und seine Augen, die erst so glänzend und in Erzähllaune geleuchtet hatten, verdunkelten sich schlagartig und wurden durch seine buschigen Brauen überschattet. »Oh, dieser Kerl!«, knurrte er verbissen und seine Zähne zermahlten das Fleisch mit einem Knirschen. Doch er atmete tief durch, schüttelte seine plötzliche Wut wieder ab und versuchte sich an einem neutralen Gesichtsausdruck.
»Ist alles in Ordnung?«, erkundigte Vater sich, während er sein drittes Stück Fleisch zerteilte und Onkel Alfred verkniffen nickte.
»Ach«, wehrte er ab und drei Augenpaare sahen ihn erwartungsvoll an. Er hatte unsere Neugierde geweckt. Er sah von Vater zu Mutter und zu mir und dann wieder zurück. »Es sind nur ein paar Personalprobleme«, erklärte er trocken und seine großen Hände schlossen sich fester um das Besteck. »Die mich allerdings in den Wahnsinn treiben!«, fügte er recht energisch hinzu und ich machte mir ein wenig Sorgen. Mein Onkel war für gewöhnlich ein heiterer Geselle, Sorgen standen ihm nicht.
»Iss, Animant«, ermahnte Mutter mich flüsternd und ich ließ die Finger vom Buch auf meinem Schoß und nahm das Besteck zur Hand, ohne den Blick von meinem Onkel abzuwenden.
»Macht er dir Ärger?«, wollte Vater gerade wissen und Onkel Alfred schnaubte, begann allerdings wieder zu essen, was schon mal ein gutes Zeichen war.
»Ärger ist das falsche Wort, Charles«, erwiderte er zwischen zwei Bissen und wedelte mit der Gabel in der Luft herum. »Ein kleinkarierter Bürokratenarsch ist er, dieser Bibliothekar!«, schimpfte er los und meine Mutter zuckte bei der derben Wortwahl zusammen, was mich zum Grinsen brachte und auch Onkel Alfreds Gesicht hellte sich immer weiter auf. »Ihr müsstet ihn sehen«, meinte er und das Lachen kehrte in seine Stimme zurück. »Mit seiner albernen Lesebrille, den gebügelten Hemden und dem Stock im Hintern. Er ist der Bibliothekar der Royal University Library und er hat so viel zu tun, dass er einen Assistenten benötigt. Doch alle Literatur-Absolventen, die sich zu diesem Job bereit erklären, kündigen manchmal schon nach wenigen Tagen oder werden von ihm zum Teufel gejagt. Niemand wird seinen Ansprüchen gerecht, keiner kann seinen Anforderungen genügen und ich bin bald so weit, irgendwen doppelt zu bezahlen, nur damit er den Job behält.«
»Ist er denn sehr herrisch?«, erkundigte sich Mutter vorsichtig und mein Onkel lachte auf.
»Nein, nur verschroben und zu allem bereit. Wenn ich nicht wüsste, dass die Haushälterin im Personaltrakt ständig über seine Unordnung fluchen würde, hätte ich behauptet, er schläft sogar zwischen seinen Büchern.« Onkel Alfred wischte mit einer Kartoffel das Öl aus dem Kürbisgemüse auf und schob sie sich dann in den Mund. Öl tropfte in seinen Bart und er sah aus wie ein wilder Straßenarbeiter.
Ich versuchte nicht daran zu denken, wie es in meinem Zimmer aussah, und nahm ein wenig Kürbis auf die Gabel. All die Bücher, die schon aus meinen Regalen quollen und sich unter meinem Bett stapelten. Wenn man es genau nahm, schlief ich schon seit Langem zwischen meinen Büchern.
Doch es ging hier ja nicht um mich. Schließlich war ich eine junge Frau mit Wissensdurst und kein kauziger, verstaubter, alter Bibliothekar.
»Wenn mir nicht die Universitätsleitung im Nacken sitzen würde, wäre das auch alles nicht der Rede wert. Wir würden uns in Ruhe zusammensetzen und ich würde dem Jungspund die Leviten lesen«, sagte mein Onkel belustigt und ich stolperte über das Wort Jungspund, weil es sich nicht mit dem Bild in meinem Kopf vereinen ließ, das ich mir von dem Bibliothekar gemacht hatte. In meiner Vorstellung waren Bibliothekare alt und nicht jung.
»Wie kann ich dir helfen?«, bot Vater an, so wie er nun mal war, denn seine Hilfsbereitschaft zählte zu seinen größten Stärken. Wenn es allerdings nach meiner Mutter ging, würde man es als Schwäche betrachten, denn seine Hilfsdienste ließen ihn oft lange ausgehen und meine Mutter langweilte sich dann zu Tode oder begann, ihre Träume über meine baldige Hochzeit bis ins kleinste Detail weiter auszuspinnen, um sich den Tag zu versüßen.
»Macht euch in dieser Sache bloß keine Gedanken«, erwiderte Onkel Alfred. »Ich werde schon jemanden finden, der genauso in Bücher verliebt ist wie dieser verrückte Bibliothekar«, rief er lachend und wischte sich mit einer Serviette den Bart sauber.
»Animant zum Beispiel«, zischte Mutter mir zu und ich tat, als ob ich es nicht gehört hätte, weil sie mir damit nur einen Seitenhieb verpassen wollte.
Doch Vater hatte es ganz genau gehört. Er holte tief Luft, seine Augen weiteten sich, als ihm eine Idee kam, und dann wandte er sich an seinen Bruder. »Wieso eigentlich nicht?«, fragte er und Onkel Alfred sah ihn zweifelnd an, in der Erwartung, dass Vater einen Scherz mit ihm machte.
Aber es war kein Scherz. Nichts in seinem Gesicht wies darauf hin, dass Vater es nicht völlig ernst meinte und die Idee zweifelsohne auch noch gut fand. Mir blieb für einen Moment das Herz stehen, weil ich so erschrocken darüber war, und ich biss aus Versehen auf ein Pfefferkorn, das sich im Gemüse versteckt hatte. Alles in meinem Mund zog sich zusammen und ich war bemüht, äußerlich die Fassung zu bewahren.
»Sie hat zwar nicht studiert, aber mit Büchern kennt sie sich allemal aus«, begann Vater seine Idee zu formulieren und Mutter schnitt ihm sofort das Wort ab.
»Bist du verrückt geworden? Sie ist eine junge Dame höherer Gesellschaft und du schlägst vor, dass sie arbeiten geht?«, keifte sie los und die Empörung trieb ihr die Röte auf die Stirn. »Das wäre ein Skandal!«
»Wäre es nicht, Darling«, versuchte Vater sie zu beschwichtigen. »Sie würde mal rauskommen und wäre gezwungen, ihren schlauen Kopf auch zu benutzen.«
»Aber sie müsste allein nach London«, redete Mutter bereits weiter und nun war es Onkel Alfred, der sie unterbrach.
»Sie wäre doch nicht allein, Charlotte«, widersprach er ihr und zog ein skeptisches Gesicht. »Sie würde bei Lillian und mir wohnen.«
Vater wandte seinem Bruder erstaunt den Blick zu. »Du unterstützt meine Idee?«, fragte er überrascht und mir schwirrte langsam der Kopf.
War gerade ernsthaft im Gespräch, mich nach London zu schicken, damit ich dort in einer Bibliothek arbeitete? Und war mir das überhaupt recht?
Der Gedanke, den Tag mit stupiden Arbeiten zu verbringen, anstatt einfach bequem in meinem Sessel zu sitzen und zu lesen, war mir nicht unbedingt willkommen. Aber wenn es bedeuten würde, nach London zu gehen, Neues zu lernen und wenigstens für eine gewisse Zeit der Hochzeitsplanung meiner Mutter zu entkommen, klang der Vorschlag tatsächlich verlockend.
»Deine Tochter ist schlau und sie lässt sich nicht so schnell unterkriegen. Sie wäre die perfekte Alternative zu meiner bisherigen Strategie. Und wenn es doch nichts werden sollte, dann hab ich diesen Besserwisser von einem Bibliothekar wenigstens ein bisschen geärgert«, senkte Onkel Alfred verschwörerisch die Stimme und Vater lachte.
»Niemand wird hier geärgert! Schon gar nicht ich!«, ging Mutter sofort wieder dazwischen. »Sie wird hierbleiben! Bei ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen. Sie ist doch kein Versuchsobjekt, das ihr nach London zerren und zum Arbeiten zwingen könnt, nur um zu sehen, was daraus werden könnte!« Ihre Hände waren zu Fäusten geballt und ich wartete nur darauf, dass sie damit auf den Tisch schlug wie ein Auktionator mit seinem Hämmerchen.
Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten. Verkauft. Animant Crumb, für dreitausend Pfund im Jahr an den jungen Herrn mit dem blonden Schnauzer und der hässlichen fliederfarbenen Weste.
Ich blinzelte meine unsinnigen Gedanken weg, die mir eine unangenehme Gänsehaut bescherten, und ließ das Besteck wieder auf meinen Teller sinken.
Ganz sicher würde ich nicht hier herumsitzen und darauf warten, dass Mutter mich so weit zermürbte, dass ich irgendwann ihrem Drängen nachgab und einen Mann heiratete, den ich nicht wollte, nur damit sie Ruhe gab. Diese Vorstellung behagte mir gar nicht, und ich wäre sogar bereit, ein wenig zu arbeiten, nur um ihr für eine Weile zu entkommen.
»Es muss ja nicht für lange sein«, behauptete Onkel Alfred und verzog grimmig den Mund über die Starrköpfigkeit seiner Schwägerin. »Ein Monat wäre schon ziemlich lang bei diesem Mann.«
»Nein!«,