Emile Gaboriau

Der Strick um den Hals


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und Teller festzustellen, als die Tür heftig aufgerissen wurde.

      Ein Blatt blauen Papiers in der Hand, trat die Marquise ein.

      Um sechs oder acht Jahre jünger als ihr Mann, war Frau von Boiscoran in jeder Beziehung die geeignete Gemahlin für diesen trägen und der Ruhe ergebenen Geist.

      Ihr Gang, ihre Gesten, ihre Stimme, alles verriet sofort das Weib, das gewohnt ist, das Steuer zu führen, zu befehlen und alles um sich auf einen Wink gehorchen zu sehen.

      Von ihrer einst berühmten Schönheit waren noch Spuren genug übrig, um ihre Ansprüche zu entschuldigen. Sie versicherte zwar, keine zu haben, indem sie vorgab, es sei ein Beweis von »Geist«, die Verwüstungen des Alters, welche man doch nicht abwenden könne, mit guter Manier über sich ergehen zu lassen.

      Die Gefallsucht aber verliert sich doch niemals ganz. Wenn Frau von Boiscoran sich nicht jünger machte, so machte sie sich ein Vergnügen daraus, absichtlich älter zu erscheinen. Die paar Jahre, welche die Frauen gewöhnlich von ihrem wahren Alter abzustreichen suchen, setzte sie eigensinnig den ihrigen hinzu. Es lag Gesuchtheit in der Manier, wie sie die Massen ihrer grauen Haare um ihre Schläfen aufbauschte, die noch immer frisch waren wie die eines jungen Mädchens. Es fehlte nicht viel, und sie hätte sich Puder aufgelegt.

      Sie war so außer Fassung und so entsetzlich aufgeregt, als sie in das Kabinett ihres Mannes trat, daß dieser, obgleich er sich seit langen Jahren ein Gesetz daraus gemacht hatte, durch nichts in Bewegung zu geraten, doch beunruhigt wurde.

      Indem er die Schüssel hinstellte, in deren Besichtigung er eben vertieft war, fragte er besorgt:

      »Was gibt es? Was ist geschehen?«

      »Ein fürchterliches Unglück.«

      »Jacques ist tot!« rief der alte Sammler.

      Die Marquise schüttelte den Kopf.

      »Nein, es ist vielleicht noch schrecklicher.«

      Der Greis, der beim Anblick seiner Gemahlin aufgefahren war, ließ sich schwer in seinen Lehnstuhl zurückfallen.

      »Rede«, stotterte er, »sprich; ich bin gefaßt.«

      Sie reichte ihm das blaue Papier, das sie in der Hand hielt, und sagte langsam: »Diese Depesche erhielt ich soeben von Jacques' Kammerdiener, dem alten Antoine.«

      Mit zitternder Hand faltete der Marquis das Blatt auseinander und las: »Ein entsetzliches Unglück. Jacques beschuldigt, die Brandstiftung von Valpinson begangen, den Grafen von Claudieuse gemordet zu haben. Furchtbare Anklage gegen ihn. Verhört, hat er sich kaum verteidigt. Ist verhaftet und soeben ins Gefängnis abgeführt. In Verzweiflung. Was beginnen?«

      Die Marquise hatte erwartet, ihren Mann durch diese Depesche, deren abgerissene Kürze Antoines Angst verriet, niedergeschmettert zu sehen. Dies geschah indes nicht. Mit der gelassensten Miene schob der Marquis das Blatt auf den Tisch und sagte, die Achseln zuckend: »Es ist lächerlich.«

      Die Marquise schien außer sich vor Staunen.

      »Du hast nicht begriffen, mein Freund«, begann sie.

      Er unterbrach sie.

      »Ich habe sehr wohl begriffen, daß unser Sohn eines Verbrechens angeklagt ist, das er nicht begangen hat und nicht begangen haben kann. Ist es möglich, daß du an ihm zweifelst? Was für eine Mutter bist du! Ich meinerseits bin, das versichere ich dir, vollkommen ruhig. Jacques ein Brandstifter! Jacques ein Mörder! Es ist zu dumm!«

      »Aber du hast die Depesche nicht gehörig gelesen?« rief die Marquise.

      »Bitte recht sehr!«

      »Es ist dir entgangen, daß Anklagen gegen ihn erhoben worden sind.«

      »Natürlich! Ohne diese hätte man ihn nicht verhaftet. Die Sache ist allerdings unangenehm, sogar peinlich!«

      »Aber er hat sich nicht verteidigt, mein Lieber.«

      »Nun wahrhaftig, wenn man mich heute oder morgen anklagen würde, den Laden eines Goldschmieds geplündert zu haben, ich würde mir auch nicht die Mühe nehmen, mich zu verteidigen!«

      »Aber du siehst doch, daß sogar Antoine unseren Sohn für schuldig hält.«

      »Antoine ist ein alter Narr«, erklärte der Marquis.

      »Übrigens«, fügte er hinzu, seine Tabaksdose hervorziehend und eine mächtige Prise nehmend, »wollen wir die Sache überlegen; hast du mir nicht gesagt, daß Jacques in die kleine Denise von Chandoré verliebt ist?«

      »Wie ein Wahnsinniger, wie ein Kind!«

      »Und sie?«

      »Sie vergöttert ihn.«

      »Gut, und hast du mir nicht ferner gesagt, daß der Tag der Hochzeit bereits festgesetzt ist?«

      »Seit drei Tagen.«

      »Jacques hat dir darüber geschrieben?«

      »Einen bewunderungswürdigen Brief!«

      »In welchem er dir seine Ankunft meldet?«

      »Ja, er wollte seine Hochzeitseinkäufe selbst machen.«

      Mit einer Gebärde, welche die stolzeste Sorglosigkeit ausdrückte, klopfte der Marquis auf den Deckel seiner Tabaksdose.

      »Und du bildest dir ein«, sprach er, »daß ein solcher Junge wie unser Jacques, ein Boiscoran, verliebt, wiedergeliebt und im Begriff, sich zu verheiraten, den Kopf voll von seinen Brautgeschenken, ein schändliches Verbrechen begangen haben soll? Darüber ist kein Wort weiter zu verlieren, und um dies zu bestätigen, will ich mich mit deiner Erlaubnis wieder gemächlich an mein Werk machen.«

      So wie der Zweifel ansteckend wirkt, teilt auch der gute Glaube sich leicht anderen mit. Nach und nach fühlte die Marquise sich durch die Zuversicht ihres Mannes beruhigt. Das Blut kehrte wieder in ihre Wangen zurück und das Lächeln auf ihre erbleichten Lippen.

      »Vielleicht«, sprach sie in festem Tone, »hab ich mich wirklich zu rasch in Unruhe setzen lassen.«

      »Freilich, meine Beste, viel zu rasch«, antwortete der Marquis mit einer zustimmenden Handbewegung. »Unter uns möchte ich dir sogar raten, kein Aufhebens mehr davon zu machen, denn wie sollte das Gericht unsern armen Jacques nicht anklagen, wenn seine eigene Mutter ihn verdächtigt!«

      Frau von Boiscoran hatte die Depesche aufgehoben und noch einmal überlesen.

      »Dennoch«, murmelte sie, die letzten Einwendungen ihrer Gedanken beantwortend, »wer wäre an meiner Stelle nicht vor Entsetzen betäubt gewesen? Besonders wenn der Name Claudieuse im Spiele ist.«

      »Wieso? Es ist der Name eines sehr würdigen, sehr loyalen Edelmannes, einer der besten, die ich kenne, trotz seiner Seebärenmanieren.«

      »Jacques aber haßt ihn, mein Lieber.«

      »Jacques, meine Liebe, kümmert sich nicht mehr um ihn als um das Jahr vierzig.«

      »Sie haben wiederholt Streitigkeiten miteinander gehabt.«

      »Notwendigerweise!