warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu, der wohl besagen sollte, dass man von ihm etwas erwartete und Mahnungen unangebracht wären.
Nach weiteren zwanzig Metern begann Jonny zu knurren, leise, aber gefährlich. Sie blieben stehen und lauschten, aber es war nichts zu hören, und doch zerrte Jonny nun ganz wild.
Magnus von Roth gab ihn frei. »Vorsicht, Jonny«, befahl er, »und komm gleich zurück!«
Der Hund schoss los, verschwand im Dickicht und blieb minutenlang verschwunden.
»Hoffentlich passiert ihm nichts«, sagte Werner Auerbach. »Ich würde nicht wagen, Bambi noch mal unter die Augen zu treten.«
»Er ist doch dressiert«, erklärte Magnus von Roth beruhigend.
Jonny bellte, laut und freudig, und wenig später kam er in großen Sprüngen daher. Er trug etwas in der Schnauze. Es war ein Handschuh, wie ihn Autofahrer zu tragen pflegten. Der Handrücken mit den Löchern verriet es. Es war feines, weiches Leder. Er war nicht mehr neu, konnte aber noch nicht lange hier gelegen haben, denn er war nicht feucht.
Jonny sah die beiden Männer erwartungsvoll an. Er wollte gelobt werden, und sie taten es auch.
»Nun, Herr Detektiv, was schließt du daraus?«, fragte Werner Auerbach seinen Schwiegervater.
»Recht merkwürdig finde ich es. Ein Autohandschuh und dazu keiner von der billigen Sorte. Nach einem Wilderer sieht das wirklich nicht aus.«
»Es kann ein Spaziergänger gewesen sein. Wir befinden uns nicht weit vom Sonnenhügel. Vielleicht gehört er sogar Carlo oder Felix.«
»Der Handschuh liegt noch nicht lange hier«, stellte Magnus von Roth fest. »Felix ist in Paris und Carlo in München.«
»Vielleicht haben sie Besuch. Wir können schließlich nicht alles wissen.«
»Aber wir können auf dem Rückweg vorbeigehen. Marianne hat doch die Grippe. Sie geht bestimmt nicht aus dem Haus.«
»Es ist ein Männerhandschuh«, äußerte Werner Auerbach.
»Und Carlo geht nicht ohne seine Frau spazieren«, bemerkte der Ältere.
Teta hegte keinerlei Hintergedanken, als sie ihnen die Tür öffnete.
»Das ist aber nett«, sagte sie. »Wo ist denn Bambi?«
Es wollte ihr nicht in den Kopf, dass Bambi nicht mitgekommen war. Aber Magnus von Roth gab ihr die Erklärung dafür.
»Wir haben uns mal im Wald ein bisschen umgeschaut. Jonny hat das hier gefunden. Kennen Sie den Handschuh, Teta?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ob ihn Dr. Allard gestern Abend vielleicht verloren hat? Wo haben Sie ihn denn gefunden?«
»Im Wald.«
Sabine hatte gehört, dass Teta Dr. Allards Namen nannte, und erschien nun auf der Bildfläche. Die Zwillinge trippelten hinter ihr her. Sie zeigten lautstark ihre Freude über die wohlbekannten Gäste.
»Kommen Sie einigermaßen zurecht, gnädiges Fräulein?«, fragte Werner Auerbach.
»O doch, heute geht es schon sehr gut«, erwiderte sie lächelnd. »Was gibt es denn?«
»Jonny hat diesen Handschuh gefunden, und wir wollen uns nur mal erkundigen, ob er hier vermisst wird.«
»Ich dachte, dass Dr. Allard ihn vielleicht verloren hat«, mischte sich Teta ein, »aber im Wald war er ja nicht.« Sabine betrachtete den Handschuh. »Nein, Nicolas hat andere«, sagte sie, »aber …« Sie unterbrach sich und schüttelte den Kopf.
»Haben Sie solche Handschuhe vielleicht doch schon einmal gesehen?«, fragte Magnus von Roth.
»Es kann sein. Diese Art gibt es häufig. Darf ich mal sehen?«
Sie hielt ihn in der Hand und schnupperte daran.
»Er riecht nach Öl«, bemerkte sie, verriet aber nicht, dass sie auch noch einen anderen Geruch wahrgenommen hatte. Juchten!
Ein Frösteln kroch über ihren Rücken. Juchten erinnerte sie an Hasso. Aber es war absurd, anzunehmen, dass Hasso hier gewesen sein könnte. Er hatte eine zu arge Niederlage einstecken müssen. Es war besser, wenn sie seinen Namen nicht erwähnte. Aber sie spürte, dass man doch eine Erklärung von ihr erwartete.
»So ähnliche Handschuhe habe ich mal meinem Bruder geschenkt«, sagte sie, »aber Michael ist in Frankreich. Er kann ihn nicht verloren haben.«
Doch sie erinnerte sich, dass Michael seine Handschuhe vermisst hatte, als er damals weggefahren war. Er war ärgerlich gewesen, weil er sie nicht fand. Aber Michael hasste den Geruch von Juchten, wie er Hasso von Sillberg gehasst hatte.
*
»Die kleine Jostin war ein bisschen merkwürdig, findest du nicht?«, fragte Magnus von Roth seinen Schwiegersohn.
»Vielleicht gehört der Handschuh doch Dr. Allard. Es könnte ja sein, dass sie gestern Abend mit ihm im Wald spazieren gegangen ist. Sie will es womöglich nur nicht zugeben.«
»Der Handschuh hat nicht die ganze Nacht im Wald gelegen, dann wäre er feucht«, beharrte Magnus von Roth. »Und wenn deine Fantasie noch weiter reichen sollte, so muss ich sagen, dass ich mir schlecht vorstellen kann, dass Dr. Allard hier Schrecken verbreiten will, wo er eine Kinderklinik einzurichten gedenkt.«
»Ich habe überhaupt keine Fantasie, Papa, das solltest du eigentlich wissen«, brummte Werner Auerbach. »Ich bin ein ganz nüchterner Wissenschaftler. Was sollen wir diesem Handschuh überhaupt Bedeutung beimessen?«
»Na, wir werden ja sehen«, meinte Magnus von Roth nachdenklich. »Jonny wird vielleicht herausfinden, wem er gehört.«
»Wau, wau«, machte Jonny.
»Bist ein kluger Hund«, lobte ihn Magnus von Roth.
*
Zur gleichen Zeit stürzte Carla Richter, die junge Wirtin vom Gasthof Seeblick, zu ihrem Mann ins Kaminzimmer. Sie war in Hohenborn gewesen.
»War Sillberg hier?«, fragte sie atemlos.
»Was bist du denn so aufgeregt, Carla?«, entgegnete ihr Mann. »Sillberg? Wie kommst du denn auf den?«
»Ich könnte schwören, dass er an mir vorbeigefahren ist! Er wird doch nicht wagen, Sabine wieder zu belästigen?
Aber diesem Kerl ist ja alles zuzutrauen!«
»Hier war er jedenfalls nicht. Toni brüllt schon nach dir. Was geht uns Sillberg an.«
Sie musste den Kleinen beruhigen.
Das Adoptivkind Toni spielte die erste Geige im Haus. Natürlich war Sillberg nicht wichtig, aber ganz konnte sie ihn doch nicht aus ihren Gedanken verbannen.
Sie wusste, dass Sabine bei den Münsters war, und sie beschloss, nach dem Mittagessen einmal bei ihr vorbeizuschauen. Sie brauchte ja nicht mit der Tür ins Haus zu fallen.
Sabine freute sich über den Besuch.
Die Zwillinge schliefen, und Manuel war bei den Auerbachs. Inge und Bambi hatten ihn abgeholt. Allein hätte sie ihn nicht gehen lassen.
In ihr war eine Furcht, gegen die sie nicht ankonnte. Sie war sich jetzt fast sicher, dass es Michaels Handschuh gewesen war. Aber dann beschwichtigte sie sich mit dem Gedanken, dass sie es sich jetzt nur einbildete. Sie war froh, dass Carla kam und sie mit jemandem reden konnte.
»Wirst du fertig mit den Kindern?«, fragte Carla.
»Sie sind sehr lieb«, erwiderte Sabine. »Mir ist nur bange wegen der Schießerei.«
»Über kurz oder lang werden sie ihn schon erwischen«, meinte Carla. »Vielleicht ist es wirklich ein Verrückter.«
»Ein Verrückter? Das wäre ja noch schlimmer, Carla. Verrückte sind unberechenbar.«
Carla