er ihnen die tollsten Entwürfe zu neuen Arbeiten. Oder er beriet mit seiner Frau, was er malen würde, wenn er das Talent zum Geldverdienen hätte, was er nicht besaß.
»Mohren gehen – die gehen immer … Jäger mit Hunden werden auch gern gekauft.«
Frau von Woszenska bekam eines ihrer Bilder von der Münchener Ausstellung zurück. »Das Zeug will sich ja keiner in die Stube hängen – na – es war ’mal so ’ne Idee«, sagte sie philosophisch, indem sie es auspackte. Ein Turmfenster, das in dem Beschauer den Eindruck von schwindelnder Höhe, von Erdenferne und Himmelsnähe erweckte. Im Hintergrunde die Umrisse der großen Kirchenglocke. Und ein Kind blickt im Bogen des Fensters, den Kopf auf das runde dicke Ärmchen gelegt, ruhig hinab. Über ihm, an einem derben Haken, hängt eine tote Gans, auf ihrem flaumigen, mit der größten künstlerischen Delikatesse behandelten Gefieder glänzen still die letzten Sonnenstrahlen.
»– Tante Mariechen«, fragte Agathe, »wolltest Du damit sagen, dass ein vollkommener Friede nur durch eine Gans und ein Kind dargestellt werden kann?«
Frau von Woszenska lachte. »So kluge Bemerkungen musst Du den Hässlichen überlassen, dazu bist Du viel zu hübsch«, antwortete sie erfreut.
Agathe wurde es viel leichter, ihre Gedanken Woszenskis auszusprechen als ihren Eltern. In der unsicher tastenden Zagheit ihrer Empfindungen verwirrte sie schon die Ahnung eines Widerspruchs. Zu Hause war sie noch immer von Pädagogik umgeben. Hatte Frau Woszenska eine abweichende Ansicht, dann stellte sie sie als eine menschliche Anschauung einer anderen gegenüber. Und Kas war noch feinfühliger als seine Frau. Wo sie Philisterhaftigkeiten bemerkte, wurde ihr ganzes Gesicht gleich grausamer Hohn, auch wenn sie kein Wort sprach.
Nun geschah das seltsame, dass Agathe unter ihrem angelernten Geschmack etwas in sich fand, das damit gar nicht zusammenhing, das selbstständig, wenn auch sehr bescheiden und ängstlich, ein ihr selbst nur halb bewusstes Dasein geführt hatte. Sie bemerkte mit frohem Erstaunen, dass ihr Widerwille gegen die Langeweile, Gleichförmigkeit und Enge der gesellschaftlichen Sitten ihres Kreises, ja gegen die Grundsätze ihrer eigenen Eltern von Woszenskis völlig geteilt wurde.
Vieles, was ihr Vater als absurd und manieriert verdammte, stand hier in hohen Ehren.
So hatte Agathe ganz aus eigene Hand entdeckt, dass es einen großen Künstler gab, der Böcklin hieß, und dessen Bilder jedes Mal Sehnsucht und Glück in ihr weckten. Mit unbehaglichem Schweigen, als verleugne sie etwas Heiliges, hatte sie Walters und Eugenies Witze über ihn angehört. Die Tränen schossen ihr in die Augen, als sie Woszenski zum ersten Mal seinen Namen nennen hörte und er, was sie dunkel empfunden, mit geistreichem Verständnis pries. Ihr Wesen streckte sich gleichsam und wuchs und breitete sich aus in diesen Wochen.
Aber am meisten lernte sie doch von Lutz. Wie er war, und was er liebte, und wovon er bewegt wurde, suchte sie listig und mühsam zu erfahren. Es dünkte sie, als käme sie ihm auf eine geheimnisvolle Weise näher, indem sie ihn verstehen lernte.
Ihrem ersten Geliebten verdankte Agathe den Naturrausch, der sie bei jedem Sonnenuntergang in mystische Extasen versetzte – das Verständnis für die großen Konturen der Dinge und die schwärmende Begeisterung für eine weit, weit von allem Erdenweh entfernt wohnende Freiheit.
Der Don Juan, der sie durch seine Ironie verletzte, und den sie bis auf wenige Stellen nicht leiden mochte, hatte ihr dennoch den Blick für die Lächerlichkeit der Konvention geschärft.
Von ihrem zweiten Geliebten erlauschte sie nun den raffinierten Genuss an den Melodien der Farben, an ihren fernsten Abtönungen, und der Wirkung von Licht und Schatten – an den seltsamen Beziehungen zwischen Farbe und Seelenstimmung.
Adrian Lutz bedeutete ihr: in einem weiten Dunkel mit den beängstigenden Umrissen ungeheurer, unbestimmter Gestalten ein schmaler weißer Lichtstreif – eine zartleuchtende grünblasse Waldorchis.
Aus drei Radierungen und ein Paar Landschaftsstudien, die Woszenski von Lutz besaß und sehr hoch hielt, bildete Agathe sich eine Geschmacksrichtung: Modernste französische Schule mit etwas nervöser Romantik, die der Künstler aus dem ihm Eigenen hinzugetan.
Das war ein fremdes, scharfes Gewürz in ihrer bisherigen Nahrung. Ob der Regierungsrat Heidling gerade diese beiden Männer zu Erziehern seines Kindes gewählt haben würde?
Vorsichtige Eltern pflegen sich wohl einen Plan für die Bildung ihrer Töchter zu entwerfen. Aber die heimlichen Einflüsse, die am stärksten auf einen jungen Frauengeist wirken – die können sie nicht berechnen.
*
Einmal noch während ihres Aufenthaltes bei Woszenskis sah Agathe Lutz von weitem in einer menschenleeren Straße. Sie war dort auf und nieder gegangen, um die Zeit zu erwarten, wo sie ihm zu begegnen hoffte. Es war das erste Mal, dass sie so etwas tat, und sie konnte es auch nicht wiederholen – es zerriss sie zu sehr.
Er kam, die Zigarette zwischen den Lippen, aus seinem Atelier, traf auf den Postboten und nahm ihm einen Brief ab. Mit seinen hastigen Bewegungen riss er den Umschlag auf und schritt lesend ihr näher. Agathe ging langsam an ihm vorüber, ohne dass er sie bemerkte. Er blickte in die Höhe, sein bewegtes Gesicht strahlte vor Freude über die Nachricht, die er soeben empfangen hatte. Da fühlte sie tief, dass er mitten in einem reichen Dasein voll mannigfacher Erlebnisse stand – und sie hatte keinen Anteil daran – ihr war es ganz fremd.
Als fünf Wochen verflossen waren, reiste sie nach Haus zurück.
XI.
»Weißt Du, Agathe, wenn diese Woszenskis Dir so viel interessanter sind, als Deine eigenen Eltern, dann ist es am besten, wir treten Dich ihnen ganz ab. Dein Herz ist ja doch bei ihnen geblieben.«
»Ach, Papa – so mein’ ich’s ja nicht …«
»Aber lieber Ernst«, sagte die Regierungsrätin entschuldigend, »es ist doch hübsch, dass unser Kind uns von der Reise erzählt …«
»Das wollt’ ich mir auch ausgebeten haben«, sagte Heidling verstimmt, »vorläufig lasse ich sie nicht wieder fort, sonst findet sie uns nachher zu spießbürgerlich und langweilig.«
»Glaube mir nur, mein Kind«, redete der Regierungsrat weiter, »was Dich da geblendet hat, ist ein Wesen, in das Du mit Deiner soliden Natur Gott sei Dank gar nicht hineinpasst – es würde Dir bald genug zum Bewusstsein