schnappte Tatjana nach Luft.
»Nein. Darfst du nicht. Und ich finde, wir können uns den Rest dieses unerfreulichen Gesprächs auch sparen.«
Endlich schien Marla ein Licht aufzugehen. Sie sah Tatjana eingehend an und dachte dabei nach.
»Ach, jetzt kapier ich… Sie sind sauer wegen dem Schnösel von vorhin. Das war ein Missverständnis… Vergessen wir die ganze Sache.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich bin genau die Frau, die Sie suchen.«
»Was macht dich da so sicher?« Mit jedem Wort konnte Tatjana es weniger glauben. Selten hatte sie ein so selbstbewusstes Mädchen gesehen. Aber war diese so demonstrativ zur Schau gestellte Selbstsicherheit auch echt? Daran hatte die Bäckerin ihre berechtigten Zweifel.
»Ich kann backen, was Sie wollen. Das ganze Programm. Sie haben meine Unterlagen doch gesehen.«
Tatjana zögerte kurz. Dann holte sie tief Luft und setzte zu einer Erklärung an.
»Das mag schon sein, Marla. Aber ich suche nicht nur eine fähige Bäckerin, sondern ein Allround-Talent, das auch mal vorn im Verkauf mithelfen und die Kunden freundlich bedienen kann. Diese Fähigkeit scheint bei dir nicht allzu stark ausgeprägt zu sein«, wagte sie eine vorsichtige Prognose.
»Ich könnte zur Probe arbeiten«, machte Marla unbeeindruckt einen Vorschlag.
Doch Tatjana hatte weder Lust noch Nerven für Experimente.
»Tut mir leid!« Sie schüttelte den Kopf und ging zur Tür. Das kleine Glöckchen klingelte hektisch, als sie sie öffnete und eine eindeutige Geste machte.
Marla zögerte. Dann rutschte sie vom Barhocker und kam der unmissverständlichen Aufforderung nach. An der Tür angekommen, blieb sie noch einmal stehen und sah Tatjana kaugummikauend an.
»Falls Sie es sich noch einmal anders überlegen… Meine Adresse haben Sie ja.« Dazu lächelte sie so freundlich, als könnte sie kein Wässerchen trüben.
Doch in diesem Augenblick war Tatjana sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Sie vergaß sie in dem Moment, als sie Marianne bemerkte, die eben aus ihrem Wagen ausstieg und ihr fröhlich zuwinkte. Mit einem Armvoll Blumen und einem großen Korb – beides zauberte sie vom Rücksitz ihres Wagens – kam sie auf Tatjana zu. Die Tortenkünstlerin hatte ein großes Geschick im Arrangieren und Dekorieren und lebte ihr Talent nur zu gern in der frisch renovierten Bäckerei und dem kleinen Café aus. Dieses Talent wirkte sich direkt auf die Kundschaft auf, die nach der Neueröffnung in Scharen in das Geschäft strömte und gar nicht mehr gehen wollte.
»Guten Morgen, Jana. War das unsere neue Kollegin?«, erkundigte sich Marianne, als sie bei ihrer Chefin angekommen war.
»Sie wäre es gern geworden. Aber es lag nicht nur an den blauen Haaren.« Tatjana lachte und nahm Marianne die Blumen ab. »Komm erst mal rein und trink einen Kaffee mit mir. Dann erzähle ich dir alles.«
Das ließ sich Marianne nicht zwei Mal sagen und folgte ihrer Chefin ins Geschäft.
*
Dr. Daniel Norden hatte sich viel Zeit genommen für die Untersuchung seiner Haushälterin Lenni. Inzwischen war Fee in ihr Büro zurückgekehrt und versuchte seither, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Vergeblich, wie sie bald einsehen musste. Die sorgenvollen Gedanken kreisten unaufhörlich in ihrem Kopf, und Felicitas amtete erleichtert auf, als ihr Mann endlich in ihrem Büro auftauchte.
»Gott sei Dank, Dan, da bist du ja endlich!« Sie sprang vom Stuhl auf und eilte ihm entgegen.
»Hoppla, so eine stürmische Begrüßung lasse ich mir gern gefallen.« Trotz seiner Sorgen musste Daniel lachen und schloss seine Frau in die Arme.
Die Erinnerung an die Zärtlichkeiten des Morgens war noch lebendig, und er musste sie mit Gewalt vertreiben, um sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können.
»Wie geht es Lenni?«, erinnerte auch Fee ihn an das, was im Augenblick am Wichtigsten war.
»Der Verdacht hat sich bestätigt. Sie hat sich eine Trümmerfraktur des linken Kniegelenks zugezogen«, erklärte er und ging hinüber zum Sideboard, wo immer eine Schale mit frischem Gebäck aus Tatjanas Bäckerei bereit stand. Einen Moment lang blickte er auf die verführerische Auswahl und entschied sich schließlich für ein ebenso winziges wie köstliches Schoko-Sahne-Törtchen. »Hmmm, die sind einfach fantastisch«, geriet er unvermittelt ins Schwärmen und schloss einen kurzen Augenblick genüsslich die Augen.
Fees alarmierte Stimme ließ Daniel aber rasch wieder in die Wirklichkeit zurückkehren.
»Heißt das, dass sie ein neues Kniegelenk braucht?«, fragte sie zutiefst besorgt.
»Keine Angst, Feelein«, versuchte Daniel, seine Frau zu beruhigen. »Du weißt doch selbst, dass das heutzutage ein Routineeingriff ist.«
Das wusste Felicitas tatsächlich. Sie wusste aber auch, dass ihr Mann etwas vor ihr verbarg. Der ernste Ausdruck in seinen Augen zeugte davon.
»Ist da noch was?«, hakte sie nach.
Als Daniel seufzte, bestätigten sich ihre Befürchtungen.
»Ich kann aber auch wirklich gar nichts vor dir verbergen.«
»Ein beruhigender Gedanke«, stellte Fee ernst fest. »Was ist los?«
»Eigentlich wollte ich erst darüber sprechen, wenn mehr Untersuchungsergebnisse vorliegen. Aber gut… Lenni hat seit einiger Zeit Herzbeschwerden.«
Diese Nachricht kam auch für Fee überraschend. Mit vielem hatte sie gerechnet, nur nicht damit.
»Seit einiger Zeit, sagst du? Wie kann das sein? Davon hätten wir doch was mitbekommen müssen.«
Dieser Gedanke bekümmerte auch ihren Mann.
»Ich weiß auch nicht, warum sie nichts gesagt hat. Die Herzrhythmusstörungen sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch der Grund für ihre Schwindelanfälle.« Unwillig schüttelte Dr. Norden den Kopf. »In diesem Zustand ist selbst eine Operation mit Rückenmarksnarkose ein Risiko. Aber ich hoffe, dass wir diese Probleme bis morgen früh in den Griff bekommen werden und uns dann um das Knie kümmern können.«
Felicitas Norden kannte ihren Mann gut genug, um auch die Worte zwischen den Zeilen lesen zu können. Die Sorge um die Haushälterin, die ihr in all den Jahren wie ein echtes Familienmitglied ans Herz gewachsen war, ließ ihre Knie weich werden. Sie sank auf den Stuhl, der vor ihrem Schreibtisch für Besucher bereit stand. Angstvoll sah sie zu ihrem Mann hoch.
»Sie wird doch wieder gesund werden?«
Diese bange Frage hatte sich Dr. Norden auch schon gestellt. Zu diesem Zeitpunkt gab es keine sichere Antwort darauf. Doch wie immer hatte auch in diesem Fall sein unerschütterlicher Optimismus gesiegt. So lange eine Schlacht nicht verloren war, wollte er an den glücklichen Ausgang glauben.
»Natürlich wird sie das!«, versicherte er mit fester Stimme. »Und wir alle werden ihr dabei helfen.«
*
»Warum nur hab ich mich von Lenni überreden lassen?«, murmelte Felix Norden vor sich hin, während er eine neue Lieferung Acrylfarben in dem dafür vorgesehenen Schrank verstaute. Die Materialien waren für Menschen gedacht, die nach einer Operation mit körperlichen Einschränkungen kämpfen mussten und ihre Bewegungsfähigkeit unter anderem durch eine Maltherapie wiedererlangen sollten. Er war so vertieft in seine verzweifelten Gedanken und Schuldgefühle, dass er die Blicke seiner ungeliebten Chefin nicht bemerkte.
»Ist es um deinen Geisteszustand schon so schlecht bestellt, dass du Selbstgespräche führst?«, fragte ihn die Ergotherapeutin ironisch.
Durch Worte und Gesten hatte sie dem Arztsohn von Anfang an unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er mitnichten mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden war. Er musste sich seine Sporen selbst verdienen, und sie dachte nicht daran, ihm das Leben leicht zu machen.
Felix, der nicht mit einem Zuhörer gerechnet