Alexander Bálly

Hopfenbitter


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So umgab ihn eine Aura aus Attraktivität und Geheimnis.

      Wie genau es gekommen war, konnte Franziska gar nicht sagen. Natürlich hatte sie seine Entwicklung vom Jungen zum Mann beobachtet, und das durchaus mit einem gewissen Appetit, den ihre Mama belächelt und vor allem Tante und Großmutter »ab-so-lut unpassend« genannt hätten. Doch bis vor ein paar Tagen waren es nur Gedankenspielereien gewesen – falls überhaupt. Und dann … dann war sie gestolpert, und er fing sie auf … sie waren allein, und dann lag sie plötzlich in seinen Armen, und er küsste sie. »Das hat er nicht das erste Mal gemacht!«, schoss es ihr durch den Kopf. Dann küsste er sie erneut, und sie gab sich dem Strudel der Gefühle hin. Als sie eine knappe Stunde später auf wackligen Beinen hinter Konstantin aus einer Kammer schlich, konnte sie immer noch nicht glauben, was da eben passiert war.

      Es war leichtsinnig, es war streng verboten, völlig unvernünftig und ohne Zukunft. Es war nur die Lust, aber immerhin – die war es: die reine, vollkommene Lust, vollständige Hingabe zu zweit. Konstantin hatte sich trotz seiner Jugend als guter Liebhaber erwiesen, fest zupackend und zugleich zärtlich und weit besser in Form als die Vorstadtcasanovas, die sie in München umschwärmt und jedes Mal enttäuscht hatten, wenn sie ihnen doch einmal nachgegeben hatte.

      Die nächsten Tage ging Franziska wie auf Wolken. Sie machte sich nichts vor. Es war für sie beide nur eine Liebelei. Hatte sie Gewissensbisse oder Angst vor der Sünde? Vor möglichen Folgen und der Zukunft? Nein. Seltsamerweise nicht. Ihre Hormone schäumten über und schwemmten alle Bedenken davon. Die Eskapade widersprach zwar allem, was ihre Tante und Großmutter sie gelehrt hatten, doch deren Moral war kalt und grau. Wenn sie an die Berührungen von Konstantin dachte, musste sie unwillkürlich lächeln. Alles war angenehm gewesen, warm und erfüllte sie immer noch mit Freude. Sie spürte es tief in sich, dass dieses wunderbare Gefühl nicht falsch sein konnte. Natürlich war sie keine passende Partie für die Familie Bichler. Niemals! Zum Hopfenbrocken … ja, da war sie willkommen, denn sie ging ja wieder. Doch als Schwiegertochter? Eine aus der Stadt? A Staaderin? Sicher nicht. Und was Großmutter und Tante sagen würden, wenn sie ihnen den Konstantin als Schwiegersohnaspiranten präsentierte, konnte sie sich denken. Hier auf dem Hopfenhof war er ein Prinz. In München wäre er ein Niemand. Nur ein ungebildeter Kerl, einer vom Lande! Außerdem war er ja jünger als sie.

      Sie kicherte. Ja, sie war fünf Jahre älter als Konstantin. Und es war egal. Noch dreimal tanzten sie diesen großartigen horizontalen Tanz voller Lust und Leidenschaft in aller Heimlichkeit, und sie hatten Glück. Sie blieben unentdeckt. Auch tags zuvor erst, beim großen Hopfenzupfermahl, dem Abschlussfest.

      Die Bäuerin und ein paar Helferinnen hatten den ganzen Tag in der Küche gewerkelt. Als dann zur Dämmerung die Pflücker mit der letzten Rebe auf dem Anhänger unter Gesang auf den Hof rollten, wurde groß aufgetischt. Es gab Kesselfleisch, Bierbratl auf Kraut, Wurst und Käse, Brot und allerlei Schmalzgebäck, dass es eine wahre Lust war. Als alle froh schmausten, konnten sich Franziska und Konstantin davonstehlen und sich ein letztes Mal miteinander vergnügen. Als sie ihr Gewand wieder in Ordnung gebracht hatten, nahmen sie Abschied.

      »Schön war’s mit dir«, meinte er schlicht, aber ehrlich.

      »Mit dir schon auch. Ich dank dir schön.«

      »Ah geh – ich dank dir. Kommst nächstes Jahr wieder?«

      »Schau mer mal. Bis dahin kann viel passieren.«

      Würde sie wiederkommen? Konnte es nächstes Jahr so weitergehen? Würde er eine andere für seine »Aufmerksamkeiten« erwählen? Vielleicht war er ja bis dahin verheiratet. Sie wusste es nicht. Sie wusste nur, dass sie es nicht bereute. Es war schön gewesen. Was immer auch kommen mochte, ihr Erlebnis konnte Franziska niemand mehr nehmen.

      5

      12. Oktober – Samstag

      Die Polizeiinspektion Geisenfeld lag an der Nöttinger Straße, gleich neben der Feuerwehr. Sie war in einem soliden, schmucklosen Verwaltungsbau untergebracht, zweigeschossig, darüber ein Dach mit Gauben. Der Erscheinung nach könnte es ein beliebiges Amt sein – oder eine Schule. Nicht einmal Einsatzfahrzeuge vor dem Haus wiesen auf die Ordnungshüter hin. Die parkten im großzügigen Hof dahinter.

      Am ersten Samstag im Oktober ging hier um elf Uhr dreiundvierzig eine Meldung über unbefugtes Betreten ein. Polizeihauptwachtmeisterin Monika Zankel hatte ein paar Schwierigkeiten, die Situation in der wirren Schilderung zu erfassen.

      Dann rief sie per Funk eine Streife in der Nähe. Es meldete sich Ralf Eichler, der mit seinem Kollegen Helmuth Karg gerade in Untermettenbach Streife fuhr und als Freund und Helfer Präsenz zeigte.

      Als Eichler den Hörer des Autotelefons in die Schale zurücklegte, gab er dem Fahrer ein neues Ziel an: »Jebertshausen. Ein Mann will ein Grundstück nicht verlassen. Irgendeine Familienangelegenheit soll da hineinspielen. Und ein Kalb will er angeblich schlachten.«

      »Um was geht es?«

      »Des war’s, was die Moni aus den Leuten ’raus’bracht hat. Die waren wohl a bisserl durcheinander.«

      »Blaulicht?«

      Auch ohne Blaulicht waren sie binnen zehn Minuten vor Ort. Es hatte kaum länger gedauert, als wenn sie die Signalrundumbeleuchtung samt Signalhorn benutzt hätten. So fuhren sie auf den Hof der Familie Bichler. Die Situation war dann doch recht rasch klar. Ein Mann, dem Kennzeichen des Autos nach aus der Landeshauptstadt, stand auf dem Hof und gestikulierte wild.

      »Aber ich g’hör doch aa dazu.«

      Er war puterrot im Gesicht und am Hals, davon abgesehen war er dürr, ältlich und offenbar sehr aufgeregt.

      Auf der obersten Treppenstufe stand in der Tür offenbar der Hausherr, ein breitschultriger Mann in den Fünfzigern mit kurzgetrimmtem Vollbart. Er verwehrte den Zutritt zum Haus mit verschränkten Armen und drückte mit seiner ganzen Körpersprache Ablehnung aus. Ihm zur Seite stand ein junger Mann von vielleicht zwanzig Jahren, der grimmig schaute und rhythmisch seine Fäuste öffnete und schloss. Oben auf dem kleinen Balkon über der Tür waren drei Generationen von Bichler-Damen versammelt.

      Oma Gusti Bichler war knapp achtzig und keifte laut und engagiert: »Wennst di ned schleichst, dann kannst fei was erleben! Du hast hier nix verloren, und mir wissen genau, wie mir mit Landstreichern und Schamsterern umgehn.«

      Lissi, die Enkelin, ein paar Jahre älter als ihr Bruder, überragte ihre Großmutter um Haupteslänge.

      »Reg di ab, Oma, die Polizei is doch scho da, siehst es? Des kommt jetzt ois in Ordnung.«

      »Nichts ist in Ordnung! Ich gehöre doch auch hierher. Ich bin doch auch einer von euch!«, rief der Mann auf dem Hof.

      »A so a Schmarrn!«, zeterte die Ehefrau des Hausherrn vom Balkon. »Wer hier herg’hört, des wiss ma ganz genau. Und so oana wie du, der g’hört ganz sicher ned dazu. Kann es aber vielleicht sein, dass du irgendwo anders hing’hörst und dene da aus’kommen bist?«

      »Ich bin aber doch Verwandtschaft!«

      »Da kannt ja a jeder kommen. So a Schmarrn. Unsere Verwandten, die kenn ma alle! Und neue brauch ma keine. Und ganz sicher keine hirndepperten Anstaltsflüchtling!«

      Hier nun schritt Eichler ein und verbat sich weitere Beschimpfungen. Während Karg den Unruhestifter beiseite nahm, wurde Eichler von Roman Bichler in die Küche gebeten, wo sich alsbald auch die drei Damen versammelten. Hier bekam er die ganze Affäre erklärt.

      Vor mehr als einer Stunde war dieser Mann aus München auf dem Hof vorgefahren und hatte geläutet. Als sie die Tür öffneten, stellte er sich als ein Werner Wollner vor.

      »Hat Ihnen der Name was g’sagt?«

      Alle verneinten, und die Oma ergänzte: »Mir ham ja den Menschen nie nicht gesehen!«

      »Ist er Ihnen allen unbekannt?«

      Das wurde bestätigt.

      »Und dann wollt er, dass mir a Kalb schlachten!«, ergänzte die amtierende Bäuerin.

      »Da