Herbert George Wells

H. G. Wells – Gesammelte Werke


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wor­den war. Ich ging mit ei­ner neu­en Wen­dung in mei­nen Ge­dan­ken wei­ter.

      Nach­mit­tags schlief ich an ei­ner son­ni­gen Stel­le einen an­ge­neh­men Schlaf und ging er­frischt mei­nes We­ges wei­ter.

      Ich kam zu ei­nem be­hag­lich aus­se­hen­den Gast­hof bei Can­ter­bu­ry. Er leuch­te­te von Sch­ling­ge­wäch­sen, und die Wir­tin war eine sau­be­re alte Frau, die mein Auge an­zog. Ich fand, dass ich ge­ra­de Geld ge­nug hat­te, um für mein Zim­mer bei ihr zu zah­len. Ich be­schloss, die Nacht dort zu blei­ben. Sie war eine ge­schwät­zi­ge Frau, und un­ter an­de­ren Ein­zel­hei­ten er­fuhr ich, dass sie noch nie in Lon­don ge­we­sen war. »Can­ter­bu­ry, wei­ter bin ich noch nich’ ge­we­sen«, sag­te sie. »Ich bin kei­ne von Ihren Rum­strei­chern.«

      »Wie wür­de Ih­nen ein Aus­flug zum Mond ge­fal­len?«, rief ich.

      »Hab’ nie ’was mit die Bal­lons in’n Sinn ge­habt«, sag­te sie, of­fen­bar un­ter dem Ein­druck, dies sei eine ziem­lich ge­wöhn­li­che Rei­se. »Ich ging in kei­nen ’rauf – nich’ für noch so­viel.«

      Das schi­en mir ul­kig. Als ich zu Nacht ge­ges­sen hat­te, setz­te ich mich auf eine Bank ne­ben der Tür des Gast­hofs und plau­der­te mit zwei Ar­bei­tern über Zie­gel­strei­chen und Mo­tor­wa­gen und über das letzt­jäh­ri­ge Kricket. Und am Him­mel sank ein blas­ser jun­ger Mond, blau und un­be­stimmt wie eine fer­ne Alp, west­lich über der Son­ne nie­der.

      Am an­de­ren Tage kehr­te ich zu Ca­vor zu­rück. »Ich kom­me«, sag­te ich. »Ich bin ein biss­chen in Un­ord­nung ge­we­sen, wei­ter nichts.«

      Das war das ein­zi­ge Mal, dass ich ernst­li­chen Zwei­fel ge­gen un­ser Un­ter­neh­men emp­fand. Nichts als die Ner­ven! Da­nach ar­bei­te­te ich ein we­nig acht­sa­mer und lief je­den Tag eine Stun­de lang her­um. Und zu­letzt wa­ren un­se­re Ar­bei­ten, ab­ge­se­hen von der Er­hit­zung im Schmelzofen, zu Ende.

      4 – In der Sphäre

      Nur wei­ter«, sag­te Ca­vor, als ich auf dem Ran­de des Ein­stei­ge­lo­ches saß und in das schwar­ze In­ne­re der Sphä­re nie­der­blick­te. Wir bei­den wa­ren al­lein. Es war Abend, die Son­ne war un­ter­ge­gan­gen, und auf al­lem lag die Stil­le des Zwie­lichts.

      Ich zog auch das an­de­re Bein hin­ein und glitt über das glat­te Glas auf den Bo­den der Sphä­re; dann wand­te ich mich, um Ca­vor die Kan­nen mit den Nah­rungs­mit­teln und die an­de­ren Im­pe­di­men­ta ab­zu­neh­men. Das In­ne­re war warm, das Ther­mo­me­ter stand auf acht­zig Fah­ren­heit, und da wir we­nig oder nichts da­von durch Strah­lung ver­lie­ren soll­ten, wa­ren wir in Schu­he und dün­nen Fla­nell ge­klei­det. Wir hat­ten je­doch ein Bün­del mit di­cken Wol­len­klei­dern und meh­re­re di­cke De­cken bei uns, um uns vor Un­fäl­len zu schüt­zen. Nach Ca­vors An­wei­sung leg­te ich die Kis­ten, die Sau­er­stoff­zy­lin­der und so wei­ter lose um mei­ne Füße, und bald hat­ten wir al­les drin­nen. Er ging eine Zeit lang auf der Su­che nach ir­gend et­was, was wir über­se­hen hät­ten, im dach­lo­sen Schup­pen um­her und kroch mir dann nach. Ich be­merk­te et­was in sei­ner Hand.

      »Was ha­ben Sie da?«, frag­te ich.

      »Ha­ben Sie sich nichts zu le­sen mit­ge­bracht?«

      »Gro­ßer Gott! Nein.«

      »Ich ver­gaß, es Ih­nen zu sa­gen. Man­ches ist un­ge­wiss – die Rei­se dau­ert viel­leicht – es kann Wo­chen dau­ern!«

      »Aber –«

      »Wir wer­den ab­so­lut ohne Be­schäf­ti­gung in die­ser Sphä­re schwim­men.«

      »Ich woll­te, ich hät­te es ge­wusst – –«

      Er blick­te zum Ein­stei­ge­loch hin­aus. »Se­hen Sie!«, sag­te er. »Da liegt was!«

      »Ist noch Zeit?«

      »Es dau­ert noch eine Stun­de.«

      Ich nahm ihm das Buch aus der Hand und las: »Wil­liam Sha­ke­s­pea­res Wer­ke«.

      Er er­rö­te­te leicht. »Mei­ne Bil­dung ist so rein na­tur­wis­sen­schaft­lich ge­we­sen« – sag­te er ent­schul­di­gend.

      »Ihn nie ge­le­sen?«

      »Nie.«

      »Er hat ei­ni­ges ge­wusst, wis­sen Sie – ir­re­gu­lä­res Wis­sen.«

      »Genau, was ich ge­hört habe«, sag­te Ca­vor.

      Ich half ihm, den Glas­de­ckel des Ein­stei­ge­lochs ein­zu­schrau­ben, und dann drück­te er auf einen Knopf, um die ent­spre­chen­de Ja­lou­sie in der äu­ße­ren Hül­le zu schlie­ßen. Das klei­ne Zwie­licht­vier­eck ver­schwand. Wir wa­ren im Dun­kel.

      Eine Zeit lang sprach kei­ner von uns. Ob­gleich un­se­re Hül­le für den Schall nicht un­durch­dring­lich war, war doch al­les sehr still. Ich sah, dass nichts da war, wor­an man sich fest­klam­mern konn­te, wenn der Stoß un­se­res Auf­bruchs käme, und mir wur­de klar, dass mir der Man­gel ei­nes Stuhls Un­be­ha­gen be­rei­ten wür­de.

      »Wa­rum ha­ben wir kei­ne Stüh­le?«, frag­te ich.

      »An all das hab ich ge­dacht«, sag­te Ca­vor. »Wir wer­den sie nicht nö­tig ha­ben.«

      »Wa­rum nicht?«

      »Sie wer­den se­hen«, sag­te er in dem Ton ei­nes Men­schen, der nicht re­den will.

      Ich ver­stumm­te. Plötz­lich war es mir klar und leb­haft auf­ge­gan­gen, dass ich ein Narr war, in die­ser Sphä­re zu sein. Selbst jetzt noch, frag­te ich mich, ist es zu spät, sich zu­rück­zu­zie­hen? Die Welt au­ßer­halb der Sphä­re, das wuss­te ich, wür­de kalt und un­gast­lich ge­nug ge­gen mich sein – seit Wo­chen hat­te ich von Ca­vors Sub­si­di­en ge­lebt – aber schließ­lich, wür­de sie so kalt sein wie der un­end­li­che Null­punkt, so un­gast­lich wie der lee­re Raum? Wäre es nicht um den An­schein der Feig­heit ge­we­sen, ich glau­be, ich hät­te ihn selbst da noch ge­zwun­gen, mich hin­aus­zu­las­sen. Aber aus dem Grun­de zö­ger­te ich und zö­ger­te ich und wur­de un­ge­dul­dig und zor­nig, und die Zeit ver­ging.

      Da kam ein lei­ser Ruck, ein Geräusch, wie wenn im Ne­ben­zim­mer Cham­pa­gner ent­korkt wür­de, und ein schwa­cher pfei­fen­der Schall. Eine Se­kun­de lang hat­te ich eine Emp­fin­dung un­ge­heu­rer Span­nung, eine flüch­ti­ge Über­zeu­gung, dass mei­ne Füße mit der Kraft zahl­lo­ser Tons nach un­ten press­ten. Es dau­er­te eine un­end­lich klei­ne Zeit.

      Aber es rüt­tel­te mich zum Han­deln auf. »Ca­vor!«, sag­te ich ins Dun­kel hin­ein, »mei­ne Ner­ven sind ka­putt … Ich glau­be nicht – –«

      Ich hielt inne. Er gab kei­ne Ant­wort.

      »Zum Hen­ker!«, rief ich, »bin ich ein Narr! Was habe ich hier zu su­chen? Ich kom­me nicht mit, Ca­vor. Die Sa­che ist zu ris­kant. Ich stei­ge hin­aus.«

      »Das kön­nen Sie nicht«, sag­te er.

      »Kann nicht! Das wol­len wir bald se­hen!«

      Er