Herbert George Wells

H. G. Wells – Gesammelte Werke


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Er­schei­nun­gen zu er­klä­ren, die sie auf ih­ren Kar­ten so ge­nau ver­zeich­ne­ten. Wäh­rend die­ser gan­zen Zeit muss­ten die Mars­leu­te sich vor­be­rei­tet ha­ben.

      Der Sturm brach vor sechs Jah­ren über uns los. Als der Mars sich der Op­po­si­ti­on nä­her­te, setz­te La­vel­le in Java die Dräh­te der astro­no­mi­schen Mit­tei­lungs­sta­ti­on in Be­we­gung, um in äu­ßers­ter Er­re­gung die ver­blüf­fen­de Nach­richt von ei­nem un­ge­heu­ren Aus­bruch weiß­glü­hen­den Ga­ses auf dem Pla­ne­ten zu über­mit­teln. Das hat­te am 12. ge­gen Mit­ter­nacht statt­ge­fun­den. Das Spek­tro­skop, zu dem er sich so­fort be­gab, zeig­te eine Mas­se flam­men­den Ga­ses an, haupt­säch­lich Was­ser­stoff, das sich mit enor­mer Schnel­lig­keit ge­gen die Erde zu be­weg­te. Die­ser Feu­er­strahl war un­ge­fähr ein Vier­tel nach zwölf un­sicht­bar ge­wor­den. Er ver­glich ihn mit ei­nem un­ge­heue­ren flam­men­den Ge­blä­se, das plötz­lich und ge­walt­sam aus dem Pla­ne­ten her­vor­schoss »wie flam­men­des Gas aus ei­ner Ka­no­ne«.

      Das er­wies sich als ein sel­ten zu­tref­fen­der Aus­druck. Doch am nächs­ten Tage las man kein Wort da­von in den Zei­tun­gen, nur eine klei­ne No­tiz im »Dai­ly Te­le­graph«. Die Welt ver­harr­te in Un­ge­wiss­heit über eine der größ­ten Ge­fah­ren, die je­mals das mensch­li­che Ge­schlecht be­droht hat­ten. Ich hät­te über die Erup­ti­on über­haupt nichts ge­hört, wäre mir nicht der be­kann­te Astro­nom Ogil­vy in Ot­ters­haw be­geg­net. Er war von der Nach­richt über­aus be­wegt und im Über­maß sei­ner Ge­füh­le lud er mich ein, jene Nacht mit ihm zu­sam­men eine Prü­fung des Ro­ten Pla­ne­ten vor­zu­neh­men.

      Trotz al­lem, was ich seit­her er­lebt habe, er­in­ne­re ich mich noch sehr ge­nau je­ner Nacht­wa­che: Das schwar­ze, stil­le Ob­ser­va­to­ri­um, die be­schat­te­te La­ter­ne, die einen schwa­chen Schim­mer auf den Bo­den in der Ecke warf, das un­aus­ge­setz­te Ti­cken des Uhr­werks am Te­le­skop, den klei­nen Spalt im Da­che — eine recht­e­cki­ge Ver­tie­fung, über die der Dunst der Ster­ne strich. Ogil­vy schritt auf und nie­der, un­ge­se­hen aber hör­bar. Blick­te man durch das Te­le­skop, dann ge­wahr­te man einen tief­blau­en Kreis und den klei­nen run­den Pla­ne­ten, wie er am Him­mel da­hin­schwamm.

      Dicht ne­ben ihm im Ge­sichts­feld, er­in­ne­re ich mich, wa­ren drei klei­ne Licht­punk­te, drei te­le­sko­pi­sche Ster­ne, un­end­lich fern, und um sie her­um brü­te­te die un­er­gründ­li­che Fins­ter­nis des lee­ren Wel­traums. Man weiß, wie die Dun­kel­heit bei ei­ner fros­ti­gen stern­hel­len Nacht aus­sieht. Durch das Te­le­skop be­trach­tet scheint sie noch weit tiefer. Und un­sicht­bar für mich, weil es so fern und klein war, über je­nem un­glaub­li­chen Raum schnell und ste­tig auf mich zu flie­gend, jede Mi­nu­te umso vie­le tau­sen­de von Mei­len nä­her­kom­mend — saus­te je­nes Ding, das sie uns schick­ten, das Ding, das so viel Kampf und Un­heil und Tod über un­se­re Erde brin­gen soll­te. Als ich so späh­te, träum­te ich nicht ein­mal da­von; kein Mensch auf Er­den träum­te da­mals von je­nem un­fehl­ba­ren Ge­schoss.

      In die­ser Nacht aber er­folg­te ein zwei­ter Aus­bruch von Gas auf dem fer­nen Pla­ne­ten. Ich sah ihn. Ein röt­li­cher Blitz an der Kan­te, die Um­ris­se nur sehr schwach kennt­lich, ge­ra­de, als das Chro­no­me­ter Mit­ter­nacht schlug. Ich mel­de­te es Ogil­vy, und er nahm mei­nen Platz ein. Die Nacht war wär­mer ge­wor­den und ich durs­tig. Mit un­ge­schickt aus­ge­streck­ten Bei­nen, mei­nen Weg in der Dun­kel­heit tas­tend ging ich zu dem klei­nen Tisch, auf dem die Si­phon­fla­sche stand. Ogil­vy ge­riet un­ter­des­sen über die Gas­aus­strö­mun­gen, die auf uns zu­ka­men, in un­ge­heu­re Er­re­gung.

      In die­ser Nacht nahm ein zwei­tes un­sicht­ba­res Ge­schoss sei­nen Weg vom Mars aus ge­gen die Erde, ge­nau eine oder zwei Se­kun­den we­ni­ger als vier­und­zwan­zig Stun­den nach dem ers­ten. Ich er­in­ne­re mich, wie ich dort an dem Ti­sche saß; grü­ne und rote Krei­se flim­mer­ten vor mei­nen Au­gen. Ich är­ger­te mich, dass ich kei­ne Streich­hölz­chen hat­te, um rau­chen zu kön­nen. Ich dach­te we­nig über die Be­deu­tung des win­zi­gen Lich­tes nach, das ich ge­se­hen hat­te, und we­nig ver­mu­te­te ich, was es mir so bald brin­gen soll­te. Ogil­vy blieb bis ein Uhr auf der War­te, dann gab er es auf. Wir zün­de­ten die La­ter­ne an und gin­gen zu sei­nem Haus hin­über. Un­ten la­gen Ot­ters­haw und Chert­sey in der Dun­kel­heit, mit al­len ih­ren Hun­der­ten in Frie­den schlum­mern­den Men­schen.

      Ogil­vy war jene Nacht er­füllt von Mut­ma­ßun­gen über die Be­schaf­fen­heit des Mars und mach­te sich über die land­läu­fi­ge An­sicht lus­tig, dass er Ein­woh­ner habe, die uns Zei­chen ge­ben. Sei­ne An­sich­ten fass­te er da­hin zu­sam­men, dass ein hef­ti­ger Me­teo­ri­ten­schau­er über dem Pla­ne­ten nie­der­ge­he, oder dass ein un­ge­heu­rer vul­ka­ni­scher Aus­bruch im Zuge sei. Er mach­te mich auch dar­auf auf­merk­sam, wie un­wahr­schein­lich es sei, dass auf zwei be­nach­bar­ten Pla­ne­ten die or­ga­ni­sche Ent­wick­lung sich in der­sel­ben Rich­tung be­wegt habe.

      »Die Chan­cen ge­gen ir­gen­det­was Men­schen­ähn­li­ches auf dem Mars sind eine Mil­li­on zu eins«, sag­te er.

      Hun­der­te von Beo­b­ach­tern sa­hen die Flam­me in je­ner Nacht, und in der Nacht dar­auf, um Mit­ter­nacht, und wie­der in der Nacht dar­auf, und so fort zehn Näch­te, eine Flam­me jede Nacht. Wa­rum die Schüs­se nach der zehn­ten Nacht auf­hör­ten, hat nie­mand auf Er­den zu er­klä­ren ver­sucht. Mag sein, dass die Gase, die sich beim Ab­feu­ern bil­de­ten, den Mars­leu­ten Un­ge­le­gen­hei­ten ver­ur­sach­ten. Dich­te Wol­ken von Rauch oder Dunst, durch ein mäch­ti­ges Te­le­skop für die Erde als klei­ne graue fluk­tu­ie­ren­de Fle­cken sicht­bar, brei­te­ten sich durch die Klar­heit der At­mo­sphä­re des Pla­ne­ten aus, und ver­dun­kel­ten sei­ne be­kann­te­ren Li­ni­en.

      Selbst die Ta­ges­zei­tun­gen nah­men schließ­lich von die­sen Stö­run­gen No­tiz. Po­pu­lä­re Auf­sät­ze, die sich mit den Vul­ka­nen des Mars be­schäf­tig­ten, tauch­ten hie und da auf und wur­den über­all nach­ge­druckt. Ich er­in­ne­re mich, wie die halb­ko­mi­sche Zeit­schrift »Punch« in ei­ner po­li­ti­schen Zeich­nung einen glück­li­chen Ge­brauch von ih­nen mach­te. Und, al­len un­merk­lich, zo­gen jene Ge­schos­se, wel­che die Mars­leu­te auf uns ab­feu­er­ten, erd­wärts, und saus­ten jetzt mit ei­ner Schnel­lig­keit von vie­len Mei­len durch den lee­ren Wel­traum, Stun­de um Stun­de und Tag für Tag, nä­her und nä­her. Es scheint mir heu­te fast un­glaub­lich selt­sam, dass die Leu­te, wäh­rend die­ses rei­ßen­de Schick­sal über ih­nen hing, ih­ren win­zi­gen Ge­schäf­ten nach­ge­hen konn­ten, wie sie es da­mals ta­ten. Ich ent­sin­ne mich noch, wie Mark­ham ju­bel­te, als er sich für das il­lus­trier­te Blatt, das er in je­nen Ta­gen