ihn gar nichts. Aber vielleicht hat jemand anderes etwas gegen ihn.«
Sie konnten sich darüber nicht länger unterhalten. Magnus von Roth und Bambi brachten Manuel zurück. Die Zwillinge schrien nach ihrer Mami.
Abends führte Felix noch ein paar Ferngespräche, und Sandra war mit ihren Reisevorbereitungen beschäftigt. Und wie es bei einem vielbeschäftigten Mann ist, der für einige tausend Angestellte Verantwortung trägt, war Dr. Allard bei Felix Münster vorerst in den Hintergrund getreten.
*
Sabine wusste selbst nicht, warum sie auf der Heimfahrt solche Angst gehabt hatte. Ihr war zumute, als säße ihr der Teufel im Nacken. Die wenigen Minuten, die sie warten musste, bis sich das Tor auftat, erschienen ihr wie eine Ewigkeit.
Am liebsten wäre sie Nicolas um den Hals gefallen, als er vor ihr stand und ihr aus dem Wagen half.
»Es ist ziemlich spät geworden«, sagte er.
Er hat mich vermisst. Er hat sich Sorgen gemacht, dachte sie, und eine heiße Welle durchflutete sie.
»Sandra will ihren Mann nach Paris begleiten und hat mich gebeten, mich während dieser Tage um die Kinder zu kümmern.«
»Wie lange?«, fragte er schnell.
»Vier Tage.«
»Du tust es gern?«
»Gewiss.«
»Es ist eine Abwechslung. Du brauchst dich nicht ständig mit einem langweiligen Mann zu unterhalten«, sagte er leise.
»Nicolas, du hast doch keine Minderwertigkeitskomplexe?«, bemerkte sie überrascht. »Missfällt es dir, dass ich mich mit Sandra gut verstehe?«
»Ich habe Angst, dass es dir hier nicht mehr gefallen könnte, Sabine«, erwiderte er gepresst.
Nie wäre sie auf den Gedanken gekommen, dass einen Mann wie ihn Angst bewegen könnte, und dass er es auch noch aussprach, raubte ihr den Atem.
»Es sind nur ein paar Tage, Nicolas«, äußerte sie leise. »Es ist eine Gefälligkeit für eine Freundin. Sonst möchte ich nur da sein, wo du bist.«
Seine Lippen pressten sich in ihr Haar.
Die Dunkelheit umfing sie wie ein Mantel, der sie einhüllte.
»Ma Cherie!«, sagte er mit einer Zärtlichkeit, wie sie sie noch niemals in seiner Stimme vernommen hatte. »Ohne dich möchte ich hier nicht sein. Es ist so kalt, wenn du nicht da bist.«
»Es sind nur vier Tage, Nicolas, und du kannst mich besuchen«, flüsterte sie, und doch wusste sie, dass auch ihr diese vier Tage zu lang sein würden.
Sie drehte sich um und legte die Arme um seinen Hals.
»Verzeih mir, aber es macht mich glücklich, wenn du mich vermisst.«
»Willst du es herausfordern?«, fragte er, seine Arme um sie legend.
»Nein, Bestimmt nicht. Ich glaubte nicht, dass es dir etwas ausmachen würde.«
»Was denkst du sonst noch?«
Sie dachte gar nichts mehr. Sie hob ihm ihren Mund entgegen, und als sie seine Lippen spürte, versank die Welt für sie.
Es war das erste Mal, dass er sie so küsste, seit Florence tot war. Sie zitterte. »Es ist kalt«, sagte er.
»Im Haus ist es warm«, erwiderte sie. Ihre Blicke tauchten ineinander. Sie stieß die Tür auf und drückte auf den Lichtschalter.
»Du hast bestimmt noch nicht gegessen«, bemerkte Sabine. »Kannst du drüben überhaupt richtig schlafen, Nicolas?«
»Es riecht noch ziemlich nach Farbe.«
»Die Zimmer oben sind schon lange bereit für euch.«
»Aber André ist noch nicht da.«
Sie lachte leise. »Du willst mich also nicht kompromittieren.«
»Findest du das amüsant?«, fragte Nicolas.
Stand ihr Herz nicht still in diesem Moment, als sie Verzweiflung in seinen Augen las, die dann einem resignierenden Ausdruck wich?
Ein Schwindel erfasste sie, als er sich von ihr abwandte, und sie fiel ihm in den Arm. Sie stammelte unzusammenhängend zärtliche Worte, ganz dicht an seinem Ohr, und eine Seligkeit ohnegleichen erfüllte sie, als er sie dann an sich zog und küsste.
»Du darfst nicht weggehen«, flüsterte er.
»Ich gehe nie weg, Nicolas, nicht so weit, dass du mich nicht jederzeit erreichen könntest«, gab sie zurück.
*
Lisa ging immer früh zu Bett, und meistens schlief sie sofort ein. Sie sehnte sich in das Reich der Träume, in dem sie sprechen konnte wie andere, lachen und fröhlich sein. Sie wünschte sich, von Michael zu träumen, und in den vergangenen Nächten hatte sie wundervoll geträumt.
Diesmal schreckten Geräusche sie aus dem Halbschlaf, in den sie eben gesunken war. Sie vernahm Dr. Valderes Stimme, dann Andrés und Michaels. Mit atemloser Spannung lauschte sie und vernahm nun das Weinen eines Kindes. Es war ein klägliches Weinen.
Lisa schnellte empor, als ihr bewusst wurde, dass dies kein Traum war, und im nächsten Augenblick war sie aus dem Bett und schlüpfte in den flauschigen Hausmantel.
Als sie die Tür leise öffnete, herrschte draußen Stille. Aber sie sah in der Halle Michael stehen, nur ihn, nicht die anderen.
»Ich hörte das Kind um Hilfe rufen«, sagte er.
Lisa verstand jedes Wort. Nun sah sie auch das Kind. Es war ein kleines Mädchen, das, in eine Decke gehüllt, in einem der Sessel saß.
Dr. Valdere hob es jetzt empor und trug es in den Raum, in dem er sich mit seinen Patienten unterhielt. André folgte ihm, aber Michael blieb zurück. Langsam drehte er sich um und blickte zu Lisa empor.
Sie hielt sich am Geländer fest und ging nun langsam die Treppe hinab.
Michael zögerte noch, als könnte er es nicht glauben, sie wirklich zu sehen. Doch nun kam er ihr mit schnellen Schritten entgegen, griff nach ihren Händen und hinderte sie, die Treppe weiter hinabzuschreiten.
Ihre Lippen bewegten sich, doch mehr in ihren Augen als von ihren Lippen las er die Frage: Was ist geschehen? Er senkte den Kopf.
»Du solltest schlafen, Lisanne«, sagte er sanft.
Sie schüttelte heftig den Kopf und deutete auf die Tür, hinter der Dr. Valdere mit dem Kind verschwunden war. Mit beiden Händen umklammerte sie seinen Arm und sah ihn flehend an.
Warum bist du hier, was ist mit dem Kind, fragten ihre Augen.
»Es ist etwas Schreckliches geschehen«, erklärte er leise. »Das Kind ist nur leicht verletzt. Sie waren mit einem Wohnwagen drunten am Meer. Es ist wohl eine Propanflasche explodiert. Der Wagen brannte.«
Lisas Hände lösten sich von seinem Arm und legten sich über ihr Gesicht. Ein unartikulierter Laut kam über ihre Lippen. Ihr wurde es wohl nicht bewusst, aber es war ein deutlich vernehmbarer Laut, und augenblicklich dachte Michael nichts anderes. Seine Hände schlossen sich um ihre Schultern.
»Ich habe das Kind gefunden und hierhergebracht«, fuhr er heiser fort. »Die Eltern sind tot.«
Sie soll schreien, dachte er dabei, sie soll endlich schreien. Aber kein Laut kam mehr über ihre Lippen. Starr vor Entsetzen war ihr Gesicht, und bevor er sie wieder festhalten konnte, lief sie an ihm vorbei, die Treppe hinunter und auf die Tür zu, die André hinter sich ins Schloss gezogen hatte.
*
»Wie heißt du?«, fragte Dr. Valdere das Kind.
»Jill«, antwortete das Mädchen.
»Deutsch versteht sie«, sagte Dr. Valdere zu André.
»A little«,