Лев Толстой

Auferstehung


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schloß er die Thür, blieb unbeweglich stehen und wartete auf die Frau, die er gerufen hatte.

      Einige Schritte weiter, auf dem Gefängnishofe, konnte man eine reinere und belebendere Luft atmen, die der Frühlingswind von den Feldern hereintrug. Doch in dem Gefängniskorridor war die Luft drückend und ungesund, es roch nach Theer, Feuchtigkeit und Fäulnis, und niemand konnte diese Luft einatmen, ohne sofort eine düstere Traurigkeit zu empfinden. Das fühlte auch die Aufseherin der Abteilung, so sehr sie auch an diese verpestete Luft gewöhnt war. Sie kam vom Hofe und verspürte, als sie den Korridor kaum betreten hatte, ein Gemisch von Unbehagen und Müdigkeit.

      Hinter der Thür, im Zimmer der Gefangenen, herrschte große Aufregung; man hörte Stimmen, Gelächter und Schritte nackter Füße.

      »Na, vorwärts, tummle dich!« rief der alte Wärter und öffnete von neuem die Thür.

      Einen Augenblick später kam eine kleine, aber wohlgebaute, junge Frau schnell aus dem Zimmer. Sie trug einen grauen Leinenkittel über ihrer Nachtjacke und ihrem weißen Rock. An den Füßen hatte sie leinene Strümpfe und grobe Gefangenenschuhe. Ein weißes Tuch bedeckte ihren Kopf und ließ einige Locken sorgfältig frisierter schwarzer Haare sehen. Auf dem ganzen Gesicht der Frau lag jene eigentümliche Blässe, die man nur bei Personen bemerkt, die sich lange Zeit in einem geschlossenen Raum aufgehalten haben. Noch um so mehr trat in der matten Blässe der Haut der Glanz der beiden großen, schwarzen Augen hervor, von denen eines ein bißchen schielte; das Ganze machte den Eindruck einer freundlichen Anmut. Die junge Frau hielt sich sehr gerade, so daß ihre starke Brust hervortrat.

      Auf dem Korridor neigte sie leicht den Kopf und sah dem alten Aufseher fest in die Augen; dann blieb sie stehen und schien bereit, jedem Befehle zu gehorchen. Indessen schickte sich der Wärter an, die Thür wieder zu schließen, als sich diese noch einmal öffnete und das düstere Gesicht eines alten Weibes erschien. Dasselbe hatte weiße Haare und war barhäuptig. Die Alte begann leise auf die Maslow einzusprechen; doch der Wärter stieß sie schnell in die Stube zurück und schloß die Thür. Nun näherte sich die Maslow einem in der Thür angebrachten Guckfenster; und das Gesicht des alten Weibes zeigte sich sofort auf der andern Seite. Man hörte durch die Thür eine heisere Stimme:

      »Gieb acht, und habe vor allen Dingen keine Furcht!

      Leugne alles; halt' dich gut; das ist die Hauptsache!«

      »Ah bah,« versetzte die Maslow kopfschüttelnd, »eins oder das andere, das ist alles eins! Es kann mir nichts Schlimmeres passieren, als was ich jetzt habe!«

      »Na, gewiß ist es eins und nicht zwei,« sagte der alte Wärter, auf seine geistreiche Bemerkung äußerst stolz. »Na, vorwärts, folge mir!«

      Der Kopf des alten Weibes verschwand von dem Guckfenster, und die Maslow betrat, mit leichtem Schritt hinter dem alten Wärter hergehend, den Korridor. Sie gingen die Steintreppe hinunter, an den stinkenden, lärmenden, Sälen der Männerabteilung vorbei, wo neugierige Blicke sie auf ihrem Wege durch die Thürluken beobachteten, und kamen endlich in das Gefängnisbureau. Dort standen bereits zwei Soldaten, mit dem Gewehr im Arm, die auf die Gefangenen warteten, um sie nach dem Gerichtsgebäude zu bringen. Der Aktuar schrieb etwas ein und übergab einem Soldaten ein stark nach Tabak riechendes Blatt Papier. Der Soldat steckte es in den Aermelaufschlag seines Mantels, blinzelte seinem Gefährten, auf die Maslow deutend, pfiffig zu und stellte sich zu ihrer Rechten, während der andere Soldat auf die linke Seite trat. So verließen sie das Bureau, gingen durch den äußeren Hof des Gefängnisses, durchschritten das Gitter und standen bald auf dem Straßenpflaster der Stadt.

      Die Kutscher, Ladenbesitzer, Arbeiter und Beamte blieben unterwegs stehen und betrachteten neugierig die Gefangene. Mehrere dachten kopfschüttelnd: »Das kommt vom schlechten Lebenswandel, wenn man nicht so brav ist, wie wir!« Auch, die Kinder blieben stehen, doch in ihre Neugier mischte sich eine gewisse Angst, und sie beruhigten sich kaum bei dem Gedanken, daß die Verbrecherin ja von Soldaten bewacht wurde, so daß sie nicht mehr schaden konnte. Ein Bauer, der auf der Straße Kohlen verkaufte, trat auf sie zu, machte das Zeichen des Kreuzes und wollte dem Weibe eine Kopeke geben; doch die Soldaten litten es nicht, weil sie nicht wußten, ob es gestattet war.

      Die Maslow bemühte sich, so schnell zu gehen, wie es ihre des Gehens ungewohnten Füße, die von den schweren Gefängnisschuhen noch mehr gehindert wurden, gestatteten. Ohne den Kopf zu bewegen, beobachtete sie die Leute, die sie beim Vorübergehen ansahen, und freute sich, der Gegenstand so großer Aufmerksamkeit zu sein; sie sog auch mit Behagen die sanfte Frühlingsluft ein, als sie aus der ungesunden Gefängnisatmosphäre kam. Als sie an einem Mehlladen vorüberkam, vor dem einige Tauben herumstolzierten, stieß sie an eine blaue Holztaube mit dem Fuße an. Der Vogel flatterte auf und berührte das Gesicht des jungen Weibes, das den Hauch seiner Flügel auf ihrer Wange spürte. Sie lächelte, stieß aber gleich darauf einen Seufzer aus, als ihr das Gefühl ihrer traurigen Lage wieder in den Sinn kam.

      Zweites Kapitel

      Die Geschichte der Maslow war höchst alltäglich.

      Sie war das natürliche Kind einer Bäuerin, die ihrer Mutter in einem Schlosse beim Viehhüten half. Die Bäuerin, die nicht verheiratet war, brachte jedes Jahr ein Kind zur Welt; und wie es in solchem Falle oft passiert, wurden die Kinder sofort nach der Geburt getauft; ihre Mutter nährte sie nicht, weil sie unerwünscht zur Welt gekommen war und ihr bei ihrer Arbeit nur lästig fielen; deshalb starben die armen Kleinen auch bald vor Hunger.

      Fünf Kinder waren schon auf diese Weise dahingegangen. Alle waren gleich nach der Geburt getauft worden, die Mutter nährte sie nicht, und sie waren gestorben. Das sechste Kind, das von einem herumziehenden Zigeuner stammte, war ein Mädchen; deshalb wäre ihr aber doch dasselbe Schicksal, wie den fünf ältesten, beschieden gewesen, hätte es der Zufall nicht gefügt, daß eine der beiden alten Damen, denen das Schloß gehörte, einen Augenblick in den Kuhstall trat, um ihre Mägde wegen der Sahne, die nach der Kuh schmeckte, auszuschelten. Im Kuhstall lag die Wöchnerin an der Erde und neben ihr ein schönes, lebensfähiges, gesundes Kind. Die alte Dame schalt die Mägde, weil sie die Sahne so schlecht zubereitet und eine Wöchnerin in den Kuhstall gelassen hatten; als sie aber das Kind bemerkte, ward sie milder und erbot sich sogar, Patenstelle zu vertreten. Dann empfand sie Mitleid mit dem kleinen Mädchen, ließ der Mutter Milch und etwas Geld verabreichen, damit sie es nähren sollte, und so blieb das Kind am Leben. Daher nannten sie die beiden alten Damen auch »die Gerettete«.

      Das Kind war drei Jahre alt, als seine Mutter krank wurde und starb, und da die alte Großmutter nichts mit ihm anzufangen wußte, so nahmen es die beiden alten Damen zu sich ins Schloß. Es war mit seinen großen schwarzen Augen ein außergewöhnlich lebhaftes und niedliches Kind; und die beiden Alten hatten Wohlgefallen an ihm. Die jüngere der beiden, die auch die nachsichtigere war, hieß Sophie Iwanowna; das war des Kindes Pate. Die ältere, Marie Iwanowna, hatte mehr Anlage zu Strenge. Sophie Iwanowna putzte die Kleine, brachte ihr das Lesen bei und dachte, eine Gouvernante aus ihr zu machen. Marie Iwanowna dagegen wollte eine Magd, eine hübsche Kammerzofe aus ihr machen; infolgedessen war sie anspruchsvoller, gab dem Kinde Befehle und schlug es manchmal, wenn sie schlechter Laune war. So wuchs die Kleine unter der Einwirkung dieses Doppeleinflusses auf und wurde halb eine Kammerzofe, halb ein Fräulein. Selbst der Name, den man ihr gab, paßte zu diesem Zwitterzustand; man nannte sie weder Katja, noch Katenka, sondern Katuscha. Sie nähte, brachte die Stuben in Ordnung, reinigte die Heiligenbilder mit Kreide, servierte ben Kaffee, wusch die seine Wäsche und durfte ihren Gebieterinnen manchmal Gesellschaft leisten und vorlesen.

      Man hatte wiederholt um sie angehalten, doch sie hatte stets Körbe ausgeteilt; verhätschelt, wie sie von dem ruhigen Schloßleben war, fühlte sie, es würde ihr schwer fallen, mit einem Arbeiter oder einem Diener zu leben.

      So hatte sie bis zu ihrem siebzehnten Jahr gelebt.