Alexander Bálly

Hopfenbitter


Скачать книгу

mir ham, dann is des ned grad viel.«

      »Mehr habe ich leider nicht. Ich hab nur dieses eine Foto.«

      »Dann muss man aus dem Wenigen halt das Beste machen«, brummte Wimmer. »So wie i das seh, ham mir drei Ansatzpunkte.«

      Wimmer bemühte sich, sich sehr professionell zu geben. Er wollte bei dem Detektiv Eindruck schinden. Der Kollege wollte Geld bezahlen, und darum sollte er auch einen soliden Gegenwert erhalten.

      »Drei Ansatzpunkte?« Dirk Biss staunte. Er hatte das Bild natürlich auch genau angesehen. Die Leute waren sicher kaum ein Hinweis. Die Aufnahme war uralt und die Gesichter klein und unscharf. Dass man nach so langer Zeit darauf jemanden erkennen würde … das wäre ein reiner Glücksfall. Mehr Erfolg versprach da das Haus. Doch das war fraglich, denn auch Bauernhöfe veränderten sich mit der Zeit. Aber es war ein brauchbarer Ansatz. Der einzige, soweit Biss es erkannte. Und nun zauberte dieser Amateur noch zwei weitere Möglichkeiten aus dem Hut, an die Sache heranzutreten.

      »Was für Ansatzpunkte meinen Sie?«

      »Das Haus natürlich, die Bäume im Hintergrund und die Heiligenfigur da oben zwischen den Fenstern.«

      »Die ist doch ganz unscharf. Da werden Sie auch keine bessere Darstellung herauskitzeln können. Das hab ich doch schon probiert. Oder können Sie die so unscharf etwa erkennen?«

      »Naa. Erkennen kann i die aa ned. Aber mir können vielleicht trotzdem ziemlich genau abschätzen, wie groß die Figur sein muss.«

      »Wie wollen Sie denn das schätzen?«

      »Da, schaun S’. In der Lampe über der Tür sieht man a Glühbirne. Von der Kamera is die ziemlich genau so weit weg, wie die Nische mit der Figur. Und wie groß a Glühbirn ist, des weiß i zwar ned, sieben Zentimeter im Durchmesser, tät i schätzn. Aber des kann man doch rauskriegen. Und dann is es nur mehr a Rechenaufgab für die Mittelstufe: Dreisatz.«

      »Respekt!« Biss nickte anerkennend. Mit einer verlässlichen Vergleichsstrecke konnte man tatsächlich die Größe der Nische und der Figur recht genau ausrechnen. »Das kann ein wenig helfen. Aber ob uns das wirklich weiterbringt, weiß ich nicht. Heiligenfiguren in der Größe gibt es sicher viele. Und was ist mit den Bäumen?«

      »Da möcht i gern wen fragen. Vielleicht kriegen wir nicht raus, wo die Baam steh’n, aber i hoff, dass er uns sagen kann, nach was wir überhaupt schau’n sollen.«

      Als sie angekommen waren, bat Wimmer Biss, im Auto zu warten. »Der Mann is a bisserl a schwieriger Charakter. Da bin i besser allein.«

      Wimmer hatte erwartet, dass Biss protestieren würde, doch es schien ihm nichts auszumachen.

      Johannes Rosskopf war Nebenerwerbslandwirt auf einem Hof unweit von Wolnzach und als ungeselliger Eigenbrötler bekannt. Er gab sich schweigsam und muffig. An schlechten Tagen konnte er sehr rüpelhafte Manieren an den Tag legen. So war es kein Wunder, dass er als Einzelgänger galt. Die meisten Flächen seines Hofs waren verpachtet, bis auf ein wenig Holz und ein paar Äcker, auf denen er Gerste, Sonnenblumen und Raps im Wechsel anbaute. Seinen Lebensunterhalt verdiente er als Lokführer im Rangierverkehr.

      Seit seine Frau ihn sitzengelassen hatte, war das Thema Beziehung für ihn erledigt. »Die Weiberleut können mir g’stohlen bleiben. Wenn i a blöds G’wäsch hörn will, mach i den Radio an. Wenn i will, dass man mir was anschafft, geh i in die Arbeit. Und für a g’scheides G’spräch geh i in den Wald. So a Baam, der hört zu und unterbricht mi ned.«

      So lebte er allein und war zufrieden, wenn man ihn in Ruhe ließ und er seine Bäume hatte. Rosskopf war weder Naturromantiker noch Waidmann. Wenn er in den Wald ging, dann allein wegen der Bäume, in denen er echte Freunde sah. Sie verstanden ihn, und er verstand sie.

      Holz, das war ein wenig wie er selbst, sein Medium. Hart, zäh, ausdauernd und doch wunderbar gestaltbar. Seine Scheune hatte er mit der Zeit in eine kleine Schreinerwerkstatt verwandelt, in der übers Jahr eine Reihe außergewöhnlicher Vogelfutterhäuschen entstanden waren, mit Türmchen, kühnen Dachlandschaften und alle perfekt gearbeitet. Im Herbst verkaufte er sie für teures Geld im Internet. Das war ein willkommenes Zusatzeinkommen, von dem nur wenige wussten. Was keiner wusste: Rosskopf schnitzte auch herrliche Figuren. In seinem Keller gab es ein halbes Hundert spannenlanger Krippenfiguren, nur für ihn und seine private Freude.

      Wimmer mochte den Sonderling. Vor ein paar Jahren hatte er ab und zu noch ein paar Schweine rund gemacht, und der Metzger hatte sie ihm gern abgekauft, denn diese Tiere hatten ohne Zeitdruck ihren Speck ansetzen dürfen, hatten Auslauf genossen und waren ein gutes Stück weit besser gewesen als der Durchschnitt.

      Wimmer fand den Bauern nahe beim Hof auf einer Bank neben einer Linde in der Morgensonne sitzen und eine Pfeife rauchen.

      »Griaß de, Ludwig!«

      »Servus, Johannes.«

      Es folgte eine Pause.

      »Bist schon lang nimmer da g’wen.«

      »Is scho a Weile her. Stimmt. Und? Dir geht’s gut?«

      »Passt scho. Und selbst?«

      »Mei … muss ja.«

      Damit waren sowohl die Begrüßung als auch der Smalltalk beendet. Wimmer setzte sich, und sie schwiegen beide. Nach einer Weile drehte sich der Gastgeber halb zu Wimmer um und zog eine Augenbraue hoch.

      »Ja, genau, Johannes, i brauch was von dir. I hab da a Problem, und da warst du vielleicht der Rechte, der mir helfen kannt.« Rosskopf schwieg weiter. Auch Wimmer ließ sich Zeit, dann fuhr er fort. »I soll auf am alten Foto a Haus finden. A paar Baam san aa auf dem Bild drauf. Viel erkenn i da ned, aber vielleicht kannst du mir sagen, was des für Baam gewesen sind.«

      Rosskopf nahm die Pfeife aus dem Mund und schmunzelte.

      »Dann zeig doch amal her.«

      Nach eingehendem Studium des Bildes stellte er fest, dass es kaum eindeutig zu sagen war.

      »Die Qualität is scho recht lausig. Der linke Baam kannt mit a bisserl am Glück a Eiche sein. Wenn des aber a Kastanie ist, dann wirst die vielleicht gar nimmer finden. Die werden meistens ned so alt. Die wann im Inneren morsch werden, dann muss man die umschneiden. Im Hintergrund is a Birke. Die war damals a scho recht alt. Die wird ziemlich sicher nimmer stehn. Aber hier am Rand, des schaut aus, als ob des a Linde war … die könnt’s noch geben. So a Linde, die wird alt.«

      Wimmer blieb noch eine Weile sitzen.

      »Wenn’s a Linden is«, ergänzte Rosskopf, »dann kann’s sogar sein, dass ma die unter Schutz g’stellt hat. Seit etwa dreißig Jahren kannst so an schönen alten Baam nimmer einfach wegmachen. So a Baamfrevel is inzwischen oft aa gesetzlich verboten.«

      Damit verstummte er wieder und hüllte sich in eine aromatische Wolke Tabakrauch. Wimmer bedankte und verabschiedete sich, dann kehrte er zu seinem Auftraggeber zurück. Biss legte gerade eine Art Satellitenschüssel aus Plexiglas mit Handgriff zu einem Kassettenrekorder in den Kofferraum.

      »Is das a Richtmikrofon?«

      »Ja, freilich. Haben Sie geglaubt, ich bleib im Auto und les derweil a Mickey-Maus-Hefterl?«

      »Und aufgenommen ham S’ mi aa no?«

      Das hatte Biss nicht getan. Der Kassettenrekorder, so erklärte er – und es stimmte sogar – sei nur eine Vorsichtsmaßnahme. Mit dem Rekorder und dem Buch »Unsere gefiederten Freunde – Band 1, Singvögel« könne er jederzeit und überall mit dem Richtmikrofon arbeiten und dann behaupten, nur ein Hobbyornithologe zu sein, auf der Suche nach dem Ruf des Ziegenschnäppers. Wer die Kassette anhörte, fand darauf tatsächlich nur Vogelgezwitscher. Wollte Biss mit dem Richtmikrofon etwas aufnehmen, stöpsele er sein digitales Aufnahmegerät an, so groß wie eine Zigarettenpackung.

      Die Weiterfahrt war still und frostig. Wimmer fühlte sich getäuscht und schwieg hartnäckig. Schließlich lenkte Biss den Wagen an den Straßenrand und stellte den Motor ab.

      »Herr Wimmer, wenn Sie sich