Jutta von Kampen

Mami Bestseller Staffel 4 – Familienroman


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lieh sie sich den Kahn. Der Bootswart behauptete wieder, es hätte in der Nacht geregnet. Aber das kannte Angie schon. Hubs hatte es ihr alles erzählt. So bat auch sie um eine alte Konservendose, damit sie das überflüssige Wasser herausschöpfen konnte.

      Mit langen Zügen ruderte sie auf den See hinaus. Dabei starrte sie in die Pfütze, die sich zu ihren Füßen vergrößerte. Weil sie schon fürchtete, ihr Malzeug aus dem See fischen zu müssen, machte sie sich bald an die Schöpfarbeit. So trieb der Kahn über den spiegelglatten See. Es war bedeckt, aber regnen würde es nicht. Die Sonne hatte sich nur hinter einigen leichten Wolken verborgen.

      Angie arbeitete fieberhaft, und allmählich klang die Erregung über Hubs und dessen freche Reden ab. Sie fragte sich nur, wie es weitergehen sollte. Hatte ihre Durchsetzungskraft durch alle diese Aufregungen nachgelassen? Oder war es die Enttäuschung über Thomas, die sie schwach und energielos werden ließ?

      Sie sah zur Villa hinüber. Wenn sie innen renoviert worden war, hatte Gerhard gesagt, würde er sie von außen hellblau anstreichen.

      Angie betrachtete das alte Haus, dessen alter fahlgelber Anstrich durch das Grün der Bäume schimmerte, mit halbgeschlossenen Augen. Nein, hellblau war zu kitschig. Dann schon lieber weiß. Aber Natalie hatte da ja auch noch ein Wörtchen mitzureden. Wenn sie überhaupt zurückkam.

      Da bemerkte sie eine Bewegung am Erkerfenster. Sie hob den Kopf, um den merkwürdigen Gegenstand erkennen zu können. Und plötzlich beschlich sie ein unangenehmes Gefühl. Sie glaubte sich beobachtet. Irgend jemand stand dort in ihrem Zimmer und richtete ein Fernglas auf sie. Das war bestimmt einer der Handwerker. Kaum waren alle Respektspersonen aus dem Haus, vertrieben sich die Burschen die Zeit, indem sie die Landschaft betrachteten! So etwas geschah eben in einem Paradies. Zu Hause in München wäre es ihr nie in den Sinn gekommen, die Umgebung mit einem Fernglas zu betrachten! Sie dachte an die Betonklötze vor ihrem Fenster und ruderte schnell weiter. Lange blieb sie nicht mehr in Lüttdorf. Da galt es jede Minute zu nutzen.

      Am anderen Ufer des Sees ließ sie den Kahn durchs Schilf gleiten und befestigte ihn an einer winzigen Buche. Sie nahm ihre Utensilien und stieg in den Wald hinauf. Nicht lange, und sie hatte schon einen idealen Platz mit einer bezaubernden Aussicht gefunden.

      Sie stellte die Staffelei und den Malblock zurecht, klappte ihren Hocker auf, öffnete die Tasche mit den Farben und Pinseln. Aber sie hatte vergessen, Wasser mit nach oben zu nehmen. Also lief sie noch einmal zum See hinunter.

      »Ach, du meine Güte!« rief sie erschrocken und dankte dem Schicksal, das sie noch einmal an das Ufer gezwungen hatte. Die Kette hatte sich durch die Schaukelbewegungen des Bootes von der Buche gelöst, und das Boot trieb langsam, aber sicher, aus der Schilfschneise hinaus.

      Angie mußte Schuhe und Strümpfe ausziehen, die Jeans hochkrempeln und durch das seichte Wasser hinterherwaten. Sie fürchtete sich vor Blutegeln und Fischen, die womöglich beißen würden. Aber sie erreichte das Boot noch. Als sie es diesmal befestigte, ging sie gründlich zu Werk, suchte einen dicken Stein, mit dem sie die Kette beschweren konnte, und legte sie dann um einen dicken Busch, so daß sie die Enden der Kette an den Zweigen verhaken konnte.

      »Uff!« Als alles getan war, blieb sie vorsichtshalber noch ein wenig auf dem Moos sitzen. Sie wollte das Boot beobachten. Ihre Patentlösung schien erfolgversprechend. Der Stein rollte trotz der Bewegungen der Kette nicht fort.

      Angie erhob sich. Sie schaute nach oben in die Baumwipfel. Das Laub der Buchen rauschte geheimnisvoll. Es war das einzige Geräusch, das weit und breit zu hören war.

      Wieder stellte Angie fest, daß sie hier an einem paradiesischen Plätzchen gelandet war. Am liebsten wäre sie für immer hiergeblieben. Aber die Ereignisse der letzten Tage waren nicht spurlos an ihr vorübergegangen.

      Die unberührte Landschaft, die Lichter auf dem Wasser, das Hell und Dunkel des Grüns konnten sie nicht mehr täuschen. Gerhard betrog seine Frau, und wahrscheinlich würde Natalie ihm nicht verzeihen können. Sein siegessicheres Lächeln konnte das Geschehen nicht wieder vergessen machen. Und seine Kinder, Angie seufzte, würden nun auch ohne Vater aufwachsen müssen. Wie Hubs.

      Am meisten ärgerte sie, daß sie sich für eine Aufgabe hergegeben hatte, die ihrem Wesen in keiner Weise entsprach.

      Nein, sobald Gerhard zurückkam, würde sie fortfahren.

      Sie ging wieder auf ihre Staffelei zu und setzte sich mit einem leisen Stöhnen auf den Schemel. Vielleicht versetzte die Arbeit an den Aquarellen für den Münchener Kinderarzt sie in bessere Stimmung.

      Aber was war das? »Oh!« kam es überrascht von ihren Lippen. Denn mitten auf dem frisch gespannten Papier leuchtete ihr ein rotes Herz entgegen. Sie sah sich hastig um, aber weit und breit war kein Mensch zu sehen. Aber irgend jemand mußte sich doch gerade an ihren Pinseln und Farben vergriffen haben! Nein, das war keine Fata Morgana. Aber wo war dieser Witzbold?

      Plötzlich wurde sie ängstlich, denn ihre Überlegungen machten ihr klar, wie allein sie hier in diesem Wald am See war. Sie fragte sich schon, ob sie nicht ihre Utensilien in aller Eile zusammenraffen und wieder in den Kahn steigen sollte. Da vernahm sie auch noch ein Knacken. Vor Furcht schrie sie auf! Und dann erkannte sie ihn. Er stand hinter einem Baum.

      »Thomas! Nein, was bist du für ein Idiot! Mich so zu erschrecken!«

      Er lächelte sie stolz und schelmisch an. Er war wirklich ein Spinner. Da mochte Gerhard ein noch so schlechter Ehemann sein, als Menschenkenner hatte er sich sein Brot verdienen können.

      Thomas Hassberger kam näher. Er stellte sich hinter sie und berührte ihre Schultern. Dann beugte er sich vor und wollte ihren Nacken küssen. Angie machte eine hastige Bewegung. Er verlor das Gleichgewicht und kippte vorn­über, so daß er sich gegen sie stützen mußte. Angie rutschte vom Schemel. Und da saß sie nun auf dem Waldboden und funkelte ihn strafend an.

      »Ich wollte dich nicht mehr sehen, Thomas. Was sollen diese Scherze? Dieses Treffen ist ja wohl kein Zufall. Mit uns ist es aus. Ich kann nur noch Bitterkeit für dich empfinden.«

      »Du?« schmunzelte er und half ihr wieder auf die Füße. »Du und verbittert? Warum eigentlich? Was habe ich verbrochen?«

      Sie stand jetzt vor ihm und zitterte am ganzen Körper. Es mochte der Schrecken sein oder aber der Zorn, der sich dumpf und mächtig in ihr ausbreitete.

      »Du hast mich belogen, Thomas. Du kennst Nora Anderson. Als ich dich hilflos und ratsuchend um deine Meinung bat, bist du mir ausgewichen. Wie ein Feigling! Hast du etwa auch etwas mit ihr gehabt?«

      Thomas, der eben noch ihre Hand festgehalten hatte, ließ sie los. Sein Gesicht wurde ernst, Angie bemerkte es, und wieder stellte sie fest, daß ihr der Ausdruck seiner Augen gefiel. Aber was nützte das? Gerhard hatte sie belogen, und das war schlimm genug. Daß aber Thomas sie angeschwindelt hatte, traf sie viel mehr. Das war, so glaubte sie in diesem Augenblick, nicht wiedergutzumachen. Es berührte sie zutiefst. Denn sie hatte sich in ihn verliebt. Also mußte sie ihre Gefühle unterdrücken.

      Er schob ihr den Schemel hin, aber sie setzte sich nicht. Abwartend und mit dem azurblauen Blick, den ihre Umwelt so fürchtete, sah sie ihn an.

      »Ja, ich kannte Nora«, gab er zu.

      »Warum hast du mir nicht gesagt, daß mein Bruder und sie…«

      Er schüttelte kurz den Kopf.

      »Ich konnte es nicht, Angie. Ich habe Nora über einen schwedischen Freund kennengelernt. Ich fand sie nett und niedlich. Das ist doch kein Verbrechen. Und dann begriff ich, daß sie es auf deinen Bruder abgesehen hatte. Die Frau deines Bruders habe ich nie zu Gesicht bekommen. Ich wußte nur, daß Gerhard Stellmann aus der Großstadt herausziehen und sich in Lüttdorf niederlassen wollte. Das hatte er mir beim ersten Zusammentreffen erzählt.«

      »Ja, und?«

      Er hob die Schultern. »Nichts weiter. Als er sich für die Villa entschied und ich von meinem Kaufinteresse zurücktrat, hatte Nora ihm schon den Kopf verdreht. Sie redete ihm ein, er sollte sich aus seinem Berufsleben zurückziehen, Ich hielt das für einen ausgemachten Unsinn. Und ich sagte es ihm. Nora