nicht, wie eine junge Frau im grünen Hosenanzug im Eingang des Hotels in sich zusammensank.
»Es war Jennifer«, bemerkte sie schluchzend zu dem Mann, der sich besorgt über sie beugte.
»Beruhige dich, Liebling«, tröstete er sie. »Du hast sie doch nur flüchtig gesehen.«
»Es war Jennifer, ich weiß es! Oh, Don, warum haben sie nicht gewartet! Es ist doch mein Kind, es ist mein Kind!«
»Ich werde dir Gewissheit verschaffen, Manja«, sagte der Mann, »aber bitte, beruhige dich! Du hast sie doch schon zwei Jahre nicht mehr gesehen.«
»Es war Jennifer!«, beharrte sie. »Bitte, frage, wer diese Leute waren.«
*
Nicolas wusste indessen schon ziemlich genau Bescheid über seine beiden kleinen Patienten, obgleich diese mit bemerkenswertem Geschick ihre Rollen weiterspielten.
Er ließ sie gewähren, denn er würde bei ihnen keinen Erfolg verzeichnen können, solange die familiären Verhältnisse nicht geklärt waren.
Wurden Thomas und Ulrike sich selbst überlassen, fühlten sie sich sehr wohl, wie aus ihren Gesprächen hervorging. Sobald jemand hinzukam, markierten sie wieder Schmerzen. Thomas war der Initiator, das stand einwandfrei fest. Ulrike stand völlig unter seinem Einfluss und tat alles, was er ihr einredete.
Sabine stellte fest, dass dies doch wohl ein wenig zu weit ginge.
»Das ist kein Spiel mehr«, sagte sie zu Nicolas.
»Da hast du vollkommen recht. Es kann bitterer Ernst werden, und deshalb werde ich mich einmal sehr ernsthaft mit dem Ehepaar Frenzel unterhalten. Würdest du Frau Eigner übernehmen, Sabine? Sie wollte Ulrike heute besuchen.«
»Soll ich ihr sagen, dass die Kinder uns an der Nase herumführen«, fragte sie spottend.
»So leicht ist das nicht zu nehmen, Sabine. Wir müssen die Ursachen erforschen. Geholfen ist den Kindern nicht damit, dass wir sie durchschauen. Geholfen werden kann ihnen nur, wenn sie bei ihren Eltern Verständnis finden. Wenn wir herausfinden, welche Spannungen zwischen den Frenzels und Frau Eigner bestehen, sind wir einen Schritt weiter, vielleicht schon am Ziel.«
Sabine war zwar eher geneigt, die beiden als eigensinnige Rangen zu betrachten, aber sie widersprach ihm nicht.
Nicolas fuhr nach Hohenborn, und sie beschäftigte sich mit den beiden Kindern.
»Deine Mutti wird dich heute besuchen, Ulrike«, erklärte sie der Kleinen. »Freust du dich?«
»Nein«, antwortete das Mädchen. »Wenn sie kommt, nimmt sie mich doch gleich wieder mit.«
»Kann sie doch gar nicht, wo du solche Bauchschmerzen hast«, sagte Thomas.
Das kannte Sabine nun schon.
»Dann musst du dich gleich hinlegen, Ulrike. Schwester Meta bringt dir Tee, und heute Mittag gibt es Haferbrei.«
»Heute Mittag gibt’s Hähnchen und hinterher Schokoladenpudding, hat Schwester Meta gesagt«, behauptete Thomas.
»Aber nicht, wenn man Magenkrämpfe hat«, meinte Sabine. »Vielleicht ist es bei Ulrike auch der Blinddarm. Nun, das werden wir bestimmt herausfinden. Heute kommt Dr. Fernand, der schaut mal in dein Bäuchlein hinein.«
»Wie macht er denn das?«, erkundigte sich Thomas interessiert.
»Indem er es aufschneidet«, entgegnete Sabine. »Er ist Chirurg. Er kann das.«
»Er kann doch nicht Ulrikes Bauch aufschneiden!«, sagte Thomas empört.
»Doch, das kann er, wenn man sonst nicht feststellen kann, woher die Schmerzen kommen.«
»Das hat aber noch kein Arzt gemacht«, meinte Thomas. »Auch Dr. Allard nicht. Vielleicht geht es Ulrike jetzt auch schon wieder besser.«
»Die Schmerzen sind doch nur manchmal«, äußerte Ulrike kleinlaut. »Eigentlich tut mir auch mehr der Kopf weh.«
»Und den kann man nicht aufschneiden!«, trumpfte Thomas auf.
Schwester Meta löste Sabine ab. »Frau Eigner ist gekommen«, sagte sie.
»Ulrike hat wieder Schmerzen«, bemerkte Sabine hintergründig. »Ich werde erst mal mit Frau Eigner sprechen.«
Frau Eigner war eine schlanke, eigentlich ganz hübsche Frau, wenn man sich den vergrämten Zug um ihren Mund wegdachte. Sie war sehr gehemmt, und da Sabine auch nicht wusste, wie sie ein Gespräch beginnen sollte, herrschte erst einmal Schweigen.
»Wie geht es Ulrike jetzt?«, fragte Frau Eigner dann zögernd. »Weiß man schon, was ihr fehlt?«
»Darüber wird Dr. Allard mit Ihnen sprechen, Frau Eigner. War Ulrike eigentlich immer anfällig?«
»Überhaupt nicht. Das fing erst an, als sie eine Zeit im Kindergarten war. Aber es ging doch nicht anders. Ich musste doch Geld verdienen. Von Ulrikes Vater kann ich keine Unterstützung erwarten.«
»Und im Kindergarten hat sie sich dann mit Thomas angefreundet«, warf Sabine ein.
»Das wissen Sie?«
»Sicher. Thomas ist ja auch hier.«
»Er ist hier? Mein Gott, das kann doch nicht gut gehen!«
»Wieso eigentlich nicht, Frau Eigner? Gerade darüber müssten wir uns einmal unterhalten. Die beiden Kinder hängen wie Kletten aneinander.«
»Ja, sie haben sich gleich gut verstanden, aber Frau Frenzel hat das nicht gepasst. Sie mag mich nicht.«
»Warum nicht?«
»Ich bin doch eine geschiedene Frau und …« Glühende Röte schlug jetzt in Frau Eigners blasse Wangen. »Der Bruder von Herrn Frenzel hat uns ein paarmal mitgenommen, wenn er Ausflüge mit Thomas gemacht hat, als das Baby zur Welt gekommen ist. Da ging es dann los. Der Thomas hat sich halt an seinen Onkel gehängt, weil sich daheim alles um das Baby drehte, und Ulrike hat den Alois auch gern gemocht. Er ist so ein netter, ruhiger Mann; aber Frau Frenzel hatte wohl Angst … Doch das interessiert Sie wohl kaum, Fräulein von Jostin.«
In der kurzen Zeit war bereits eine Menge gesagt worden, und wenn man dann noch ein bisschen kombinierte, konnte man auch schon zu einem Ergebnis kommen. Sabine überlegte, was wohl Nicolas erfahren würde.
Nicolas stieß auf völlige Ablehnung. »Unsere familiären Verhältnisse sind intakt«, behauptete Artur Frenzel. »Sie haben nichts mit Thomas’ Gesundheitszustand zu tun. Er hat alles bekommen, was ein Kind sich nur wünschen kann. Er hat zu spinnen angefangen, seit er in dem Kindergarten war. Für mich simuliert er, wenn Sie es genau wissen wollen, Herr Doktor.«
»Und damit haben Sie sogar recht«, erwiderte Nicolas.
Artur Frenzel starrte ihn an. »Das sagen Sie auch?«
»Ich habe ihn beobachtet. Festzustellen ist nur, warum er simuliert, und auch dafür weiß ich eine Erklärung. Er hat sich zurückgesetzt gefühlt, als das zweite Kind kam. Das ist häufiger der Fall, als man annehmen möchte.«
»Aber das ist doch lächerlich! Er ist nicht benachteiligt worden. Natürlich muss meine Frau sich um das Baby mehr kümmern, aber Thomas ist doch groß genug, um das einzusehen.«
»So vernünftig nun auch wieder nicht, Herr Frenzel. Er wurde wahrscheinlich sehr verwöhnt. Er war der Mittelpunkt, und das war nun plötzlich vorbei. Er musste in den Kindergarten gehen, während seine Mutter sich ausschließlich mit dem Baby beschäftigte. Und Sie hatten wahrscheinlich auch keine Zeit für ihn.«
»Ich muss mich ums Geschäft kümmern, man muss doch am Drücker bleiben, wenn man sich gegen die Konkurrenz behaupten will. Mein Bruder hat sich doch um ihn gekümmert, und da war Thomas auch noch ganz normal.«
»Er hatte sich sehr mit der kleinen Ulrike Eigner angefreundet«, warf Nicolas ein.
»Ja, diese Geschichte! Mein Bruder hat den Fehler gemacht,