der sichtlich angeschlagenen Freundin. »Ich denke, dass sie unsere Einladung annehmen wird.«
»Das ist eine gute Nachricht.« Daniel nickte zufrieden. »Wahrscheinlich ist sie im Augenblick einfach hoffnungslos überfordert. Das Auftauchen ihrer Cousine hat möglicherweise dazu beigetragen. Wenn sie mal ein bisschen Abstand von der Klinik hat, sieht sie bestimmt klarer und wird uns erzählen, was es mit dieser Sache auf sich hat.«
»Ein Hotelaufenthalt? Na, das sind ja schönen Aussichten!«, bemerkte Danny beiläufig, als Tatjana ihn aufgeregt am Arm packte.
»Das ist es!«, rief sie und strahlte ihn aus ihren dunkelblauen Augen begeistert an. »Mein Café soll ›Schöne Aussichten‹ heißen!«
Die ganze Familie Norden saß am Tisch und tauschte verblüffte Blicke über diesen schlichten und doch vielversprechenden Namen.
»Schöne Aussichten … Das klingt tatsächlich nach mehr!« Es war Daniel Norden, der diese Idee als Erster lobte.
»Das kann ja auch vieles sein«, lachte Tatjana, und ihre Gedanken überschlugen sich. »Der Ausblick in die Vitrinen voll leckerer Kuchen, Torten und Backwaren.«
»Das Warten auf den Genuss ist auch eine schöne Aussicht«, ergänzte Fee.
»Ich finde den Ausblick auf den Englischen Garten auch nicht schlecht«, erinnerte Felix grinsend an den berühmten Park, der unweit der Bäckerei Bärwald lag. »Besonders im Sommer, wenn die Mädels kurze Röcke anhaben.«
»Schöne Aussichten im wahrsten Sinne des Wortes«, lachte auch Noah, Annekas Freund, belustigt auf und musste sich einen gestrengen Blick seiner Freundin gefallen lassen.
Unterdessen sonnte sich Danny in seinem Erfolg.
»Hab ich’s nicht gesagt, dass ich warte, bis euch die Ideen ausgehen?«, fragte er und lachte zufrieden in die Runde, als sich Tatjana zu ihm hinüber beugte und ihm einen schmatzenden Kuss auf die Wange gab, um ihm für die Inspiration zu danken, die er nicht nur in Namensangelegenheiten für sie war.
*
»Gartenhotel Alpenblick!« Jenny Behnischs Stimme vibrierte vor Begeisterung. Sie stand auf dem Balkon des Hotelzimmers und betrachtete den traumhaft schön angelegten, parkähnlichen Garten, der sich zu ihren Füßen ausbreitete. Obwohl der Herbst längst Einzug gehalten hatte, leuchteten farbenfrohe Blüten in den akkurat angelegten Beeten. Dazwischen schmiegten sich kurzgeschorene Rasenflächen. Das Wasser des rechteckig eingefassten Naturschwimmbeckens lag still da, und die Gräser, die am Rand wogten, spiegelten sich auf der glatten, dunklen Oberfläche. »Die Bezeichnung ›Garten‹ ist ja wohl eine glatte Untertreibung.«
»Und das alles vor diesem Panorama.« Versöhnt mit seinem Schicksal stand Roman hinter seiner Lebensgefährtin. Er hatte die Arme um Jennys Schultern gelegt und betrachtete über ihren Kopf hinweg das spektakuläre Panorama der Zillertaler Alpen. »Kaum zu glauben, dass wir nur knapp eineinhalb Stunden von zu Hause entfernt sind.«
»Und doch weit genug weg, um zu einem Notfall in die Klinik zu fahren«, erwiderte Jenny und drehte sich zu ihrem Lebensgefährten um. Ein lange vermisster, zärtlicher Ausdruck lag auf ihrem Gesicht und ließ ihre Züge weicher, weiblicher wirken, während sie ihn innig musterte. »Es tut mir leid, dass ich dich in letzter Zeit vernachlässigt habe. Und natürlich ist mir bewusst, wie schwer es für einen Nicht-Mediziner sein muss, mein Leben zu verstehen. Aber ich will in Zukunft alles dafür tun, damit wir mehr Zeit füreinander haben. Du sollst spüren, wie wichtig du mir bist.« Diese Entschuldigung fiel der Klinikchefin alles andere als leicht.
Das wusste Roman und honorierte ihre Einsicht mit einem liebevollen Lächeln.
»Du musst gar nicht alles dafür tun. Ein bisschen hin und wieder würde mir vollkommen genügen«, raunte er ihr zu, als er sich zu ihr hinab beugte, um sie innig zu küssen.
»Seit wann bist du so bescheiden?«, erkundigte sich Jenny und lachte leise an seinen Lippen.
Hingerissen von ihrem Charme und ihrem völlig veränderten Wesen fernab der Klinik fühlte sich Roman wie auf Wolke sieben. Hand in Hand verließen sie das Hotelzimmer, um das geschmackvoll eingerichtete Haus zu erkunden.
»Dieser Stilmix gefällt mir ausnehmend gut«, stellte Jenny fest, als sie das Restaurant betraten, in dem das Abendessen serviert wurde.
Ein altmodischer Kronleuchter und orientalische Teppiche nahmen den schnörkellosen Tischen und Stühlen im kubistischen Stil die Strenge. Das Ambiente fand sogar Gnade vor den kritischen Augen des Architekten.
»Trotzdem wirkt alles wie aus einem Guss«, lobte er anerkennend. »Das hier ist wirklich ein Ort, an dem man sich wohlfühlen kann.«
»Vor allen Dingen mit einem Mann wie dir!« Zufrieden hatte Jenny die neugierigen Blicke der weiblichen Gäste bemerkt, die Roman folgten.
»Für meine Ausstrahlung bist einzig und allein du zuständig«, raunte er seiner Lebensgefährtin zu, als ein aufmerksamer Ober herbei eilte.
Er brachte das Paar an seinen Tisch und fragte nach seinen Wünschen.
»Ich finde, ein Glas Champagner ist dem Anlass durchaus angemessen«, schlug Roman vor und erntete Jennys Zustimmung.
»Wenn ich gewusst hätte, wie gut sich so ein Kurzurlaub anfühlt, hätte ich diesen Vorschlag schon eher gemacht«, gestand sie, als sie wieder allein waren.
»Lieber spät als nie!«, gab Roman verliebt zurück und wollte nach Jennys Händen greifen, als es wieder geschah. »Dein Telefon!«, seufzte er, als er das verräterische Klingeln aus ihrer Handtasche hörte.
Vor Verlegenheit schoss Jenny das Blut in die Wangen.
»Ich wollte es noch ausschalten. Aber dann bist du in diesem sagenhaften Anzug aufgetaucht, und plötzlich hatte ich alles andere im Sinn nur nicht das Handy«, lächelte sie unschuldig.
Roman erwiderte ihr Lächeln und nahm ihre Hände.
»Ich würde ja gern wissen, an was genau du gedacht hast«, sagte er leise. »Erzählst du es mir, wenn du telefoniert hast?«
»Oh, ich hab nicht vor ranzugehen«, beeilte sich Jenny zu versichern.
Zu gut erinnerte sie sich an Romans Ärger, als sie ihn beim Griechen sitzen gelassen hatte. Das sollte nicht noch einmal passieren.
Zu ihrem Erstaunen runzelte ihr Lebensgefährte die Stirn. Nicht nur sie hatte sich vorgenommen, etwas zu ändern. Auch er hatte inzwischen nachgedacht.
»Aber wenn es etwas Wichtiges ist«, wandte er ein.
Doch die Klinikchefin blieb dabei.
»Nein. Du und ich, wir sind jetzt wichtiger«, erklärte sie mit Nachdruck und atmete auf, als das Klingeln endlich verstummte. »Es gibt keinen Notfall, den die Kollegen nicht selbst behandeln könnten«, versicherte sie noch, als der Klingelton ihres Mobiltelefons erneut ertönte.
Nur mit Mühe konnte Roman ein Seufzen unterdrücken. Er ließ Jennys Hände los und lehnte sich zurück.
»Bitte geh ran. Sonst haben wir nie Ruhe.«
Jenny zögerte noch immer.
»Also schön. Aber ich werde auf keinen Fall zurückfahren. Egal, was passiert ist«, versprach sie noch, als sie den Apparat hervorholte und das Gespräch annahm.
Gleich darauf veränderten sich ihre Gesichtszüge. Als sie das kurze Telefonat beendete, war sie leichenblass.
»Was ist?«, fragte Roman alarmiert.
Jenny wirkte so verstört, wie er sie selten gesehen hatte.
»Meine Cousine. Sie hatte eine Lungenembolie. Mathias Weigand hat sich zuerst an Daniel gewandt. In meiner Abwesenheit ist er mein Stellvertreter. Er hat übernommen, konnte aber nicht länger mit einer OP warten. Offenbar ist es mehr als ernst, denn er lässt mir ausrichten, dass ich kommen soll.«
Roman zögerte keine Sekunde. Diesmal dachte er weder an Champagner noch ans Essen. Er