oben sind ganz normale Leute, wir ziehen nicht los und opfern unseren heidnischen Göttern ein paar Städter. Nicht, seit der Gemeinderat das besteuert hat«, witzelte er, aber Rachel konnte mit seinem Humor offenbar nichts anfangen. Sie hatte intensiv zugehört und der alte Angus war langsam ein wenig verunsichert, weil sie nie zu blinzeln oder zu atmen schien.
»Tja, mehr weiß ich auch nicht«, sagte er, fummelte an seiner E-Zigarette und war nun selbst von einem Gefühl der Vorahnung ergriffen. »Die Polizei hat es für einen Selbstmord gehalten, konnte es aber nie beweisen und schloss den Fall im darauffolgenden Jahr. Es wird wohl auf ewig ein ungelöstes Rätsel bleiben, was dem armen Mädchen zugestoßen ist.«
»Ein Selbstmord?«, fragte Rachel. Eine ihrer Augenbrauen war bereits bis auf elf Uhr hochgezogen.
»Oh ja. Davon gibts hier oben eine Menge. Ihr wisst ja, wie diese Künstlertypen drauf sind. Die sind immer wegen irgendwas vollkommen aus dem Häuschen und werfen sich dann schnell mal von den Klippen«, lautete Angus’ professionelles Urteil.
»Nur, dass ihre Leiche nie gefunden wurde«, rief ich ihm in Erinnerung.
»Die Gezeiten könnten sie ins Meer getrieben haben, oder vielleicht ist sie auch in Treibsand geraten. Das kann passieren«, erwiderte er, als wären solche Dinge integrale Bestandteile des Lebens hier oben.
Rachel sah mich jetzt intensiv an, aber ich war mir nicht sicher, was das zu bedeuten hatte. Irgendwas war mit dem Cottage, davon war ich überzeugt, aber was hatte Heike in den Wäldern gesehen, das sie zum Malen solcher Bilder veranlasst hatte? Angus wusste es nicht und ihm waren noch nie irgendwelche winzigen Figuren in ihren Bildern aufgefallen. »Es ist doch nur ein Bild«, erwiderte er achselzuckend. »Ganz hübsch, aber nichts wert, schätze ich mal.«
Angus leerte seinen Whisky und sah dann auf seine Uhr. Sein Abendessen wartete daheim auf ihn, verkündete er, dann dankte er uns für unser Gespräch und drehte sich eine echte Zigarette für seinen kurzen Nachhauseweg.
Doch Rachel hielt ihn am Arm fest, als er von seinem Barhocker stieg, und dem alten Mann wich sofort alle Farbe aus dem Gesicht.
»Danke«, sagte sie mit einer Aufrichtigkeit, die ihn anscheinend bis ins Mark erschaudern ließ.
Der alte Angus wusste nicht, was er antworten sollte oder warum dieses Mädchen überhaupt solche Gefühle in ihm auslöste. Doch er verspürte plötzlich das verzweifelte Bedürfnis, sich bei ihr für alles, das er je angestellt hatte, zu entschuldigen, bevor er nach Hause eilte.
»Eine letzte Sache noch«, warf ich ein und hielt ihn ebenfalls auf, bevor er ging. »Wer hat sie denn überhaupt als vermisst gemeldet? Wissen Sie das?«
Das tat er tatsächlich. »Eine von diesen Schwestern«, erklärte er. »Die wohnen in diesem anderen Cottage, die Küste rauf. Ich glaube, sie besaßen sogar das Verkaufsrecht an Heikes Haus.«
VIII
Nachdem Angus gegangen war, blieben Rachel und ich noch eine Weile in der Bar. Es war immerhin Abendbrotzeit und das Restaurant hatte geöffnet. Doch ich wollte nur einen kleinen Snack, also bestellte ich ein Käsesandwich für mich und eine Flasche Cola mit Strohhalm für Rachel. Sie sollte sie nicht wirklich trinken, denn wenn sie es versucht hätte, wäre ihr schlecht geworden. Es war nur eine Requisite, die ihr half, nicht aufzufallen.
In der Bar war es ruhig und nur drei der zwölf Tische waren besetzt. Rachel und ich saßen an einem davon, ein paar Stammgäste an einem anderen und ein reisender Geschäftsmann, der dringend seinen Lebenslauf aktualisieren musste, faulenzte am anderen Ende des Raums. Die Kellnerin hatte die ganze Zeit kaum von ihrem Handy aufgesehen und ein Fernseher in der Ecke des Raums zeigte die Nachrichten in Dauerschleife und ohne Ton. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass es freitagabends war, hätte ich geschworen, dass es ein Montag war … ein Montag, nach dem Weltuntergang.
Rachel hob den Strohhalm an ihre Lippen und tat so, als würde sie trinken, während ich so tat, als ob ich mein Sandwich aß, nur mit mehr Überzeugung.
»Was immer sich das Mädchen auch geschnappt hat, es hält sich noch immer im Cottage auf«, meinte sie leise. »Und es ist mächtiger als wir beide.«
»Ich begreife so langsam, warum das Haus nie lange bewohnt war«, stimmte ich ihr zu. »Arme Virginia. Sieht ganz so aus, als würden wir doch keine Nachbarn werden.«
»Hat sie das Künstlermädchen vielleicht getötet?«, fragte Rachel. Das glaubte ich nicht. Ich hatte in meinem Leben schon so einige Serienmörder getroffen (und war tatsächlich sogar von einem aufgezogen worden) und Virginia entsprach einfach nicht dem Typus. Außerdem war Heike ja nicht die einzige Bewohnerin, die in all den Jahren aus dem Cottage geflohen war. Laut des Immobilienmaklers war die Pacht in den letzten zwanzig Jahren fünf oder sechs Mal verkauft worden und die meisten Käufer hatten nach kurzer Zeit die Schlüssel wieder zurückgegeben oder das Haus einfach in einer Nacht-und-Nebel-Aktion verlassen. Nur Heike war komplett verschwunden und nie mehr gesehen worden.
»Okay, vielleicht hat sie das Mädchen nicht getötet, aber sie muss doch wissen, welche Art von Grundbesitz sie da hat«, entgegnete Rachel anklagend.
»Die Feuchtigkeitsfäule hat sie ja auch nicht angegeben«, rief ich ihr in Erinnerung. »Manche Dinge erwähnt man in der Verkaufsbroschüre nun mal nicht. Zumindest nicht, wenn man das Haus an den Mann bringen will.«
Doch in Wahrheit schrieb ich mir selbst die Schuld zu. Wenn ich es nicht so eilig gehabt hätte, aus dem sprichwörtlichen Regen zu kommen, hätte ich vielleicht die sprichwörtliche Traufe bemerkt, unter die wir da stolperten. Man lernte eben nie aus, wie es so schön hieß … zumindest in der Theorie. Unseren nächsten Schritt würden wir uns allerdings sorgfältig überlegen müssen, denn wir konnten es uns nicht leisten, etwas Unpassendes zu tun, das die Aufmerksamkeit der Leute auf uns lenkte, und Virginias Spukhaus nur zwei Tage nach dem Kauf wieder zu verkaufen, wäre genauso etwas. Wir konnten aber auch nicht das Risiko eingehen, einfach zu verschwinden und den alten Angus unsere seltsame und mysteriöse (und ausgeschmückte) Geschichte Hinz und Kunz für ein Bier und ein paar Erdnüsse erzählen zu lassen. Diese Art von Publicity konnten wir im Moment so gar nicht gebrauchen. Glücklicherweise waren wir auf das Geld nicht angewiesen. Ich hatte genug, um das Cottage einfach als Fehlkauf abschreiben zu können und es in Grund und Boden vermodern zu lassen, wo es hingehörte. Dann würde niemand mehr darin wohnen müssen. Nicht, solange ich in der Besitzurkunde vom Haus der Toten stand.
»Ich werde Virginia schreiben und ihr mitteilen, dass ich für eine Weile ins Ausland gegangen bin, wegen der Arbeit oder so etwas in der Art. Mehr muss sie nicht wissen«, sagte ich, aß mein Sandwich auf und fragte mich dann, ob ich auch Rachels Cola trinken sollte. Aber bevor ich mich entscheiden konnte, gingen plötzlich die Lichter aus und die Bar versank in Dunkelheit. Es war erst kurz nach acht und sie machten schon Feierabend? Wie es schien, war der Freitagabend hier eine einzige Herausforderung für die abenteuerlustigen Rhiconicher.
Doch seltsamerweise strich die Kellnerin hinter der Bar weiterhin glücklich über ihr Telefon, die Ortsansässigen schienen ebenfalls nicht in Eile zu sein aufzubrechen und der Geschäftsmann hatte jetzt sogar seine Zeitung herausgeholt und kritzelte Zahlen auf jede verfügbare Fläche außer in die Sudoku-Kästchen, deren Ausfüllen ihm offenbar Schwierigkeiten bereitete. Es schien so, als hätte niemand außer mir bemerkt, dass die Lichter ausgegangen waren.
»Was ist los?«, fragte Rachel verwirrt, die mich ansah und spürte, dass etwas nicht stimmte.
Ich hob den Blick und sah zu den Deckenlampen hinauf, und da begriff ich, dass ich ein wirklich ernstes Problem hatte, denn die Birnen brannten noch immer hell in ihren Fassungen. Sie gaben nur kein Licht mehr ab, das ich sehen konnte.
»John?«
Ich stand hastig vom Tisch auf, stolperte in der Dunkelheit prompt über einen anderen Tisch, was einen der Einheimischen dazu veranlasste, zu mir rüber zu sehen und zu kichern. »Der hatte wohl zu viel«, meinte er grinsend, offensichtlich in der Lage, mich eindeutig zu erkennen, obwohl ich selbst kaum etwas sehen konnte. Jetzt wusste Rachel eindeutig, dass etwas