einen allein ist meine Wohnung eigentlich viel zu groß.« Mit entschuldigendem Lächeln drehte sich Dr. Mario Cornelius in seinem Wohnzimmer um die eigene Achse.
Marianne Hasselts Augen folgten der Bewegung des Kinderarztes, den sie vor einer Weile in der Behnisch-Klinik kennengelernt hatte.
Nach einer Schlägerei war ihr fast erwachsener Sohn Tobias dort eingeliefert worden. Doch erst als sie selbst wegen einer hartnäckigen Virus-Infektion in die Klinik musste, war sie Mario Cornelius wiederbegegnet, und die beiden hatten ihr Interesse füreinander entdeckt.
Mario, der des Alleinseins überdrüssig war, hatte die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und Marianne zu sich zum Essen eingeladen. Zuerst hatte sie gezögert. Immerhin war der Kinderarzt zehn Jahre jünger als sie. Doch schließlich hatte sie ihre Bedenken über Bord geworfen, und nun war Marianne hier in seiner Wohnung.
»Ich finde es toll hier«, erklärte sie so unbefangen, wie es ihr in der Gegenwart dieses beeindruckenden Mannes möglich war. »Für einen Mann hast du einen erstaunlich guten Geschmack!« Sie hatte kaum ausgesprochen, als sie auch schon die Hand voller Schreck vor den Mund schlug. »Tut mir leid, ich wollte nicht überheblich klingen … Gegen diese Wohnung ist meine ein kleines, düsteres Mauseloch.«
Mario lachte über diese unbedachte Bemerkung.
»Das wiederum kann ich mir gar nicht vorstellen«, erwiderte er und führte sie an den stilvoll gedeckten Tisch. In diesem Moment nahm er sich vor, dass Marianne nie erfahren sollte, dass seine Schwester ihn in Einrichtungsfragen und auch beim Tischdecken beraten hatte. Mariannes offensichtliche Bewunderung war Balsam für seine Seele. »Tatjana hat mir verraten, was für ein gestalterisches Talent du hast.«
Schlagartig fingen Mariannes Wangen an zu glühen.
»Ach, die gute Jana übertreibt mal wieder schamlos«, winkte sie peinlich berührt ab und ließ ihren fachmännischen Blick über den satinierten Glastisch gleiten, der auf Holzbeinen stand. Die echten Efeuzweige machten sich gut zwischen weißem Porzellan und polierten Weingläsern und lockerten das Ensemble genauso auf wie die weißen Kerzen in originellen Holzständern. »Und so perfekt wie du bin ich noch lange nicht.«
»Das werden wir ja sehen, wenn der Bäckereiumbau erst fertig ist und du bei der Innenausstattung Hand angelegt hast«, zwinkerte Mario der Konditorin zu. »Und jetzt muss ich mir kurz entschuldigen. Ich werde in der Küche erwartet. Darf ich dir inzwischen was zu trinken anbieten? Einen Hugo? Oder lieber Aperol Spritz?«
»Einen Aperol Spritz. Und nur, wenn ich mir die Fotos da drüben ansehen darf.« Auf einem antiken Sekretär hatte Marianne eine Reihe von Bilderrahmen entdeckt, die ihre Aufmerksamkeit erregten.
»Du hast Glück. Wenn du dich für Hugo entschieden hättest, wäre nichts draus geworden«, scherzte der Kinderarzt ausgelassen. Ihm gefiel der unbeschwerte Ton der älteren Marianne, der nichts von ihrer inneren Anspannung verriet. »So aber habe ich natürlich nichts dagegen. Spritz ist nämlich auch mein Lieblings-Aperitif. Er erinnert mich immer an laue Sommerabende in Italien«, lächelte er, erfreut darüber, eine Gemeinsamkeit entdeckt zu haben. »Dann viel Spaß mit den Fotos.«
Marianne sah ihrem Gastgeber nach, wie er mit elastischen Schritten durchs Wohnzimmer ging und in der Küche verschwand, die durch eine Schiebetür aus Glas vom übrigen Wohnraum getrennt war. Während sie Eiswürfel klirren und einen Korken ploppen hörte, machte sie ihr Vorhaben wahr und wanderte hinüber zum Sekretär. Viele Fotos in Silberrahmen waren dort aufgereiht. Besonders eines versetzte ihr einen eifersüchtigen Stich.
Sie war so vertieft in den Anblick der schönen, jungen Frau in Marios Armen, dass sie nicht bemerkte, wie er hinter sie trat.
»Auf einen schönen Abend!«, raunte er dicht an ihrem Ohr, und um ein Haar wäre Marianne in Ohnmacht gefallen.
Langsam drehte sie sich wieder zu ihm um und lächelte ihn an.
»Den habe ich schon jetzt.« Ihre Stimme war ein wenig heiser, und als Mario sie ansah, rann ihm ein Schauer über den Rücken. Daran waren ihre dunkelgrauen Katzenaugen nicht unschuldig, die unter den widerspenstigen Locken hervorblitzten. Ihre Blicke verfingen sich ineinander, und bevor Mario auf dumme Gedanken kommen konnte, drehte sich Marianne wieder zu den Bildern um und deutete auf das eine Foto. »Darf ich fragen, wer diese wunderschöne Frau neben dir ist?« Ihr Misstrauen war nicht ungerechtfertigt. Dr. Mario Cornelius war der begehrteste Junggeselle der Behnisch-Klinik, und besonders eine junge Lernschwester hatte sich in den Kopf gesetzt, ihn zu erobern. Das war auch Marianne zu Ohren gekommen, und sie wunderte sich, dass der Arzt ihr den Vorzug vor der bildhübschen Carina gab.
»Oh, die … ja, da hast du recht. Die ist sehr gefährlich«, erahnte Mario unterdessen Mariannes Gedanken. »Wegen ihr hab ich schon oft Ärger bekommen.«
»Ach, wirklich?« Argwöhnisch zog Marianne eine Augenbraue hoch.
»Allerdings!« Nur mit Mühe gelang es Mario, ein belustigtes Lächeln zu unterdrücken. »Wegen ihr und ihren Geschwistern. Ich habe nämlich das Talent, immer im falschen Augenblick bei meiner Schwester Felicitas aufzutauchen und Pizza oder Eis mitzubringen und das meist dann, wenn meine Nichten und Neffen gerade Ärger mit ihren Eltern haben.«
Es dauerte einen Moment, bis Marianne begriff.
»Du meinst, dieses bildhübsche Mädchen ist deine Nichte?«, fragte sie überrascht.
»Wieso? Sieht sie mir nicht ähnlich?«, mimte Mario Entsetzen.
In diesem Moment löste sich Mariannes Anspannung in Luft auf und sie musste lachen.
»Das werde ich dir nicht verraten«, erwiderte sie schelmisch. »Am Ende wirst du noch eingebildet!« Sie hob ihr Glas und prostete ihm zu, ehe die Eiswürfel im Glas ganz schmelzen konnten.
»Schade. Dabei mag ich Komplimente von schönen Frauen am allerliebsten«, gab Mario zurück und reichte Marianne den Arm, um sie endlich an den Tisch zu führen. »Aber jetzt muss ich unbedingt dafür sorgen, dass du mir nicht verhungerst. Meine Mühe soll ja nicht umsonst gewesen sein.«
Wieder lachte Marianne belustigt auf und ließ sich das leckere Ofengemüse mit Kartoffelgratin servieren, das der Kinderarzt allein für sie gezaubert hatte.
»Du scheinst ein wahrer Traummann zu sein«, seufzte sie, als sie sich endlich pappsatt zurücklehnte. »Nicht nur, dass du gut aussiehst, intelligent und charmant bist. Du hast auch noch einen hervorragenden Geschmack und kannst obendrein kochen. Was will eine Frau mehr?« Auch auf die Gefahr hin, dass ihm die Komplimente zu Kopf stiegen, kam sie nicht umhin, die Wahrheit zu sagen. Diesmal lachte Marianne aber nicht. Ganz im Gegenteil wurden ihre Augen schmal und ihre Miene nachdenklich. »Ich weiß, dass es mir nicht zusteht, aber ich würde doch gern eine Sache klären, ehe ich mich darauf einlasse, dich näher kennenzulernen«, ging sie auf’s Ganze.
Marios Herz begann vor Aufregung schneller zu schlagen. Obwohl er sich seiner Qualitäten bewusst war, war er nicht im Geringsten eingebildet. Das lag auch daran, dass er inzwischen zu spüren bekommen hatte, wie schwer es war, eine passende Partnerin zu finden.
»Was willst du wissen?«, fragte er heiser.
Marinna schluckte an dem Kloß in ihrem Hals und verlegen drehte sie das Glas in ihren Händen.
»Warum ich?«, stellte sie die Frage, die ihr am meisten auf der Seele brannte. »Ich meine, ich bin zehn Jahre älter als du, habe einen fast erwachsenen Sohn und denke nicht im Traum daran, nochmal eine Familie zu gründen«, zählte sie die harten Fakten auf. »Du könntest andere Frauen haben, deren Lebensumstände besser zu dir passen. Bestimmt bist du jetzt in einer Phase deines Lebens, in der du davon träumst, deine Gene weiterzugeben, Kinder zu haben, sie großzuziehen.« Sie hielt inne und trank einen Schluck. Vor Aufregung war ihre Kehle ganz trocken. Trotzdem ließ sie ihn nicht aus den Augen. »Ich habe von Schwester Carina gehört…«
An dieser Stelle hob Mario schlagartig abwehrend die Hände und verdrehte die Augen gen Himmel. Hatte denn wirklich jeder von dieser unglückseligen Angelegenheit erfahren?
»Carina ist viel zu jung und hat keine