Gabriele Reuter

Gabriele Reuter – Gesammelte Werke


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er es nicht her­ge­ben, rann­te da­mit fort und brüll­te fürch­ter­lich, als sei­ne Mut­ter ihn ein­fing und es ihm ab­nahm. So wur­de die fei­er­li­che Stim­mung ge­stört. Doch war es die ein­zi­ge Ge­le­gen­heit, bei der ein Lä­cheln, wie ein blas­ser Win­ter­son­nen­strahl durch grau­es, tro­ckenes Baum­ge­zweig, sich müh­sam durch die Run­zeln von Dor­tes ver­drieß­li­chem al­ten Ge­sicht ar­bei­te­te.

      »Ne aber! Das Wölf­chen!« sag­te sie voll an­däch­ti­ger Be­wun­de­rung, brö­ckel­te ein Stück­chen von der selbst­ge­ba­cke­nen Fest­tor­te und schob es in das weit­ge­öff­ne­te Mäul­chen, das sich, mit­ten im vol­len Schrei­en, ge­trös­tet über der Sü­ßig­keit schloss.

      »Dor­te – Du sollst doch nicht …!« mahn­te Frau Eu­ge­nie.

      »Heu­te darf Dor­te al­les, was sie will – so­gar un­serm Jun­gen den Ma­gen ver­der­ben!« rief Lieu­ten­ant Heid­ling gut ge­launt, und die Haus­mäd­chen ki­cher­ten.

      Sie muss­ten sich auch die Ge­schen­ke an­se­hen – Line von Kom­mer­zi­en­rats und Rike von Pro­fes­sors oben und Lieu­ten­ants So­phie – viel­leicht hat­te es doch einen gu­ten Ein­fluss auf die leicht­sin­ni­ge, wan­der­lus­ti­ge, fau­le Ban­de, dach­te die Rä­tin.

      Das pom­mer­sche Dorf­kind Wie­sing war schon längst nicht mehr bei Heid­lings. Mit­ten im Vier­tel­jahr hat­te man sie fort­schi­cken und sich mit ei­ner die­bi­schen Auf­war­te­frau be­hel­fen müs­sen. Und das Mäd­chen mach­te an­fangs einen so net­ten Ein­druck.

      Mit­tags aß Dor­te am Ti­sche ih­rer Herr­schaft. Das graue Zöpf­chen ih­res Haa­res zu win­zi­gem Knöt­chen ge­dreht, ein be­schei­de­nes Fi­let­tuch über den spär­li­chen Schei­teln, im schwar­zen Abend­mahls­klei­de, auf der Brust das sil­ber­ne Ehren­kreuz – so saß sie still und steif auf ih­rem be­kränz­ten Stuhl. Eine fremd­ar­ti­ge Ge­stalt in dem Krei­se der vor­neh­men Bür­ger­fa­mi­lie, der sie ein Vier­tel­jahr­hun­dert ge­dient hat­te – ihr die Nah­rung be­rei­tend – in Win­ter­s­käl­te und Som­mers­glut am Her­de, wenn sie noch schlie­fen, und mit dem Ge­schirr klap­pernd, wenn sie schon die Ruhe such­ten – einen Tag wie alle Tage – fünf­und­zwan­zig Jah­re lang.

      War es ihr nun eine hohe Ehre, dass sie ein­mal – nur ein­mal an dem Ti­sche sit­zen durf­te, für den sie so lan­ge ge­sorgt hat­te?

      Wer von der Fa­mi­lie, die ein Vier­tel­jahr­hun­dert mit ihr in dem­sel­ben Hau­se ge­wohnt, un­ter dem­sel­ben Da­che ge­schla­fen, hat­te eine be­stimm­te und kla­re Vor­stel­lung, was hin­ter die­sen klei­nen, trü­ben, rot­ge­rän­der­ten Au­gen für Ge­dan­ken und Ge­füh­le wohn­ten? Sie klopf­ten ihr die Schul­ter, sie drück­ten ihr die von Gicht­kno­ten ge­krümm­te Hand, sie sag­ten ihr freund­li­che Wor­te der Aner­ken­nung – eine Frem­de war und blieb die alte Kü­chend­orte ih­nen doch. Und das Ge­spräch stock­te, weil man durch ihre un­ge­wohn­te An­we­sen­heit am Ti­sche sich ge­niert fühl­te.

      Als man auf ihr Wohl mit den Wein­glä­sern an­ge­sto­ßen und sie ein Stück Tor­te auf ih­rem Tel­ler in Empfang ge­nom­men hat­te, stand sie auf und be­gab sich trotz al­ler Pro­tes­te in ihre Kü­che zu­rück.

      Dort fand Aga­the sie spä­ter, das amt­li­che Schrei­ben vor sich aus­ge­brei­tet, die Bril­le auf der Nase, müh­se­lig Wort für Wort des ver­schnör­kel­ten Kanz­lei­sti­les ent­zif­fernd.

      Da­für hat­te sie nun ge­lebt.

      Das Abend­mahls­kleid war be­reits wie­der ab­ge­legt, das Kreuz zu dem Ge­sang­buch in die Tru­he ver­senkt, und Dor­te streif­te sich die Är­mel von den brau­nen Kno­chen­ar­men und goss ko­chen­des Was­ser in die Schüs­seln, um ab­zu­wa­schen.

      »Aber Dor­te, lass das heu­te doch dem Haus­mäd­chen!«

      »Die wird ge­ra­de fer­tig«, knurr­te die Alte. »Alle Mi­nu­ten vor der Tür und auf­pas­sen, ob ihr Manns­bild nicht da­steht. Gehn Sie man rein, Fräu­lein.«

      Aga­the hät­te ihr gern et­was ge­sagt von Hochach­tung oder Be­wun­de­rung. Aber es woll­te ihr nichts über die Lip­pen. Eine Ah­nung, als habe man das ver­schrumpf­te alte Ge­schöpf mit die­sem Amts­schrei­ben, der Bi­bel, dem Ehren­kreuz auf ir­gend eine Wei­se, die ihr doch nicht klar war, um des Da­seins bes­ten Teil be­tro­gen, hin­der­te sie zu re­den, wie sie es ge­wünscht hät­te.

      *

      Aus Aga­thes Ta­ge­buch.

      Nur ein­mal in sich selbst hin­ein­schau­en … Da stür­zen gleich die Was­ser der Trüb­sal, die an den schwa­chen Stel­len mei­nes Her­zens le­cken und wüh­len, über alle vom Ver­stand auf­ge­schüt­te­ten Däm­me. Hilflo­ses Rin­gen – die Angst ei­nes Er­trin­ken­den. Und da­bei Gar­di­nen­kan­ten hä­keln und Deck­chen sti­cken. Wie viel Deck­chen habe ich ei­gent­lich schon in mei­nem Le­ben ge­stickt?

      Kein großes Lei­den, das er­hebt und läu­tert … Ich weiß schon – fleisch­lich. Qual­voll, qual­voll – aber ge­mein – nied­rig.

      Lang­sa­mes Ver­hun­gern ei­ner Kö­ni­gin, die nicht zu bet­teln ge­lernt hat!

      Ja – das klingt schön …

      Aber – –

      Wa­rum stehlt ihr nicht, wenn ihr hun­gert, ar­mes Pack? Man be­singt die Sie­ger, nicht die Be­sieg­ten! – Man be­singt Mes­sa­li­nen …

      *

      Ein dun­kelblau­er See … hoch, hoch in den Al­pen. Ganz ein­sam. Kah­les, grau­es Ge­stein – und Schnee­gip­fel. Und Abend müss­te es sein – Ro­sen auf das tie­fe Blau ge­streut – Ro­sen der nie­der­ge­hen­den Son­ne.

      Lei­se – lang­sam – all­mäh­lich … Wie das Was­ser, von den Licht­strah­len des Ta­ges durch­wärmt, an den Glie­dern em­por­quillt – bis zum Her­zen – und die Au­gen schlie­ßen … Der Bo­den schwin­det …

      Wenn die Fi­sche leicht und stumm ihre Flos­sen über mei­ne Stirn strei­fen wer­den … Wenn lan­ge schlei­mi­ge Was­ser­pflan­zen aus mei­nen Au­gen­höh­len wach­sen … wenn das Feuch­te dort un­ten tief im Dunklen mein Fleisch durch­si­ckert und zer­stört – ob ich dann im­mer noch Schmerz füh­len wer­de?

      VII.

      Eine alte Frau war zur Hin­ter­trep­pe her­auf­ge­kom­men und hat­te ver­langt, das gnä­di­ge Fräu­lein Heid­ling selbst zu spre­chen. Als Aga­the in die Kü­che trat, gab sie ihr ein fle­cki­ges, nur flüch­tig zu­sam­men­ge­fal­te­tes Pa­pier.

      Ein Bet­tel­brief.

      Gro­ße, stei­fe Buch­sta­ben von ei­ner un­ge­üb­ten Kin­der­hand mit Blei­stift nie­der­ge­krit­zelt – für Aga­the nur schwer zu ent­zif­fern.

      »Hoch­ge­ähr­des­tes Frö­len Heid­ling!

      Ent­schul­di­gen Sie, wenn ich mich an Ih­nen wen­de, mit mei­ner kro­ßen Not, hoch­ge­ähr­des­tes Frö­len mein Klei­nes is mich ge­stor­ben und wol­len sies auf die Ana­do­mie schi­cken bei die Stu­den­ten und ich bin zu lie­gen kom­men wer soll den Sarg Be­zah­len? ho­ge­ähr­des­tes Frö­len wenn doch die kros­se Güd­de häd­den und eine Gabe für das, es is mich zu hart das mein Klei­nes nich soll auf den Fried­hof lie­gen hoch­ge­ähr­des­tes Frö­len bit­te Ih­nen in­stän­digst um Ver­zei­hung woh­ne bei Wit­we Krä­mern.