessener. Einige krabbelten an meinen Beinen hoch und bissen mich erneut, aber ich fühlte nichts mehr, der Schmerz hatte für einen Augenblick aufgehört zu existieren. Es gab nur einen einzigen Gedanke in meinem Kopf: vernichte die Ameisen. Ich trampelte, ich stampfte auf denen, die am Boden waren herum und zerdrückte die, die auf meinem Körper herumliefen mit heftigen Schlägen, zerquetschte sie an meinen Beinen, meinen Armen oder meiner Brust. Einige Minuten lang war das mein einziger Krieg, meine einzige Welt: Tritte, Schläge mit der Hand, Schreie vor Wut und zu lange zurückgehaltener Frustration. Ein vor Wut rasender Gulliver, der Liliput zerstört. Danach entfernte ich mich einige Schritte, sackte auf dem Boden zusammen und war eine Zeitlang wie weggetreten, völlig meinem Schicksal überlassen, blind für alles, was um mich herum geschah, für nichts anderes zu erreichen als dem Nichts, der innere Leere. Schließlich kam ich zu mir. In der Nacht hatte ich gemeint, das Plätschern eines nahen Wasserlaufs zu hören, also machte ich mich auf, ihn zu suchen, nackt, lustlos, zitternd, mit Juckreiz am ganzen Körper, den Wanderstock in der Hand und den Rucksack auf der Schulter. Hinter mir eine Myriade von zerquetschten Ameisen und noch viele mehr, die in ihrem besonderen Tanz wie verrückt wild durcheinanderliefen.
Tatsächlich hatte mich mein Gehör nicht getäuscht. Ein Fluss von ungefähr fünf Meter Breite bahnte sich vor meiner Nase einen Weg durch die Bäume. Mein erster Gedanke war, mir die Turnschuhe auszuziehen und mich ins Wasser zu werfen, aber ich erinnerte mich an etwas über Blutegel und kontrollierte zuerst aufmerksam das Wasser am Ufer, entschlossen die Vorsicht einen Moment lang über die Verzweiflung siegen zu lassen. Allein der Gedanke, einer könnte an meinem Körper kleben, sich festsaugen und mein Blut trinken erschreckte mich. Als ich die Hand ins Wasser hielt, stellte ich fest, dass das Wasser nicht so kalt war, als dass ich es nicht eine Weile aushalten könnte. Ich konnte nichts sehen, außer einigen wunderschönen kleinen bunten Fischen, von denen einige farbenprächtiger waren als andere und die zu klein zum Essen und zu schön zum Töten waren. Sie hatten einen länglichen und abgeflachten Körper, die Schwanzflosse war dreigliedrig, der mittlere Teil ähnelte Vogelfedern, die Augen waren im Verhältnis zum Kopf groß, sie waren schillernd blau, aber wenn die Sonnenstrahlen auf ihre Körper trafen, glitzerten ihre Schuppen in einem unglaublichen Farbspektrum von blau bis violett10. Ich suchte nach weiteren Tieren, wie Piranhas, Krokodilen oder ähnliches, aber ich fand nichts. Also beschloss ich, nachdem ich etwas Wasser getrunken hatte, baden zu gehen.
Ich ging ein Stück ins Wasser, vergewisserte mich aber zuerst mit dem Wanderstab, dass der Untergrund fest war und behielt die Turnschuhe an, weil ich Angst hatte, dass mich irgendein Viech stechen oder ich mir etwas in den Fuß treten könnten. Bei der ersten Berührung überlief mich aufgrund des Temperaturunterschieds zwischen Wasser und Luft ein Kälteschauer, aber ich gewöhnte mich schnell daran. Um mich herum flogen ein paar Libellen in leuchtenden Farben, mit ihren länglichen Körpern und ihrem schnellen und sicheren Flug. Es gab auch viele andere Insekten, sowohl welche die flogen als auch welche die auf dem Wasser liefen, als wäre es eine Schlittschuhbahn.
Als mir das Wasser bis zu den Knien ging, blieb ich stehen und spritzte mir den ganzen Körper mit den Händen nass. Die erfrischende Wirkung des Wassers auf die unendlichen Ameisenbisse, die unzähligen Kratzer und auf das geschwollene Knie war eine unglaubliche Erleichterung. Die Möglichkeit eine Weile im Wasser zu sein, alles zu vergessen, jede Sekunde zu genießen, entspannte mich zutiefst. Ich schloss die Augen und tauchte mit dem Kopf unter Wasser, wobei ich die Luft so lange wie möglich anhielt und ich spürte wie das kühle Wasser über meine Haut strich, sie umschloss und sanft liebkoste. Einige kurze Augenblicke lang waren alle Probleme, alle Sorgen verschwunden. Ich trank auch große Schlucke Wasser, bis mein Durst vollständig gestillt war. Als ich aus dem Wasser stieg, war ich entschlossen um jeden Preis zu überleben, meine Lebensgeister waren wieder erwacht, mein Kopf bereit für den Kampf
In einem Baum in der Nähe hörte ich ein Geräusch und versteckt mich schnell im Dickicht. Jetzt hatten sie mich gefunden, nackt und ahnungslos, sie würden mich sicherlich töten, mich ohne jedes Mitleid ermorden, mich opfern wie ein niederträchtiges Tier. Ich wollte nicht sterben. Könnte ich sie nicht getäuscht haben? Hatte ich nicht schon genug mit den Ameisen gehabt? Vor meinem inneren Auge erschienen Bilder von Juan wie in einer Abfolge von kurzen Blitzen, der von den Rebellen mit Maschinengewehren erschossen worden war, und das Bild von Alex leblosem Körper nach dem Aufprall auf seinem Platz im Flugzeug und dem Blut, das von seiner Stirn tropfte, quält mich ein weiteres Mal. Ich stelle mir vor, wie ich selbst aus mehreren Löchern blutete, die von den Schüssen der Rebellen herrührten, auf dem Boden liegend zu Füssen eines großen Baumes, sie lachend, ich sterbend. Der Schmerz… Ich beobachtete suchend die Blätter der Bäume und entdeckte schließlich den Ursprung des Geräusches: ein Affe von ca. fünfzig Zentimeter Größe mit einem ebenso langem Schwanz, das Gesicht war bläulich, auf jeder Seite verlief vom Auge zum Ohr ein dunkler Fellstreifen, über den Augen befand sich ein querverlaufender heller Streifen, der größte Teil des Körpers war gelbbraun und der Hals, die Brust und der Bauch waren weiß11. Vielleicht war es mir doch nicht vorherbestimmt, heute zu sterben. Langsam erschien immer mehr von ihnen und fünf gesellten sich zusammen, sprangen von Ast zu Ast, wobei sie schrille Schreie ausstießen. Vermutlich spielten sie oder etwas in der Art, sie kletterten einen Ast hinauf und schüttelten ihn mit aller Kraft und schrien dabei. Vielleicht war gerade Paarungszeit, ich hatte keine Ahnung, aber es war ein grandioses Schauspiel. Mein Herz kehrte allmählich zu seinem normalen Pulsschlag zurück. Das letzte, was ich von ihnen sah, war, wie einer etwas vom Boden aufhob, das aus der Entfernung wie ein Hundertfüßer aussah und es aß.
Auf dem anderen Uferseite erschien ein weiterer Affe von ähnlicher Statur, aber anderer Farbgebung. Dieser hatte ein schwarzes Gesicht, die Koteletten, der Bart, die Brust und ein Teil der Arme waren weiß. Er war dunkler gefärbt und hatte einen dreieckigen rot-orangefarbenen Fleck im Lendenbereich. Er war größer und stämmiger als die anderen12. Er trank etwas Wasser, in dem er es mit der Hand zum Mund führte und verschwand. Ich verweilte einen Augenblick und schaute den anderen beim Spielen und Springen zu. Es war eine einzigartige Erfahrung, von der ich niemals geglaubt hätte, dass ich sie machen würde. Wieder einmal erinnerte ich mich an meine beiden toten Freunde und daran, wie sehr sie es genossen hätte, das hier zu erleben, vor allen Dinge der fröhliche Alex, der sich immer so für alles interessiert hatte. Mit wem sollte ich jetzt über diese Momente sprechen? Mit wem könnte ich sie teilen? Da war niemand, der sie mit mir erlebt hätte, niemand, der es verstehen könnte. Nein! Das durfte ich nicht denken, das half mir nicht dabei, weiterzumachen und was ich jetzt machen musste, war so viel Energie wie möglich zu sammeln, um überleben zu können. Mein einziges Ziel musste es sein, aus diesem verfluchten Urwald herauszukommen. Dieser grünen Hölle zu entfliehen.
Ich zog die Turnschuhe aus, wrang sie etwas aus, damit das Wasser herauslief und hängte sie an einen Ast, damit sie trockneten. Dann nahm ich die Wasserflasche und suchte mir eine Stelle mit fließendem Wasser, um sie aufzufüllen. Ich meinte gelesen zu haben, dass man kein Wasser aus stehenden Gewässern trinken sollte, da es wahrscheinlicher war, dass es dort ungesund und mit irgendwelchen Keimen belastet war. Natürlich hätte ich mich schon daran erinnern sollen, bevor ich etwas getrunken hatte. Es juckte mich immer noch am ganzen Körper, auch wenn es nicht mehr so schlimm war wie zuvor. Ich spürte ein Stechen am Oberschenkel und als ich hinuntersah, um festzustellen, ob ich dort etwas abbekommen hatte, sah ich einen Blutegel an meinem Bein kleben und mein Blut saugen. Er sah aus wie eine Nacktschnecke, vielleicht etwas dünner. Zuerst war ich erschrocken, dann überlegte ich, was ich machen sollte. Wenn ich mich recht erinnerte, entfernte man Blutegel mit Salz oder indem man sie verbrannte. Ich holte das Feuerzeug heraus und hielt die Flamme so lange an den Blutegel, bis er sich zusammenzog, diesen Moment nutzte ich, um ihn mit dem Taschenmesser von meinem Bein zu lösen. Dort,