Herbert George Wells

H. G. Wells – Gesammelte Werke


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im Kopf Hand in Hand, bei­na­he et­was Apo­plek­ti­sches, und ein Po­chen der Blut­ge­fäße in den Ohren. Kei­nes die­ser Ge­füh­le wur­de mit der Zeit ge­rin­ger, aber schließ­lich war ich so dar­an ge­wöhnt, dass sie mir nicht mehr un­an­ge­nehm wa­ren.

      Ich hör­te ein Klin­ken und eine klei­ne Glüh­lam­pe leuch­te­te auf.

      Ich sah Ca­vors Ge­sicht, so weiß, wie ich fühl­te, dass meins war. Wir blick­ten ein­an­der schwei­gend an. Die durch­sich­ti­ge Schwär­ze des Gla­ses hin­ter ihm be­wirk­te, dass er aus­sah, als schwim­me er in ei­ner Lee­re.

      »Nun, wir sind ge­fan­gen«, sag­te ich schließ­lich.

      »Ja«, sag­te er, »wir sind ge­fan­gen.«

      »Be­we­gen Sie sich nicht«, rief er bei der An­deu­tung ei­ner Ges­te aus. »Las­sen Sie Ihre Mus­keln ganz schlaff – wie wenn Sie im Bett lä­gen. Wir sind in ei­nem klei­nen ei­ge­nen Uni­ver­sum. Se­hen Sie die Din­ge da an!«

      Er zeig­te auf die Kis­ten und Bün­del, die am Bo­den der Sphä­re auf den De­cken ge­le­gen hat­ten. Ich war er­staunt, sie fast einen Fuß weit von der sphä­ri­schen Mau­er ent­fernt schwim­men zu se­hen. Dann sah ich an sei­nem Schat­ten, dass Ca­vor nicht mehr am Gla­se lehn­te. Ich streck­te die Hand hin­ter mich und fand, dass auch ich, klar vom Glas, im Rau­me schweb­te.

      Ich schrie nicht auf und ges­ti­ku­lier­te nicht, aber die Angst über­schlich mich. Es war, als wür­de man von et­was ge­hal­ten und ge­ho­ben – man wuss­te nicht, wo­von. Die blo­ße Berüh­rung mei­ner Hand mit dem Gla­se brach­te mich in ra­sche Be­we­gung. Ich be­griff, was ge­sche­hen war, aber das hin­der­te nicht, dass ich mich fürch­te­te. Wir wa­ren von al­ler äu­ße­ren Gra­vi­ta­ti­on ab­ge­schnit­ten, nur die An­zie­hung der Din­ge in­ner­halb un­se­rer Sphä­re wirk­te. In­fol­ge­des­sen fiel al­les, was nicht am Gla­se be­fes­tigt war – lang­sam, we­gen der Ge­ring­fü­gig­keit un­se­rer Mas­sen – zum Gra­vi­ta­ti­ons­zen­trum un­se­rer klei­nen Welt, das etwa im Mit­tel­punkt der Sphä­re, aber we­gen mei­nes hö­he­ren Ge­wich­tes mir nä­her als Ca­vor zu lie­gen schi­en.

      »Wir müs­sen uns dre­hen«, sag­te Ca­vor, »und Rücken ge­gen Rücken schwim­men, mit den Sa­chen zwi­schen uns.«

      Es war die son­der­bars­te Emp­fin­dung, die man sich vor­stel­len kann, so lose im Raum zu schwe­ben, an­fangs so­gar grau­en­haft un­heim­lich, als aber das Grau­en ver­ging, durch­aus nicht un­an­ge­nehm, au­ßer­or­dent­lich aus­ru­hend; ja, was ihr an ir­di­scher Er­fah­rung von al­lem, was ich ken­ne, am nächs­ten kam, war, wenn man auf ei­nem sehr di­cken, wei­chen Fe­der­bett liegt. Aber das Ei­gen­tüm­li­che der äu­ßers­ten Los­lö­sung und Un­ab­hän­gig­keit! Auf sol­che Din­ge hat­te ich nicht ge­rech­net. Ich hat­te beim Auf­stieg einen hef­ti­gen Stoß er­war­tet, ein schwind­li­ges Ge­fühl der Ge­schwin­dig­keit. Statt des­sen hat­te ich ein Ge­fühl – als wäre ich kör­per­los ge­wor­den. Es war nicht wie der Be­ginn ei­ner Rei­se; es war wie der Be­ginn ei­nes Traums.

      1 seit 1881 er­schei­nen­des Ma­ga­zin, 1989 ein­ge­stellt <<<

      5 – Die Fahrt zum Mond

      Dann lösch­te Ca­vor das Licht aus. Er sag­te, wir hät­ten nicht über­mä­ßig viel Ener­gie auf­ge­spei­chert, und wir müss­ten fürs Le­sen spa­ren. Eine Zeit lang, ob es lan­ge oder kurz dau­er­te, weiß ich nicht, war nichts als lee­re Schwär­ze zu se­hen.

      Eine Fra­ge schwamm aus der Lee­re her­auf. »Wie zei­gen wir?«, frag­te ich. »Wel­ches ist un­se­re Rich­tung?«

      »Wir flie­gen ge­ra­de­wegs von der Erde fort, und da der Mond sei­nem drit­ten Vier­tel nahe ist, ge­hen wir ir­gend­wo auf ihn zu. Ich will eine Ja­lou­sie öff­nen –«

      Es folg­te ein Klin­ken, und dann sprang ein Fens­ter in der äu­ße­ren Hül­le auf. Der Him­mel drau­ßen war eben­so schwarz wie die Dun­kel­heit in der Sphä­re, aber die Form des of­fe­nen Fens­ters wur­de durch eine un­end­li­che Zahl von Ster­nen mar­kiert.

      Wer den Ster­nen­him­mel nur von der Erde aus ge­se­hen hat, kann sich sei­ne Er­schei­nung, wenn der un­be­stimm­te halb hel­le Schlei­er un­se­rer Luft ent­fernt ist, gar nicht vor­stel­len. Die Ster­ne, die wir auf der Erde se­hen, sind nur die zer­streu­ten Über­le­ben­den, die un­se­re neb­li­ge At­mo­sphä­re durch­drin­gen. Jetzt end­lich konn­te ich den Sinn der himm­li­schen Heer­scha­ren er­fas­sen!

      Die­ser luft­lee­re, ster­nen­be­staub­te Him­mel! Von al­len Din­gen, glau­be ich, wird das eins der letz­ten sein, die ich ver­ges­sen wer­de!

      Das klei­ne Fens­ter ver­schwand mit ei­nem Klin­ken, ein an­de­res da­ne­ben schnapp­te auf und schloss sich so­fort wie­der, und dann ein drit­tes, und einen Mo­ment muss­te ich we­gen des blen­den­den Glan­zes des ab­neh­men­den Mon­des die Au­gen schlie­ßen.

      Eine Zeit lang muss­te ich Ca­vor und die weiß be­leuch­te­ten Din­ge um mich an­bli­cken, um mei­ne Au­gen wie­der ans Licht zu ge­wöh­nen, ehe ich sie auf je­nen blei­chen Glanz wer­fen konn­te.

      Vier Fens­ter wa­ren of­fen, da­mit die Gra­vi­ta­ti­on des Mon­des auf alle Stof­fe in un­se­rer Sphä­re wir­ken konn­te. Ich sah, dass ich nicht län­ger frei im Rau­me schweb­te, son­dern dass mei­ne Füße in der Rich­tung nach dem Mon­de zu auf dem Gla­se ruh­ten. Die De­cken und Vor­rats­kis­ten kro­chen gleich­falls lang­sam am Glas hin­un­ter und ka­men dann so zur Ruhe, dass sie uns einen Teil des Aus­blicks ver­sperr­ten. Mir war na­tür­lich, ich blick­te hin­un­ter, wenn ich auf den Mond blick­te. Auf der Erde heißt hin­un­ter erd­wärts, wie die Din­ge fal­len, und hin­auf heißt die um­ge­kehr­te Rich­tung. Jetzt ging der Zug der Gra­vi­ta­ti­on auf den Mond zu, und nach al­lem, was ich wuss­te, war un­se­re Erde über uns. Und na­tür­lich war, wenn alle Ja­lou­si­en ge­schlos­sen wa­ren, hin­un­ter auf das Zen­trum un­se­rer Sphä­re zu, und hin­auf nach ih­rer äu­ße­ren Um­wan­dung ge­rich­tet.

      Es lief auch son­der­bar ir­di­scher Er­fah­rung ent­ge­gen, dass das Licht zu ei­nem her­auf schi­en. Auf der Erde kommt das Licht von oben oder seit­lich schräg her­un­ter, aber hier kam es von un­ter un­se­ren Fü­ßen her, und um un­se­ren Schat­ten zu se­hen, muss­ten wir nach oben bli­cken.

      Zu­erst ver­ur­sach­te es mir eine Art Schwin­del, dass ich nur auf dickem Gla­se stand und durch Hun­dert­tau­sen­de von Mei­len lee­ren Raums auf den Mond hin­abblick­te; aber die Übel­keit ver­ging sehr rasch. Und dann – der Glanz des An­blicks!

      Der Le­ser kann es sich am bes­ten vor­stel­len, wenn er sich an ei­nem war­men Som­mer­abend auf den Bo­den legt und zwi­schen den Fü­ßen zum Mond em­por­blickt, aber aus ir­gend­ei­nem Grun­de, wahr­schein­lich, weil das Feh­len der Luft ihn so­viel leucht­kräf­ti­ger mach­te, schi­en der Mond schon be­trächt­lich grö­ßer als von der Erde aus. Die kleins­ten Ein­zel­hei­ten sei­ner Ober­flä­che wa­ren scharf zu se­hen. Da wir ihn nicht durch Luft sa­hen, war sein Um­riss hell und scharf, es lag kein Schein, kein Hof dar­um; der Ster­nen­staub, der den Him­mel be­deck­te, trat bis scharf an sei­nen Rand her­an und mar­kier­te den Um­riss sei­nes un­be­leuch­te­ten Teils. Und wie ich da­stand und zwi­schen mei­nen Fü­ßen hin­durch auf den Mond starr­te, kehr­te jene Emp­fin­dung des Un­mög­li­chen,