42. Das Zweiundvierzigste oder das, in dem ich in einem Schrank saß.
43. Das Dreiundvierzigste oder das, in dem mein Plan aufging.
44. Das Vierundvierzigste oder das, in dem ich als Einzige ruhig blieb.
45. Das Fünfundvierzigste oder das, in dem etwas nicht stimmte.
46. Das Letzte oder das, in dem ich ging.
47. Das wirklich Letzte oder das, in dem sich alles fügte.
Prolog
Ich lehnte an einer Marmorsäule und verfluchte innerlich meine Mutter, während ich nett lächelte und mir wünschte, dass auch nur ein Wort aus dem Mund meines Gegenübers sinnvoll erscheinen würde.
»Doch der Eisbär sagte: ›Ich bin der Baron von Münchhausen!‹ Und dann biss er dem Pinguin den Kopf ab«, erzählte er gerade und ich hatte leider noch nicht genügend Punsch getrunken, um auch nur vorzugeben, dass sein Witz lustig gewesen wäre.
Er hatte ein recht ansehnliches Gesicht, aber seine Aufmachung war lächerlich. Was auch immer die Mode gerade diktierte, Männer sollten keine fliederfarbenen Westen tragen. Das war einfach nur grotesk albern.
»Sie lachen gar nicht«, stellte er mit seinem messerscharfen Verstand fest und ich hätte gerne über so viel Gedankenlosigkeit geseufzt. Doch es ging nicht, dafür fehlte mir einfach die Luft.
Mein Korsett war so eng, dass ich kaum atmen konnte und ich schwören könnte, dass mir langsam die Beine einschliefen, weil nicht genug Platz für Blutzirkulation blieb.
Mary-Ann hatte mich so zusammengeschnürt, damit ich in das hellblaue Monster von einem Ausgehkleid passte, das Mutter mir extra aus London hatte kommen lassen, um die dörflichen adligen Junggesellen mit meinem Anblick zu beglücken. Mutter sagte, es sei zur Zeit Mode in London, so eng geschnürt zu sein, und alle jungen Dinger machten das heutzutage. Doch für mich war das unerträglich und ich bildete mir ein, an Sauerstoffmangel verenden zu müssen, wenn ich meinen Platz in der Nähe des geöffneten Fensters verlassen sollte.
Ich fand es völlig unsinnig, den Körper einem Kleidungsstück anzupassen, anstatt das Kleidungsstück dem Körper.
Doch was wusste ich schon? Ich war ja nur ein faules, nichtsnutziges Ding, das es nötig hatte, die jungen Männer mit hellblauen Taft zu bezaubern, damit sie über meinen missratenen Charakter hinwegsehen konnten.
Der junge Mann beäugte mich immer noch erwartungsvoll.
»Die Geschichte ist abwegig«, begann ich und wusste genau, dass ich im Begriff war, das zu tun, was meine Mutter mir immer predigte, nicht zu tun: Ich würde ihn schulmeistern. Und junge Männer schätzten es gar nicht, wenn die Frau, die sie davon überzeugen wollten, dass sie die begehrenswerteste Partie im Saal waren, es besser wusste als sie selbst.
»Mal davon abgesehen, dass Tiere nicht sprechen können, was entschuldigt ist, da es sich ja angeblich um einen Witz handelt, kann ich nicht glauben, dass ein Eisbär so etwas tun könnte«, führte ich aus und wurde prompt unterbrochen.
»Nun ja, ich glaube schon, dass ein Eisbär stark genug wäre, einem Pinguin den Kopf abzubeißen. Das ist doch schließlich ein Raubtier«, redete der junge Mann, von dem ich dachte, dass er Hilton oder Milton hieß, leicht pikiert auf mich ein und stemmte die Hände in die Seiten, um seine Unsicherheit zu überspielen.
»Ja«, antwortete ich. »Aber ich glaube nicht, dass er dazu fähig ist, von der nördlichen auf die südliche Erdhalbkugel zu spazieren, nur um sich mit einem Pinguin um ein kugelrundes Ei zu streiten.«
Milton, oder auch Hilton, sah mich recht dümmlich an und wurde dann zu unser beider Glück von einem Bekannten begrüßt. Er stellte uns flüchtig einander vor, entschuldigte sich dann förmlich und ging.
Armer Tölpel.
Ich blieb allein zurück und konnte die Stimme meiner Mutter in meinem Kopf hören, die mich anklagte, dass ich so für immer allein bleiben und vor Einsamkeit an Schwermut erkranken würde.
Dabei war ich überhaupt nicht allein. Sie ließ mich endlose, langweilige Stunden auf Gesellschaften und Bällen verbringen, auf denen ich nur stumpfsinnige Gespräche führte. Meist mit Menschen, die sich für gebildet hielten, weil sie mal ein Buch von außen angesehen hatten und sich doch nur über die Peinlichkeiten anderer amüsierten. Und das, obwohl ich stattdessen zu Hause in meinem alten Sessel sitzen und den Gedanken brillanter Köpfe folgen könnte. Die Männer meines Lebens waren bereits bei mir und ich genoss jeden Moment mit ihnen. Ich löste an ihrer Seite Kriminalfälle mithilfe der Technik, Fingerabdrücke zu vergleichen, die bei jedem Menschen so einzigartig waren wie Schneeflocken. Ich nahm Städte ein, indem ich aus Holz ein Pferd baute und mich darin versteckte. Ich folgte literarischen Diskursen, geschichtlichen Nacherzählungen, studierte den Menschen, seinen Geist und die Seele. Ich reiste in achtzig Tagen um die Welt, lernte, wie man Flugzeuge baute, eine Melodie ersann, einen Krieg anzettelte.
Doch meine Mutter hielt es für Blödsinn. Sticken, das sei eine Tätigkeit, die für eine junge Frau meines Standes angebracht war.
Ich seufzte in mich hinein.
Wer hatte sich das bloß ausgedacht?
Das Erste oder das, in dem mein Onkel zu Besuch kam.
Sie hat ihn blamiert, Charles! Schamlos öffnet sie den Mund und wirft mit altklugen Sätzen um sich«, jammerte meine Mutter meinem Vater vor und ich verdrehte die Augen. Sie musste auch immer alles so sehr dramatisieren.
»Jedes Mal, wenn ein junger Mann sie anspricht, macht sie alles kaputt. Wieso kann sie nicht wie alle anderen Mädchen sein, die einfach still sind?«, polterte sie weiter und ich konnte mir genau vorstellen, wie sie im Zimmer auf und ab lief, die eine Hand auf die Brust gelegt und mit der anderen sich Luft zufächelnd. »Julia Goodman, das ist ein stilles Mädchen und sie war schon mit siebzehn verlobt. Oder die älteste von den Bordley-Schwestern. Sie hat gewusst, in welchem Momenten es gut war zu schweigen, und sie war mit achtzehn sogar schon verheiratet!« Sie holte tief Luft. Zwar hörte ich es nicht, aber ich wusste es auch so.
Mein Vater dagegen, der wohl entweder am Kaminsims lehnte oder seine Schreibtischkante unter dem Gesäß hatte, hielt dann immer die Luft an und fragte sich genau wie ich, warum sie ständig von stillen Mädchen redete, aber niemals selbst still war.
»Aber deine missratene Tochter sitzt den ganzen Tag auf dem Dachboden in einem alten Sessel und verschlingt Bücher, anstatt zu lernen, wie man sich richtig zu verhalten hat!«, keifte sie nun und ich konnte förmlich vor mir sehen, wie sich eine steile Falte zwischen den Augenbrauen meines Vaters bildete.
»Ani weiß, wie man sich richtig zu verhalten hat, Darling!«, verteidigte er mich und ich lächelte.
Mein rechtes Bein wurde langsam taub und ich versuchte mich anders hinzusetzen, ohne das Ohr vom Lüftungsgitter des Kamins zu nehmen, das von der Küche durch Vaters Arbeitszimmer bis hinauf zum Dachboden reichte.
»Und warum tut sie’s dann nicht?«, rief meine Mutter aus und ich seufzte leise, weil ich genau wusste, was jetzt folgte. »Sie ist schon neunzehn, Charles! Neunzehn! Langsam habe