Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 3 – Familienroman


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      Auch Oliver weinte. Scheu fasste er nach Andreas’ Hand. »Du, Heidi hat mir eine schöne Geschichte vom lieben Gott im Himmel erzählt. Sie behauptet, dass ihre Eltern jetzt Engel sind und es sehr gut im Himmel haben«, berichtete er seinem Freund. »Sie fliegen jeden Abend zur Erde herunter und halten an Heidis Bett Wache. Sie wissen auch ganz genau, was Heidi jeden Tag von morgens bis abends tut. Deine Eltern tun das bestimmt auch«, erklärte er und wischte sich die Tränen fort. »Nur sehen können wir die Engel nicht. Aber die Engel können alle Menschen sehen.

      Auch der liebe Gott kann uns sehen. Weißt du, was Heidi mir noch erzählt hat? Dass ihre Eltern und auch viele andere Eltern, die ihre Kinder auf der Erde zurücklassen müssen, weil sie gestorben sind, jedes Mal weinen, wenn ihre Kinder weinen. Darum regnet es so oft auf der Welt.« Er streckte seinen rechten Arm aus. »Siehst du, Andreas, deine Eltern weinen jetzt auch, denn es regnet wirklich.«

      Womit er recht hatte. In erstaunlicher Schnelle hatte sich der Himmel mit grauen Wolken überzogen, aus denen bereits die ersten Regentropfen fielen.

      Andreas nickte und fragte dann: »Stimmt das auch, Tante Isi?«

      »Die Menschen glauben das, Andreas«, antwortete sie vage. »Wir Menschen sind nicht allwissend, aber ich glaube auch, dass es so ist. Jedes Mal, wenn ich weine, regnet es auch.«

      »Dann sind deine Eltern auch Engel, nicht wahr, Tante Isi?« Oliver fasste nach ihrer Hand.

      »Das sind sie gewiss, Oliver. So, jetzt kommt aber, sonst werden wir ganz nass.«

      »Bestimmt weinen jetzt viele Eltern«, meinte Oliver.

      »So wird es sein.«

      Als die drei in Sophienlust eintrafen, stand Henrik im strömenden Regen auf der Terrasse.

      »Henrik, bist du denn von allen guten Geistern verlassen?«, rief Denise schon von Weitem. »Du bist ja schon bis auf die Haut durchnässt. Du wirst dir einen Schnupfen holen.«

      »Das will ich ja auch, Mutti«, erklärte der Siebenjährige trotzig und warf den Kopf in den Nacken. »Ich will so krank werden, dass ich sterbe.«

      »Henrik, was ist denn in dich gefahren?« Denise sah ihren Jüngsten ratlos an. Andreas und Oliver waren schon vorausgelaufen.

      »Ich bin so unglücklich, Mutti«, gestand der Junge weinerlich.

      »Unglücklich? Aber warum nur?« Denise nahm ihn bei der Hand. »Zuerst musst du aus den nassen Sachen heraus.«

      »Aber ich will doch krank werden«, schluchzte er auf.

      Denise ging mit Henrik in ihr Zimmer und zog ihn um. Sie hatte für solche Fälle immer trockene Sachen für ihren Jüngsten in Sophienlust bereitliegen. »So, und nun schütte mir dein Herz aus, mein Junge«, bat sie zärtlich.

      »Weil du mich doch nicht mehr liebhast, Mutti.«

      »Was sagst du da? Aber, Henrik, das ist doch Unsinn.«

      »Seit Andreas da ist, kümmerst du dich nur noch um ihn und um Oliver.«

      »Du brauchst nicht eifersüchtig auf Andreas und Oliver zu sein. Henrik, ich habe den beiden doch nur helfen wollen. Das musst du doch einsehen. Stell’ dir mal vor, wie schlimm es für dich wäre, wenn du auf einmal keine Mutti und keinen Vati mehr hättest. Dann wärst du froh, wenn jemand lieb zu dir wäre.«

      »Aber ich habe doch euch. Du und Vati, ihr bleibst doch immer bei mir. Ihr könnt doch nicht sterben.«

      »Wir alle sind sterblich, mein Junge. Selbst kleine Kinder können schon sterben. Aber wir wollen nicht mehr darüber reden, denn wir sind alle gesund und haben einander lieb.« Sie zog Henrik an sich und küsste ihn. »Und du bist unser Nesthäkchen, unser Kleinster.«

      Henrik lächelte glücklich. Mutti durfte das zu ihm sagen. Er war gern ihr Nesthäkchen, ihr Kleinster. Nur Nick durfte ihn nicht Kleiner nennen. Das ärgerte ihn ganz schrecklich.

      »Mutti, ich bin schon nicht mehr eifersüchtig auf Andreas und Oliver. Ich war nur traurig, weil sie auch kleine Jungen sind. Wenn du ein kleines Mädchen liebhast, bin ich gar nicht traurig.«

      Denise verkniff sich ein heimliches Lächeln über die eigenartige Logik des Kleinen. »So, und nun fahren wir schleunigst nach Schoeneich. Vati wird schon von Frankfurt zurück sein. Ich werde nur noch Nick fragen, ob er heute Nacht hierbleiben oder mitfahren will.«

      Nick entschloss sich, sie zu begleiten. »Ich muss mal wieder in meinen Büchern schmökern. Und dann möchte ich morgen früh wieder einmal mit Vati über die Felder reiten. Man kann schließlich nicht immer nur mit Kindern beisammen sein in meinem Alter.«

      Wieder schmunzelte Denise verstohlen, diesmal über ihren älteren Sohn. »Dann kommt!«, rief sie munter. Sie winkte noch Frau Rennert zu, die auf der Freitreppe erschien, und rief: »Herzliche Grüße an alle. Morgen bin ich gegen Mittag wieder da.« Dann stieg sie in ihr Auto ein, in dem ihre Söhne schon Platz genommen hatten.

      Alexander von Schoenecker war tatsächlich schon nach Hause zurückgekehrt. Freudig begrüßte er seine Familie.

      Als Denise mit ihrem Mann allein war, erzählte sie ihm von Henriks Eifersuchtsanfall.

      »Ich verstehe den Jungen, Denise.« Alexander umfasste ihre Hände und zog sie abwechselnd an die Lippen. »Auch ich bin oft eifersüchtig.«

      »Du? Auf wen denn?« Verwundert erwiderte sie seinen Blick.

      »Auf Sophienlust, Denise. Sophienlust nimmt dich voll und ganz in Anspruch. Die vielen Schicksale, mit denen du immer wieder konfrontiert wirst, lassen dich oft vergessen, dass du einen Ehemann hast.«

      »Niemals vergesse ich dich!«, empörte sie sich. »Du und unsere Kinder, ihr steht in meinem Herzen an erster Stelle.«

      »Das glaubst du, Denise. Aber wir hier in Schoeneich wissen es besser.« Plötzlich lachte Alexander und zog sie an sich. »Denise, Liebes, mach’ kein so entsetztes Gesicht. Ich bin ein geduldiger Ehemann und …«

      »Hör’ bitte mit diesem Unsinn auf.« Denise lachte nun auch herzlich. »Ihr scheint euch alle gegen mich verschworen zu haben. Aber ich werde mich bemühen, etwas liebevoller zu euch zu sein«, fügte sie humorvoll hinzu.

      »Das will ich mir auch ausgebeten haben, du Rabenmutter und treulose Ehefrau.« Alexander küsste sie zärtlich.

      Nick, der seine Eltern noch etwas hatte fragen wollen, zog sich still zurück, als er die beiden in inniger Umarmung erblickte. Glücklich atmete er auf. Ich kann schon mit meinem Los zufrieden sein, dachte er und ging wieder in sein Zimmer.

      *

      Clemens hatte versucht, bei Renate Vogt Trost zu finden. Aber als er am nächsten Morgen mit einem schalen Geschmack auf der Zunge aufwachte, wurde ihm klar, dass er bei keiner Frau über die Enttäuschung, die Gesa ihm bereitet hatte, hinwegkommen würde.

      Renate war dagegen überzeugt, dass sie eines Tages in die Villa in Grünwald einziehen würde, obwohl Clemens sehr abweisend zu ihr war.

      Er bat sie auch nicht mehr um ein Rendezvous. Aber sie konnte warten. Die Zeit würde auf ihrer Seite sein, dachte sie und benahm sich im Werk ganz so, als habe es nie eine intime Beziehung zwischen ihr und ihrem Chef gegeben.

      Clemens war Renate dafür unendlich dankbar. Trotzdem spielte er mit dem Gedanken, ihr eine phantastische Stellung in Südamerika zu vermitteln. Sie sprach fließend Spanisch und Englisch und würde dort das Doppelte wie bei ihm verdienen. Sehr vorsichtig ging er dabei vor, so dass Renate lange brauchte, um zu begreifen, was er im Sinn hatte.

      Renate war kein Kind von Traurigkeit. Als sie erkannte, dass Clemens nicht die Absicht hatte, sie zu heiraten, weil er seine Frau noch immer liebte, griff sie mit beiden Händen nach der angebotenen Stelle.

      Clemens atmete innerlich auf, als feststand, dass Renate schon in Kürze nach Südamerika abfliegen würde. Nachdem diese Angelegenheit geregelt war, fuhr er für einige Tage nach Sophienlust.

      Einerseits