ins Nebenzimmer gerufen wurde.
Wieder allein mit Fee, wandte sich Dr. Norden wieder seiner Frau zu.
»Bitte, Fee, streng dich an! Ich weiß, dass du mehr Kraft hast, als es im Augenblick scheint. Du darfst nicht aufgeben! Du musst kämpfen!«, bat er sie flehentlich.
Daniels Stimme zitterte, doch er schämte sich nicht dafür. Er streckte die Hand aus, um liebevoll über Fees heiße Stirn zu streicheln. In diesem Moment bemerkte er die Träne, die sich in ihrem Augenwinkel sammelte. Sie blieb lange in ihren vollen Wimpern hängen, bevor sie auf ihre Wange tropfte und langsam hinunter zum Kinn rollte. Von dort tropfte sie auf das weiße Klinikhemd und hinterließ einen dunklen Fleck. Dieser Anblick zerriss fast Daniels Herz.
»Bitte wein doch nicht, Feelein«, bat er sie heiser und trocknete ihre Wange behutsam mit einem weichen Tuch. »Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um dir zu helfen. Das verspreche ich dir.«
Die Tränen, die danach auf ihr weißes Hemd tropften und es dunkel färbten, stammten nicht von Fee. Es waren Daniels, und er schämte sich nicht dafür. Ein paar Minuten blieb er noch am Bett seiner Frau stehen, streichelte unablässig ihre Hand und sprach leise mit ihr, bis die Schwester ins Zimmer zurückkehrte.
»Ich werde bei Ihrer Frau jetzt Mundpflege machen. Sie wissen ja sicherlich, wie wichtig das mit einem Beatmungsschlauch ist.«
»Hygiene ist das A und O bei der Intensivpflege, um die Besiedelung mit unerwünschten Keimen so gering wie möglich zu halten und weitere Infektionen auszuschließen«, ließ Daniel erkennen, dass er durchaus im Bilde war. Mit einem letzten Blick auf Felicitas holte er tief Luft und lächelte der Schwester freundlich zu. »Ich werde Sie in Ruhe Ihre Arbeit machen lassen. Bitte informieren Sie mich, falls es Neuigkeiten gibt. Egal, welcher Art.«
»Natürlich.« Die Schwester nickte und riss die Verpackung eines Plastikstäbchens auf, an dem ein Stück Schaumstoff befestigt war. Mit einem Becher antiseptischer Lösung trat sie an Fees Bett.
»Nicht erschrecken, Frau Dr. Norden, ich muss Ihnen jetzt die Zähne putzen«, sprach sie mit Fee, als wäre sie wach und ansprechbar. »Das wird ein bisschen unangenehm, aber ich verspreche Ihnen, besonders vorsichtig zu sein.«
Einen Moment blieb Daniel noch stehen und sah der fürsorglichen Schwester bei ihrer Arbeit zu. Nach einer Weile riss er sich aber von ihrem Anblick los und machte sich auf den Weg zu Jenny. Vielleicht hatte sie inzwischen mehr Informationen darüber, was Fee fehlte. Er konnte es nur hoffen.
*
Nachdem Dr. Norden die Notaufnahme verlassen hatte, zwang er seine Gedanken mit aller Macht zurück zu seiner Arbeit. Nur so konnte er die quälende Ungewissheit ertragen. Gleich nach Fee galt seine große Sorge dem unglücklichen Dachdecker, und er machte einen Abstecher in die Notaufnahme, um dort Neuigkeiten zu erfahren.
»Ach, Daniel, du kommst mir gerade recht«, begrüßte ihn Dr. Weigand, der am Computer saß und die Bilder aus der Radiologie betrachtete. »Ich hab dir ja viel zugetraut. Aber dass du neuerdings selbst dafür sorgst, dass die Klinik an Patienten kommt, und extra Dachdecker bestellst, die von deinem Praxis- Dach fallen, geht doch ein bisschen zu weit«, scherzte er, um den geschätzten Kollegen wenigstens ein bisschen aufzuheitern. »Findest du nicht?«
Ihm zuliebe lächelte Daniel matt.
»Ich habe keine Kosten und Mühen gescheut.« Den aufmerksamen Blick auf den Bildschirm gerichtet, zog er sich einen Hocker heran. »Sind das die Aufnahmen von Herrn Hühn?«, erkundigte er sich und war augenblicklich hochkonzentriert. »Sieht nach einer Beckenringfraktur mit Ausstrahlung auf die Hüftpfanne aus.«
Matthias Weigand nickte düster.
»Mit der Hüftpfanne kannst du Puzzle spielen«, erklärte er trocken und deutete auf das Trümmerfeld, das sich auf dem Bildschirm aufgetan hatte. »Außerdem ist es möglich, dass der Ischiasnerv geschädigt ist. Wenn der gute Mann Pech hat, kann er gelähmt bleiben. Zumindest teilweise.« Ohne den Blick vom Monitor zu wenden, lehnte er sich seufzend zurück und verschränkte die Arme.
Dr. Norden wusste, dass diese Nachricht so oder so einer Katastrophe gleichkam. Trotzdem gab es gleich zwei Gründe, warum sie ihn Norden besonders erschütterte.
»Und das nur, weil ich Sebastians Freundin im Flugzeug kennengelernt habe. Die beiden haben sich seit zehn Jahren nicht gesehen.« Ungläubig schüttelte er den Kopf. »Ricarda hat mir seine Nummer gegeben. Und dann fällt er ausgerechnet von meinem Dach.«
Statt erschüttert zu sein, musste Dr. Weigand lachen.
»Komisch, warum nur habe ich das Gefühl, dass die Platte einen Sprung hat und ich heute ständig dieselbe Geschichte höre?«, fragte er belustigt.
Sofort erinnerte sich Daniel an Ricardas Mitteilungsbedürfnis und stimmte in das Lachen mit ein.
»Richtig. Ich hätte wissen können, dass du längst im Bilde bist. Apropos Bilder«, kehrte er aber zum eigentlichen Thema seines Besuchs zurück. »Hat Herr Hühn außer der Hüftfraktur irgendwelche inneren Verletzungen?«
Dr. Weigand beugte sich vor und suchte in den Unterlagen, die ihm seine Kollegen überlassen hatten, nach einer Antwort.
»Weder Ultraschall noch IV-Urogramm haben einen Hinweis darauf gegeben. Zum Glück!«, fügte er hinzu.
»Und wie geht es jetzt weiter?«, erkundigte sich Dr. Norden und stand auf.
Es wurde Zeit, Ricarda zu informieren, ehe er Jenny in ihrem Büro aufsuchte.
»Es stehen noch die Ergebnisse des dreidimensionalen CTs aus. Auf jeden Fall machen wir erst einmal eine Drahtextension, die die Bruchstücke bis zur richtigen Operation in Normallage bringt. Danach sehen wir weiter.« Auch Matthias Weigand war aufgestanden und begleitete seinen Kollegen zur Tür. »Ich hoffe übrigens, dass Fee schnell wieder auf den Beinen ist«, brachte er sein Mitgefühl zum Ausdruck. »Ein ungewohnter Anblick, sie so elend im Bett zu sehen. Vor allen Dingen, wenn man bedenkt, was für ein Energiebündel sie normalerweise ist.«
Dem gab es nichts hinzuzufügen und schweren Herzens machte sich Dr. Norden auf den Weg zu Ricarda. Doch der Aufenthaltsraum war leer, und Daniel hatte keine Nerven, sich auf die Suche nach der quirligen Krankenschwester zu machen.
*
Es war ein ungewohnter Anblick, Jenny Behnisch reglos am Schreibtisch vor dem Computer sitzen zu sehen. Normalerweise hetzte sie rastlos von einem Termin zum nächsten. Wenn sie zufällig einmal nicht im Haus unterwegs war oder eine Operation leitete, telefonierte sie oder saß zur Besprechung mit einigen Kollegen am Tisch. Deshalb machte sich ihre Assistentin Andrea Sander allmählich Sorgen und war froh, als Dr. Daniel Norden ins Vorzimmer kam, um sich nach der Chefin zu erkundigen.
»Gut, dass Sie hier sind. Ich habe seit mindestens einer Stunde nichts mehr von ihr gesehen oder gehört.«
»Dann werde ich mal nachsehen, ob unsere gute Jenny am Tisch eingeschlafen ist«, rang sich Daniel einen Scherz ab.
»Das glaube ich kaum bei den Unmengen an Kaffee, die sie bei mir bestellt«, gab Andrea Sander zurück und sah ihm wohlwollend nach.
Sie hatte von der rätselhaften Erkrankung seiner Frau erfahren und bangte und hoffte mit dem gesamten Klinikpersonal um Fees Gesundheit.
Als ihr langjähriger Freund und Kollege nach kurzem Klopfen eintrat, hob Jenny Behnisch nur kurz den Kopf.
»Ach, du bist es, Daniel«, begrüßte sie ihn beiläufig und vertiefte sich sofort wieder in den Artikel, den sie eben studierte. »Ich weiß ja, dass deine Frau etwas ganz Besonderes ist. Das hat sie schon oft unter Beweis gestellt. Dass sie sich aber auch eine ganz besondere Krankheit aussuchen muss …« Sie verstummte, den Blick immer noch fest auf den Bildschirm geheftet.
»Willst du damit sagen, dass ihr immer noch keine Ahnung habt, was ihr fehlt?«, fragte Daniel und rang sichtlich um Fassung. »Es muss doch irgendeinen Anhaltspunkt geben.«
Jenny seufzte und griff nach der Kaffeetasse, die neben ihr am Computer stand.
»Viel