du ja!« Nur mit Mühe gelang es Ricarda, einen erleichterten Schrei zu unterdrücken, als sie zu ihm ins Zimmer und an sein Bett eilte.
Sebastian, der nach dem ersten Eingriff ans Bett gefesselt vor sich hin gedämmert hatte, riss erschrocken die Augen auf.
»Ricky?«, fragte er krächzend und drehte langsam den Kopf in ihre Richtung. »Wo kommst du denn her? Und was hast du da an?«
Mit einem routinierten Blick hatte Ricarda die Situation erfasst. Die Hüfte in einer Schale gelagert und durch Schläuchen mit Maschinen und Medikamenten-Tropfs verbunden war ihr Freund im Bett zur Reglosigkeit verdammt.
»Nicht so laut, mein Liebster. Ich bin inkognito hier. Erlaubt ist was anderes«, flüsterte sie und schlüpfte ohne viel Federlesen an Sebastians Seite. Sie schmiegte sich an ihn und streichelte behutsam über seine Wange. »Also, wegen mir hättest du kein solches Kunststück vollbringen müssen. Ich hätte mich damit zufrieden gegeben, dir bei der Arbeit zuzuschauen, bis du fertig bist. Dann hätten wir den Abend gemeinsam auf deiner Couch verbracht. Oder auch woanders.« Sie lachte leise und anzüglich. »Na ja, das wird ja in nächster Zeit jetzt nicht mehr funktionieren. Aber mach dir keine Sorgen. Ich steh dir bei, was immer sie mit dir anstellen. Wer weiß, vielleicht darf ich auch bei deiner Pflege helfen. Ich arbeite zwar normalerweise auf der Gefäßchirurgie, aber das sollte ja kein …«
Sebastians Stöhnen ließ Ricarda erschrocken innehalten.
»Oh, je, jetzt schnattere ich schon wieder wie eine dumme Gans. Dabei hast du bestimmt Schmerzen, nicht wahr?«, fragte sie zerknirscht.
Um sie zu beruhigen, schüttelte er den Kopf.
»Schmerzen hab ich überhaupt nicht. Ich bekomm ja auch jede Menge Medikamente«, versicherte er. »Da spür ich gar nichts mehr. Überhaupt werde ich wirklich gut versorgt. Ist `ne tolle Klinik. Vielleicht könntest du hier auch arbeiten«, fügte er hoffnungsvoll hinzu.
»Ich kann ja mal fragen«, erklärte sich Ricarda sofort bereit. Sie beugte sich über Sebastian, um seine unwiderstehlichen Lippen zu küssen, als es klopfte.
Die Tür öffnete sich so schnell, dass sie keine Gelegenheit hatte, aus dem Bett zu springen. So ertappte die Visite das junge Pärchen, und vor Scham glühten Ricardas Wangen in schönstem Rot.
»Was machen Sie denn schon wieder hier?«, fragte Dr. Weigand sichtlich genervt. »Hat Schwester Lydia Ihnen nicht gesagt, dass wir Sie informieren, wenn Sie Ihren Freund besuchen können?«
Jenny Behnisch, die ebenfalls mit von der Partie war, gab dem Kollegen ein Zeichen und übernahm selbst das Wort.
»Wir haben sehr viel Verständnis dafür, dass Patienten und Angehörige einen regen Kontakt brauchen. Aber im Augenblick gibt es gute Gründe, dass …«
»Dass ich hierbleibe«, unterbrach Ricarda sie mit süßer Stimme und strahlendem Lächeln. Sie hatte das Schild an Jennys Kittel entdeckt und sofort ihren Status erkannt. »Ich möchte mich offiziell bei Ihnen als Krankenschwester bewerben. Eigentlich arbeite ich ja an der Londoner Bridge-Klinik auf der Gefäßchirugie. Aber Sebastian und ich haben gerade beschlossen, dass ich zu ihm nach München komme. Gerade in dieser Situation braucht er mich dringend, und ich möchte mich um ihn und auch alle anderen Patienten kümmern. Natürlich nur, wenn Sie einverstanden sind.«
Sichtlich überrumpelt von diesem Wortschwall sah Jenny verdutzt von einem zum anderen.
»Die Patienten, die ich betreut habe, konnten immer besonders schnell entlassen werden«, versuchte Ricarda, ihre Qualitäten als Krankenschwester in einem besonders günstigen Licht darzustellen.
An dieser Stelle konnte sich Dr. Weigand ein Lachen nicht verkneifen.
»Wahrscheinlich sehnten sie sich nach der Ruhe zu Hause«, entfuhr es ihm.
»Matthias!«, tadelte Jenny Behnisch ihren Kollegen umgehend und wandte sich mit einem entschuldigenden Lächeln an Ricarda und Sebastian. »Nichts für ungut, liebe Frau …«
»Schmied.«
» … liebe Frau Schmied. Trotzdem muss ich Sie bitten, das Zimmer zu verlassen, damit wir einige Untersuchungen durchführen können.«
Ricarda schickte Sebastian einen bedauernden Blick, hatte aber ein Einsehen.
»Natürlich.«
»Über Ihre Bewerbung unterhalten wir uns zu gegebener Zeit«, versprach die Klinikchefin noch, als die junge Frau mit gesenktem Kopf an ihr vorbei aus dem Zimmer ging.
Angesichts dieser Neuigkeit huschte ein Lächeln über Ricardas Gesicht. Doch diesmal zog sie es vor zu schweigen und schickte Sebastian eine Kusshand, bevor sie leise die Tür hinter sich zuzog.
*
Um Jennys Mund zuckte ein Lächeln, als sie ans Bett des Dachdeckers trat.
»Wie fühlen Sie sich, Herr Hühn?«, fragte sie freundlich und berührte wie zufällig Sebastians Bein.
»Wenn ich die Operation hinter mir hätte, wäre mir wohler«, gestand er tapfer lächelnd. »Ansonsten geht es mir erstaunlich gut.«
»Spüren Sie etwas in dem Bein?«, erkundigte sich Dr. Norden, den Blick auf Jennys Hand gerichtet, die immer noch auf Sebastians Fuß lag.
Der verwirrte Blick des Dachdeckers verirrte sich ans Bettende.
»Na ja, ein bisschen vielleicht. Aber ich bekomm ja so viele Medikamente. Da ist doch sicher auch ein Schmerzmittel dabei, das die Empfindungen dämpft.«
Die Ärzte tauschten einen kritischen Blick.
»Leider sind die Medikamente nicht für Ihre Schmerzunempfindlichkeit verantwortlich«, war es schließlich Jenny Behnisch selbst, die ihm die unerfreuliche Nachricht überbrachte. Sie hielt nichts davon, ihre Patienten im Unklaren zu lassen. »Durch Ihren Sturz wurden einige wichtige Nerven in Mitleidenschaft gezogen. Sie liegen in scharfkantigen Trümmern, und wir können nicht garantieren, dass wir das wieder hinkriegen.« Jenny liebte ihren Beruf und die Herausforderungen, die er mit sich brachte. Doch solche Botschaften zu überbringen, fiel ihr selbst mit jahrelanger Erfahrung nicht leicht.
Sebastians entsetzte Miene machte ihr das Herz schwer. Trotzdem hätte sie ihm keine anderen Worte als die Wahrheit sagen können.
»Was soll das heißen?«, fragte der Dachdecker mit rauer Stimme.
»Das heißt, dass die Lähmungserscheinungen immer schlimmer werden, je länger wir mit einer Operation warten«, erklärte Frau Dr. Behnisch so verständlich wie möglich. »Auch ein Eingriff kann keine Wunder vollbringen und birgt ein großes Risiko. Aber wenn Sie der Operation zustimmen, können wir den Prozess wenigstens verlangsamen und …«
»Moment mal!« Sebastians Stimme war scharf, als er der Klinikchefin das Wort abschnitt. »Das klingt ja ganz danach, als hätten Sie schon einen Rollstuhl für mich bereit gestellt.«
Nur mit Mühe konnte Jenny ein Seufzen unterdrücken. Sie war Sebastian nicht böse wegen des beißenden Spotts, der in seiner Lage nur verständlich war.
»Nein, das haben wir nicht. Und glauben Sie mir: Am liebsten würde ich Ihnen versprechen, dass alles gut wird«, gestand sie bekümmert. »Leider kann ich das nicht. Ein Risiko bleibt.«
Sebastian verschränkte die Arme vor dem Oberkörper und starrte blicklos ins Leere. Seine dunklen Locken hingen ihm wirr in die Stirn. Doch er kümmerte sich nicht darum.
»Womit soll ich denn in Zukunft mein Geld verdienen? Ich bin Dachdeckermeister. Und was soll aus mir und Ricarda werden? Sie wird ihr Leben kaum mit einem Krüppel verbringen wollen.« Die Bitterkeit in seiner Stimme war nicht zu überhören.
Dennoch fühlte sich Daniel Norden bemüßigt, Einspruch zu erheben.
»Ich verstehe Ihre Verzweiflung. Trotzdem möchte ich aus Respekt gegenüber Menschen mit einer Beeinträchtigung dieses Wort nicht in diesen Wänden hören«, erklärte er freundlich aber bestimmt.
Nur mit Mühe gelang es Sebastian,