erwähnt?« fuhr Maria ihre Tochter an.
»Nein, nach deinen vernichtenden Blick ist mir ja die Spucke weggeblieben. Was hast du eigentlich? Warum tust du so, als wäre Viktoria für uns erledigt?«
»Fremde geht das gar nichts an. Und wenn sie hier ist oder hierher käme«, schwächte sie ihre Bemerkung schnell ab, »so wird sie unbehelligt bleiben wollen. Von uns erfährt niemand etwas. Hast du verstanden?«
»Ich könnte doch gar nichts sagen«, murrte Heli. »Ich würde sie nicht mal erkennen. Schließlich war ich ein Kind, als sie weggegangen ist. Aber sie hatte einen schweren Unfall, und sicher hat sie Freunde, die ihr gern helfen möchten. Mr. Gorden gehört dazu. Er ist ein ganz bekannter Werbemanager. Und außerdem ist er gescheit genug, sie auch ohne unsere Hilfe zu finden.«
Ich muß es Viktoria sagen, dachte Maria. Ich muß sie warnen. Vielleicht weiß er sogar, daß sie den Namen Burg benutzt.
*
Irgendwann war Viktoria ganz plötzlich eingeschlafen. Vielleicht mitten im Gespräch.
Till hatte ihre Hände gehalten und gestreichelt, und sie war ganz ruhig geworden.
Als sie nun die Augen aufschlug, war er noch immer bei ihr und hielt ihre Hände. Sein Gesicht war ihr ganz nahe. Seine Lippen berührten ihre Stirn an der Stelle, wo sich die Narbe befand.
»Till«, sagte sie glücklich, »liebster Till!«
Er nahm sie in die Arme und küßte sie zärtlich.
»Nun wird doch noch alles gut werden, Vicky«, flüsterte er.
Sie brauchte sich nicht mehr zu verbergen, sie brauchte nicht mehr zu lügen, und vor allem ihn brauchte sie nicht mehr zu täuschen.
»Guter Gott, wie spät ist es eigentlich?« fragte sie erschrocken. »Hast du gar nicht geschlafen?«
»Es ist gerade erst Mitternacht«, erwiderte er lächelnd. »Du warst so müde. Du bist heute so viel herumgerannt. Du hast gar nicht lange geschlafen.«
»Aber du mußt jetzt schlafen. Morgen mußt du wieder früh heraus.«
Sanft wollte sie sich aus seinen Armen befreien, aber er hielt sie fest.
Er war so voller Glück, sie im Arm halten zu dürfen, daß er nicht müde wurde.
»Ich laufe dir doch nicht mehr davon, Till«, erklärte sie mit einem leisen, weichen Lachen.
»Nie mehr«, sagte er bittend, »nie mehr, Vicky! Versprich es mir!«
Sie schmiegte sich an ihn und küßte ihn ungestüm, sehnsüchtig und voller Hingabe, und Till fühlte, daß er eine Vicky im Arm hielt, die ihm ganz gehörte.
*
Es war ein wundervoller neuer Tag. Mit einem Lied auf den Lippen ging Viktoria in die Küche, und sie lächelte, als sie hörte, daß Till im Bad pfiff.
Sie hatte ihr Haar heute nicht straff zurückgekämmt. Es fiel in weichen Wellen auf die Schultern herab. Und sie hatte auch nicht die Brille aufgesetzt.
»Es gehört eine gewisse seelische Einstellung dazu, dem veränderten Gesicht wieder ihre persönliche Note aufzudrücken«, hatte der Arzt zu ihr gesagt. »Sie dürfen sich nicht selbst ablehnen.«
Nun hatte sie die seelische Einstellung. Till liebte sie auch jetzt noch oder aufs neue.
Sie hörte seine Schritte, und im nächsten Moment lag sie an seiner Brust.
»Liebstes!« sagte er innig. Er küßte ihre Augen, ihren Mund und nacheinander ihre Fingerspitzen. Seine Augen leuchteten, sein Gesicht war gelöst und jung. »Es ist ein wundervoller Morgen.«
»Ich glaube, daß es Regen geben wird«, lächelte sie.
»Er ist dennoch wundervoll.«
»Darf ich dich daran erinnern, daß um acht Uhr die Schule beginnt, Herr Lehrer?« bemerkte sie neckend.
»Leider«, meinte er seufzend. »Aber morgen ist Samstag.«
»Kannst du da schwänzen?«
»Schulfreier Samstag. So was gibt es jetzt Gott sei Dank auch. Da werden wir uns etwas Hübsches einfallen lassen. Die Kinder werden staunen, wenn sie…«
Er kam nicht weiter, denn Christoph stand in der Tür und staunte schon jetzt.
»Is’n heute los?« fragte er. »Papi pfeift und Ria…«
Er riß die Augen weit auf und sah sie bewundernd an. »Du bist aber hübsch heute. Ganz toll hübsch. Was sagst du, Papi?«
»Das gleiche, mein Sohn. Aber jetzt muß ich leider gehen.«
Fast hätte er Viktoria auch jetzt geküßt. Aber sie hob, dies ahnend, Christoph schnell empor, und so bekam der den Kuß. Aber ihr blieb noch ein langer, zärtlicher Blick.
»Papi ist ganz anders«, äußerte Christoph sinnend. »Er hat gelacht. Das kommt bestimmt, weil du da bist, Ria.«
Sie strich ihm schnell durch das Haar.
»Ich bin sehr glücklich, daß ihr mich liebhabt, Christoph.«
Und das sagte sie aus vollem Herzen, denn die Kinder gehörten zu Till.
*
Viktoria warf einen skeptischen Blick aus dem Fenster. Der Himmel war bewölkt. Hoffentlich regnete es nicht schon vormittags, denn sie wollte doch mit den Kindern zu Onkel Korbinian gehen.
Würde sie mit der Zeit überhaupt zurechtkommen und früh genug zurück sein, um das Mittagessen noch fertigzubringen?
Es war schon ein seltsames Gefühl, wenn man für eine Familie zu sorgen hatte, aber ein schönes, befriedigendes Gefühl.
Sie war dabei, ihr Haar wieder zu einem Knoten zu schlingen, was Christoph mißbilligend zur Kenntnis nahm.
»Anders gefällst du mir viel besser«, bemerkte er.
»Aber den anderen brauche ich doch nicht zu gefallen«, entgegnete sie leichthin, »nur euch.«
Das war ein überzeugendes Argument, das er akzeptierte.
»Jetzt tröpfelt es aber schon«, sagte er bedauernd.
Es stimmte, und damit wurde der Ausflug hinfällig, denn sie konnte mit den Kindern den weiten Weg nicht im Regen zurücklegen. Onkel Korbinian mußte dafür Verständnis haben, aber vielleicht sollte sie ihn doch lieber anrufen.
Natürlich würde Christoph sich wundern, mit wem sie da telefonierte, aber nachher konnte sie es ihm ja erklären. Sie brauchte jetzt doch nichts mehr zu verheimlichen. Daran mußte sie sich auch erst gewöhnen.
Sie wollte eben den Hörer in die Hand nehmen, als das Telefon läutete.
Es kam so plötzlich, daß ihr Herz ängstlich zu klopfen begann, und sie zögerte nun, den Hörer aufzunehmen.
Aber vielleicht war es Carla Richter oder auch Onkel Korbinian, der ja den Regen auch bemerken würde.
Aber es war Maria Doschs Stimme, die an ihr Ohr tönte, nachdem sie sich gemeldet hatte.
Hastig erklärte sie Viktoria den Grund ihres Anrufs. Viktorias Kehle war ganz trocken. Ihre Stimme wollte ihr nicht mehr gehorchen.
»Sag nichts! Um Himmels willen, Maria, sag ja nicht, wo ich bin!«
Christoph sah mit ängstlichem Blick zu ihr empor.
»Was hast du denn, Ria? Mit wem hast du telefoniert? Warum soll niemand wissen, wo du bist?«
»Ich erkläre es dir später, Christoph«, erwiderte sie. Aber wie sie es ihm erklären sollte, wußte sie noch nicht. Auf jeden Fall mußte sie jetzt Onkel Korbinian anrufen.
Sie konnte nicht ahnen, daß dieser Anruf schon zu spät kam.
*
Korbinian Gruber spürte