Frauen, die du so kennst?« Zweifelnd streckte sie die Beine aus und blickte hinab auf ihre Plüschhausschuhe mit Hasenohren. Sie wackelten, wenn sie die Zehen auf und ab bewegte. »Immerhin übernimmst du mal den Betrieb deines Vaters. Als zukünftiger Geschäftsinhaber bist du sicher sehr begehrt in der Frauenwelt. Noch dazu, wo du so unverschämt gut aussiehst.« Aus Ricardas Mund klang dieses Kompliment so entwaffnend ehrlich und natürlich, dass Sebastian gar nicht erst versuchte zu widersprechen.
Zu ihrem Entsetzen nickte er auch noch. Dabei bemerkte sie nicht, wie schwer es ihm fiel, ernst zu bleiben.
»Das stimmt natürlich. Ich bin wahnsinnig begehrt«, antwortete er augenzwinkernd. »Zumindest so lange, bis diese unglaublich hübschen, erfolgreichen, modischen Frauen rausfinden, dass ich Geocaching – also diese Schnitzeljagd mit dem Navi – liebe und gern Science Fiction lese ist es gleich aus mit der großen Begeisterung.«
Als sie das Wort ›Schnitzeljagd‹ hörte, begannen Ricardas grüne Augen zu leuchten.
»Als Kind habe ich Schnitzeljagd immer geliebt. Dabei war das Suchen viel aufregender als das Finden. Oh bitte, gehst du mir mal zum Geoki … kä ….keschen?«
»Geocaching heißt es richtig«, erklärte Sebastian liebevoll und nicht minder überrascht. »Du willst wirklich mal mitkommen? Das hat freiwillig noch keine gemacht.«
»Du hast doch selbst gesagt, dass ich anders bin als die meisten anderen Frauen.« Abenteuerlustig rutschte Ricarda vom Barhocker und sah Sebastian erwartungsvoll an. »Meinetwegen können wir gleich loslegen.«
Der Dachdecker stand auch auf. Allerdings nicht, um seine Freundin zu neuen Abenteuern zu entführen.
»Leider muss das bis zum Wochenende warten. Du weißt ja, dass ich ausgerechnet jetzt wahnsinnig viel Arbeit habe.« Er nahm Ricarda in die Arme und schloss die Augen. Ihr Duft erinnerte ihn an die Leidenschaft der vergangenen Nacht, als sie ihm eine ganz andere als ihre mädchenhafte Seite gezeigt hatte. Noch immer wurde ihm schwindlig, wenn er an ihre Berührungen dachte, und schnell öffnete er die Augen wieder. »Das ist wirklich zu dumm.«
»Zu allem Überfluss hab ich dir auch noch zusätzlich Arbeit verschafft«, erinnerte sich Ricarda an den Anruf des Arztes vom vergangenen Abend. »Aber Dr. Norden war wirklich nett. Ohne ihn …«
» … hättest du den Flug nicht überlebt«, beendete Sebastian ihren Satz belustigt. »Deshalb stehe ich auch um halb elf auf seinem Praxisdach. Ich kann dir gar nicht sagen, wie dankbar ich ihm bin.«
Schlagartig wurden Ricardas Wangen heiß vor Scham.
»Scheint so, als würde ich mich wiederholen«, murmelte sie verlegen und wirkte plötzlich wieder wie ein kleines Mädchen, das sich verlaufen hatte.
Dieses Wandelbarkeit war es, die Sebastian so sehr faszinierte, und er küsste sie noch einmal, ehe es wirklich Zeit für den Aufbruch wurde.
»Kommst du ohne mich zurecht?«, erkundigte er sich besorgt und zog eine Regenjacke über. Der Wind hatte sich zwar gelegt, dafür regnete es schon den zweiten Tag ohne Unterbrechung.
»Vielleicht besuche ich dich bei Dr. Norden und schau dir zu, was du auf dem Dach so treibst«, erwiderte Ricarda und war schon wieder fröhlich und gut gelaunt.
»Ich kann’s kaum erwarten«, lächelte Sebastian und machte sich endgültig auf den Weg, ehe er ihrem Charme doch noch erlag und wieder mit ihr im Bett statt auf den Dächern seiner Kunden landete.
*
»Wenn es noch mehr regnet, können wir hier oben duschen!«, stellte Janine Merck mit einem resegnierten Blick nach oben fest.
Gemeinsam mit ihrer Freundin und Kollegin Wendy stand sie auf dem Dachboden der Praxis und rückte einen Eimer unter die Stelle, durch die langsam aber beständig Wasser tropfte.
»Mir persönlich wäre das ja zu kalt«, bemerkte Wendy und machte Anstalten, den Speicher zu verlassen.
»Dabei ist kaltes Wasser gut für die Durchblutung«, erklärte Janine augenzwinkernd und folgte ihr die Treppe hinunter. »Trotzdem müssen wir das richten lassen. Fragt sich nur, wo wir jetzt einen Dachdecker herbekommen. Das ist im Augenblick mit Sicherheit eine der gefragtesten Berufsgruppen.«
Wendy wollte eben etwas entgegnen, als eine wohlbekannte Stimme durch das Treppenhaus hallte.
»Ärzte kommen übrigens gleich nach den Dachdeckern«, rief Danny Norden munter hinauf. Bewaffnet mit einer prall gefüllten Tüte aus der Bäckerei Bärwald hatte er eben die Praxis betreten. Nichtahnend, welche schlimmen Nachrichten ihn an diesem Tag noch erwarteten, blickte er erwartungsvoll in Richtung Treppe. »Draußen vor der Tür steht schon eine Schlange Patienten. Ich bin kaum durchgekommen. Ich hab sie rein gelassen, bevor sie alle nass bis auf die Haut sind.«
Tatsächlich füllte sich die Luft mit leisen Stimme und Schuhsohlen klapperten auf dem Parkettboden.
Wendy und Janine tauschten überraschte Blicke.
»Als ich vor einer Stunde gekommen bin, war noch niemand da«, bemerkte die Ältere und nickte grüßend hinüber zu den Menschen, die den Weg in die Praxis schon so früh gefunden hatten.
»Kein Wunder. Ausreichend Schlaf ist ja auch gut für die Genesung«, hatte Janine einen weiteren guten Tipp auf Lager. »Das wissen auch unsere Patienten.«
»Du solltest einen Ratgeber veröffentlichen«, gab Wendy ironisch lächelnd zurück, während Danny seine Jacke an die Garderobe hängte und sich einen frischen Kittel aus dem Schrank daneben nahm. »Das wäre mit Sicherheit ein einträglicher Nebenerwerb.«
»Aber bitte nicht sofort. Mir reicht es schon, dass Tatjana ein Backbuch schreiben soll. Seitdem füttert sie mich ständig mit neuen Kreationen, die mit Sicherheit nicht kompatibel sind mit Ihren Ratschläge. Mal abgesehen davon, dass ich überhaupt keine Zeit mehr für meine eigentliche Arbeit hätte, wenn ich so viele Bücher lesen müsste.« Danny grinste verschmitzt und schlug den Kragen seines Kittels herunter. »Apropos Arbeit. Wo steckt eigentlich der alte König? Die Wiedersehensfreude mit seiner geliebten Königin wird bei ihm doch hoffentlich keine Amnesie ausgelöst haben?«
Janine warf einen Blick auf die Uhr.
»Kurz vor acht. Das ist wirklich seltsam. Normalerweise ist der Chef überpünktlich.« Sie hatte noch nicht ausgesprochen, als sich auch schon die Tür öffnete und Dr. Norden herein stürmte.
»Ach, sieh mal einer an. Wenn man vom Teufel spricht …«, scherzte Danny gut gelaunt. Doch angesichts von Daniels düsterer Miene verging ihm das Lachen sofort. »Was ist los?« Augenblicklich war seine Stimme ernst und professionell, eine Eigenschaft, die der Vater sehr an seinem ältesten Sohn schätzte.
»Deine Mutter wurde mit unspezifischen Symptomen in die Klinik eingeliefert.« Mit knappen Worten berichtete Dr. Norden von den grippeähnlichen Symptomen, den geschwollenen Lippen und den Bläschen im Mund. »So habe ich Fee lange nicht gesehen. Sie hat sogar geweint vor Schmerz und Schwäche.«
Eine steile Sorgenfalte erschien auf Dannys Stirn.
»Dann muss sie wirklich krank sein.« Er dachte kurz nach. »Ich würde dich ja wirklich gern zu ihr in die Klinik schicken. Aber du hast ja vermutlich selbst gesehen, was hier los ist.«
Daniel, der inzwischen die nasse Jacke ausgezogen und sich von Janine eine Tasse Kaffee hatte geben lassen, winkte ab.
»Im Augenblick kann ich eh nichts für Fee tun. Sie wird von Jennys Leuten auf den Kopf gestellt.«
»Gut. Dann bist du hier sowieso besser aufgehoben. Arbeit ist immer ein probates Mittel gegen Sorgen«, machte Danny einen hilflosen Versuch, seinen Vater zu trösten.
Als Wendy das hörte, hob sie den Kopf.
»Wunderbar. Noch ein guter Tipp für Janines Ratgeber«, bemerkte sie augenzwinkernd und stand auf, um die wartenden Patienten noch um Geduld zu bitten. »Langsam sollten wir sie aufschreiben, damit wir ja keinen vergessen.«
Diese Bemerkung brachte Daniel wenigstens kurz