wurde knallrot.
»Darum bitte ich dich, schön hierzubleiben, mein Junge.«
»Mensch«, stöhnte Hubs und fuhr sich mit einer fahrigen Geste durchs Haar. »Sie haben ja den totalen Durchblick.«
Thomas sah Gerhard an, der wich seinem Blick aus.
»Ich weiß es doch, Herr Doktor«, meinte er nach einer Weile des Überlegens. »Sie und meine Schwester – also, Hubs hat mir erzählt, wie gut Sie sich verstanden haben. Mit Angie ist eine Veränderung vor sich gegangen. Woran das liegt, kann ich nur erraten. Sie selbst spricht kein Wort darüber. Aber es muß mit Nora Anderson und mit mir zusammenhängen.«
Thomas nickte. »Ja, so ist es. Es begann mit Nora. Und dann ergriff ich dummerweise Ihre Partei, Herr Stellmann. Angie fand dafür kein Verständnis. Um das bei ihr zu erwecken, erzählte ich ihr von meiner Ehe. Ich hätte es nicht tun sollen. Angie hat kein Vertrauen mehr zu mir.«
»Aber ich«, gestand Hubs. Thomas sah ihn an. Der Junge gefiel ihm immer besser. Er lächelte ihn an.
»Ich gebe dir kein Medikament, Hubs. Ich bin Arzt.« Er erhob sich, denn draußen im Wartezimmer wurden Stimmen laut. Es waren noch Patienten gekommen. Gerhard sah ein, daß Thomas ihnen nicht helfen wollte.
»Dann«, seufzte er, »müssen wir Angie wohl nach München zurückfahren lassen. Schade. Ich habe meine Schwester gern um mich. Sie ist eine wunderbare Frau. Eine gute Köchin, eine talentierte Malerin, eine schlagfertige Schwester, eine zärtliche Tante.«
»Eine harte Mutter«, grinste Hubs. »Hart wie Diamant. Aber ich mag sie trotzdem.«
Als Gerhard sich von Thomas verabschiedete, sahen sich die beiden Männer sekundenlang schweigend an. Sie waren sich auch ohne Worte nähergekommen. Sie wußten, sie würden Freunde sein. Mit oder ohne Angie.
»Er ist ein Spinner«, stöhnte Hubs, als er im Auto seines Onkels saß. »Aber ein prima Kerl.«
Gerhard schüttelte den Kopf. »Er ist Arzt, Hubs. Ich habe von Anfang an bezweifelt, daß er ein Mittel für Angie herausrücken würde.«
»Du«, sagte Hubs da. »Du, Onkel Gerhard. Ich habe da noch eine Medizin. Die hat Thomas Hassberger mir verschrieben, als ich die Zigaretten gelutscht habe. Die flöße ich Mami einfach ein. Was kann denn schon passieren? Du wirst es einfach nicht wissen und…«
»… und wie willst du das machen?«
Hubs schlug sich auf die Schenkel. »Die Pralinen, Onkel Gerhard. Die Pralinen deiner Schwiegermutter!«
*
»Wie geht es dir jetzt, Angie?«
Es war noch sehr früh, aber Natalie saß, bereits fix und fertig angezogen am Bett ihrer Schwägerin. Angie hatte eine schreckliche. Nacht hinter sich. Leibkrämpfe und Brechreiz hatten sie kaum zur Ruhe kommen lassen, und Natalie hatte ebenfalls kaum ein Auge zubekommen.
»Miserabel«, stöhnte Angie. Sie fröstelte. Natalie griff nach ihrer Hand.
»Du bist ja eiskalt.«
»Ja, ich zittere vor Kälte. Und wenn ich mich aufrichte, wird mir schwindelig.«
»Reisen kannst du nicht, Angie. Heute bleibst du erst mal im Bett.«
Die Tür wurde aufgerissen. Hubs steckte seinen Kopf hinein.
»Nee, an Abreise ist gar nicht zu denken, Mami. Ich bin dafür, daß wir einen Arzt kommen lassen.«
»Jeden«, stöhnte Angie und wälzte sich von einer Seite zur anderen, »nur nicht Thomas.«
Eine halbe Stunde später saß Thomas an ihrem Bett. Er fühlte ihr den Puls, sah ihr in den Hals und ließ sich nicht von ihren bösen Blicken einschüchtern.
»Was hast du gegessen, Angie?«
»Gegessen?« wiederholte sie mit schwacher, aber abweisender Stimme. »Meine Güte, was soll ich schon gegessen haben? Wurstbrot und rote Grütze. Wie immer.«
»Und getrunken?«
Sie stöhnte.
»Hast du vielleicht Alkohol zu dir genommen? Etwa in reichlichem Maße?«
»Quatsch! Nur ein paar Likörpralinen.«
»Die hat Hubs dir geschenkt, was?«
»Nein.« Sie lächelte trotz ihres miserablen Zustands triumphierend. »Nein, von Gerhards Schwiegermutter habe ich sie bekommen.«
»Aber Hubs hat sie dir gebracht und sie dir wärmstens empfohlen.«
»Woher weißt du das?«
»Ich weiß mehr, als du denkst, Angie. Ich weiß, daß ich dich liebhabe und dich nicht gehen lassen möchte. Aber ich weiß auch, daß es noch andere Leute gibt, die diese Wünsche hegen. Und die haben zu üblen Methoden gegriffen, um dich ans Bett zu fesseln.«
»Du redest Unsinn!« flüsterte Angie. Ihre blauen Augen sahen ihn aus dem blassen Gesicht strafend an. »Sag mir lieber, was ich habe. Du bist doch Arzt.«
»Das kann ich erst, nachdem ich deinen Sohn interviewt habe.« Thomas erhob sich und verließ das Zimmer. Draußen rief er lautstark nach Hubs. Aber der hatte sich in den Garten verzogen. So lief Thomas hinunter. Angie war allein.
Sie fühlte sich eigentlich schon viel besser. Es war doch gut, wenn ein Mann wie Thomas in der Nähe war. Er vermittelte ihr ein Gefühl der Geborgenheit. So, als könnte er ihr alle Sorgen vom Hals schaffen und jeden kleinen Ärger mit einem Lächeln verschwinden lassen. Wenn nur diese Schwindelanfälle und Leibschmerzen endlich aufhörten! Sie preßte ihr Gesicht ins Kissen. Jetzt, da Thomas das Zimmer verlassen hatte, fühlte sie sich gleich wieder elender. Sie sehnte ihn herbei. Aber es dauerte eine Ewigkeit, bis er wieder an die Tür klopfte.
»Wo warst du so lange?« fragte sie vorwurfsvoll.
Thomas lächelte. Er hielt eine Flasche Coca-Cola und ein Päckchen Salzstangen bereit, setzte sich zu ihr und gab ihr etwas zu trinken. Angie fragte zunächst nichts. Sie vertraute ihm und trank einige Schlückchen, knabberte brav ein paar Salzstangen.
Thomas beobachtete sie dabei amüsiert. »Wunderst du dich nicht über meine Therapie?« fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Du bist doch ein Spinner, aber ich vertraue dir.«
»So? Auf einmal? Weil es dir schlecht geht?«
Sie nickte ernsthaft. »Was soll ich denn machen, Thomas?«
Er beugte sich über sie und küßte ihre Stirn. »Danke für dein Vertrauen, Angie. Hoffentlich erstreckt es sich nicht nur auf den therapeutischen, sondern auch auf den privaten Bereich.«
»Wieso?«
Er legte seinen Arm unter ihre Schultern und sah sie liebevoll an.
»Ich habe Hubs neulich ein Medikament verschrieben. Das hat dein Sohn in die Likörpralinen gespritzt. Er sollte fünf Tropfen in Wasser aufgelöst zweimal täglich nehmen. Er hat dir die zehnfache Portion verabreicht. Dieses Mittel erzeugt Bakterien im Darm, um Vergiftungserscheinungen abklingen zu lassen. Du mußt ganze Kolonien dieser Bakterien entwickelt haben, Angie. Das haut den stärksten Mann um. Ich habe Hubs schon gehörig die Meinung gesagt.«
Angie schloß die Augen. »Mein eigener Sohn vergiftet mich«, stöhnte sie. »Ich werde mit ihm nicht mehr fertig, Thomas.«
»Er hat es aus Liebe getan, und dein Bruder hat ihn auch noch dabei unterstützt. Morgen geht es dir besser. Am Ende der Woche können wir fahren.«
»Wir? Wieso? Wohin?«
»Hubs und ich haben entschieden, daß wir gemeinsam mit meinem Wagen nach München fahren, dort eure Angelegenheiten regeln und dich dort zurücklassen. Hubs möchte hier zur Schule gehen. Das wird sich machen lassen, wenn er heute gleich den Direktor der Schule aufsucht. Du mußt ihm nur eine Bescheinigung ausstellen.«
Sie