beharrte sie, drehte sich um und verschwand in dem Moment in der Nacht, als drinnen das Licht einer batteriebetriebenen Laterne aufleuchtete. Das Klimpern von Ketten und das Klicken eines Schlosses gingen einem erleuchteten Gesicht an der Tür voraus.
»Mr. Black?«, rief Virginia mit überraschter Miene.
»Es tut mir leid, Sie so spät noch aufzusuchen, aber ich muss dringend mit Ihnen sprechen«, sagte ich und hoffte, dass sie nicht auf falsche Gedanken kam, was den Grund meines Besuchs betraf.
»Das ist gar kein Problem. Kommen Sie ruhig rein«, sagte sie lächelnd und bat mich mit einem Schwenk ihrer Laterne ins Haus.
Falls dem alten Angus diese Geschichte jemals unterkommen sollte, war ich mir sicher, dass Virginia darin High Heels und einen durchsichtigen Batgirl-Anzug tragen würde, aber damit das klar ist: Ich kann bezeugen, dass ihre Kleiderwahl perfekt für den schottischen November geeignet war. Sie führte mich in die Küche und bot mir eine Tasse Tee an.
»Oder lieber etwas Stärkeres?«, offerierte sie mir mit einem Funkeln im Blick.
So verlockend das Angebot auch war, ich hielt es für den falschen Zeitpunkt, meinen Geist zu vernebeln, deshalb sagte ich ja zum Tee und nein zu allem anderen. Virginia befeuerte jetzt den gusseisernen Ofen und füllte einen Kessel aus einem nahen Wasserfass, während ich mich neugierig in ihrer Küche umsah. Sie hatte etwas Heimeliges an sich, mit all den getrockneten Blumen und den Kupferkochtöpfen, die an Haken von den Balken hingen. Virginia besaß außerdem eine Kollektion merkwürdiger Skulpturen, die auf einem Regalbrett über dem Herd standen, die sie, wie sie mir voller Stolz mitteilte, alle selbst hergestellt hatte.
»Das ist eines meiner Hobbys«, erklärte sie. »Es gibt kaum eine größere Freude im Leben, als einen weichen Tonklumpen in die Hand zu nehmen und ihn dann zu etwas Bedeutenderem zu formen, oder sehen Sie das anders?«
Das wagte ich nicht, und je weniger über die phallische Kerze gesagt wurde, die mit einer Art rückwärtslaufendem Schriftzug versehen war und zwischen zwei Hühnereiern stand, desto besser. Stattdessen zog ich mir einen Stuhl heran und setzte mich an den Tisch, während Virginia einen Holzspan aus dem Ofen nahm und damit ein halbes Dutzend Duftkerzen anzündete, die uns in ein zartes gelbes Licht tauchten und in feinen Düften badeten.
»So ist es schon besser«, meinte sie, löschte das grelle batteriebetriebene Licht ihrer Laterne und setzte sich zu mir an den Tisch. »Also, Mr. Black … was kann ich für Sie tun?«
Während einer Tasse starken Tees erzählte ich Virginia, was vorgefallen war, wobei ich Rachels Rolle bei dem Ganzen ausließ. Virginia wirkte sofort äußerst besorgt und sagte, dass sie mich vollkommen verstehen konnte.
»Sie können heute Nacht nicht in das Haus zurückkehren. Sie müssen bis zum Morgen hierbleiben«, erklärte sie vehement und legte mitfühlend ihre Hand auf meine. »Sie können auch gern mein Bett haben. Ich bestehe darauf. Ich werde mich einfach anders arrangieren.«
Ich war mir nicht sicher, ob Virginias Arrangement wirklich so ablaufen würde, wie sie jetzt behauptete, aber ich hatte leider gerade weder den Luxus noch die Zeit, es herauszufinden. Die Uhr tickte immerhin unaufhaltsam und die Mächte des Bösen rückten von allen Seiten näher. Ich musste mich unbedingt so schnell es ging von diesem Fluch befreien, bevor es zu spät dazu war. Virginia nahm jetzt meine schwitzige Hand und bot mir an, daraus zu lesen, falls ich glaubte, dass mir das helfen könnte.
»Sie können meine Zukunft sehen?«, erkundigte ich mich überrascht und fragte mich, welche anderen Fähigkeiten sie wohl außer ihrer ausgezeichneten Gastfreundschaft noch besaß. Stammte der Zauber, der auf diesem Cottage lag, von ihr selbst? Ich war mir nicht so ganz sicher, wie ich deshalb nachfragen konnte, ohne dabei zu verraten, woher ich davon wusste.
»Ihre Zukunft sehen?«, fragte sie vollkommen ernst. »Ich könnte sie wahr werden lassen, wenn Sie das wünschen. Sie müssen es sich einfach nur vorstellen und es wird geschehen.«
Wenigstens musste ich jetzt keine Angst mehr davor haben, dass Virginia eine falsche Vorstellung über meinen Besuch bekam. Seit wir uns das erste Mal begegnet waren, hatte sie sowieso kaum eine einzige richtige Vorstellung von mir gehabt. Tatsächlich fing ich langsam an, mich zu fragen, ob sie auch nur ein Wort von dem gehört hatte, was ich ihr heute Abend erzählt hatte. Offensichtlich war ich für sie nur eine Ablenkung … ein Spielzeug, um sich die Zeit zu vertreiben, während sie ihre eigenen Dämonen der Langeweile und Frustration an diesem trostlosen Flecken der Vergessenheit zu besiegen versuchte. Trotzdem machte mich ihre Hartnäckigkeit langsam mürbe und ich ertappte mich nicht zum ersten Mal bei der Frage, was es schaden könnte, ein letztes Mal etwas zu erleben, bevor ich in den Abgrund ewiger Verdammnis verbannt wurde.
»Vielleicht nehme ich jetzt doch etwas Stärkeres«, sagte ich und reichte ihr meine Tasse.
Doch Virginia nahm sie nicht, sondern holte stattdessen zwei Kristallgläser und eine Flasche von etwas, das noch überzeugender aussah als sie selbst.
»Dann machen wir das aber richtig«, entgegnete sie, zog mit den Zähnen den Korken heraus und spie ihn mit hemmungsloser Leidenschaft quer durch die Küche. Entweder würden wir später auf Händen und Knien danach suchen müssen, oder sie hatte gar nicht vor, etwas zum Wiederverkorken übrigzulassen. Als sie uns unsere Portion einschenkte, fand ich sofort heraus, welches von beiden es war.
»Slàinte Mharth!«, rief sie und stieß mein Glas mit ihrem Übervollen an.
»Was bedeutet das?«, fragte ich, bevor ich trank.
»Gute Gesundheit«, erklärte sie. Ich roch an meinem Getränk und vermutete, dass sie das ironisch gemeint hatte. Bevor ich jedoch auch nur einen Schluck trinken konnte, war die Party allerdings auch schon wieder vorbei, denn ein ungebetener Gast betrat jetzt die Küche und wollte wissen, was in aller Welt hier los war.
X
»Ginny, hast du denn gar keinen Anstand? Dieser Mann ist hier, weil er unsere Hilfe braucht, und du hast nichts Besseres zu tun, als mit seinen Gefühlen zu spielen!«
Virginias Schwester starrte sie enttäuscht an und Ginny fiel pflichtschuldigst in sich zusammen. Im Vergleich zu ihr sah Milly äußerst grau und zerzaust aus, was nahelegte, dass sie einige Jahre älter war als ihre Schwester. Außerdem erhielt ich den Eindruck, dass sie Virginia andauernd daran erinnerte. Ihr übergewichtiger Körper war zum Schutz gegen die Kälte in ein verschlissenes Karonachthemd gehüllt und sie trug dicke Schlafsocken, die nicht zusammenpassten und so aussahen, als wären sie vor Jahren mal frisch angezogen worden. Milly humpelte langsam auf einen Stock gestützt vorwärts und ließ sich dann schwer auf den Stuhl fallen, den Virginia sofort freiwillig geräumt hatte.
»Sie müssen meiner Schwester verzeihen, Mr. Black. Ich habe ihr gesagt, sie soll mich sofort wecken, falls Sie herkommen, aber offensichtlich hat sie meine Anweisungen vergessen«, brummte sie ungehalten und musterte mich intensiv mit ihren grünen Augen, die über ihr Alter hinwegtäuschten. Dann warf sie einen Blick auf mein Trinkglas und schnaubte. »Das ist mieses Zeug. Ginny, eine frische Kanne Tee, wenn ich bitten darf.«
Virginia machte daraufhin noch mehr Tee, während ich die Ereignisse der letzten beiden Tage jetzt noch einmal für Milly zusammenfasste, wobei ich Rachel erneut aus meiner Erzählung heraushielt. Milly schüttelte fortwährend den Kopf und blies in ihren heißen Tee.
»Genau, wie ich gefürchtet hatte. Der Bauer ist wieder erwacht und nun hinter Ihnen her«, sagte sie düster.
»Der Bauer?«
»Der Bauer«, bestätigte sie und nahm einem Schluck Tee. Milly erklärte mir kurz danach, dass sie von dem Bauern sprach, der vor so langer Zeit seine gesamte Familie ermordet hatte und kurz darauf grausam in meiner Küche gestorben war. Ich begriff nicht ganz, was das alles mit mir zu tun hatte.
»Sie sind nun der rechtmäßige Besitzer seines früheren Zuhauses. Bevor er starb, schwor er ewige Rache an allen, die je versuchen sollten, es ihm wegzunehmen«, erklärte sie. Virginia sah in der Zeit weg und drehte Däumchen. Ich vermutete, dass Millys Anweisung,