Annemarie Regensburger

Angela Autsch


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dann verschiebe ich das Fahrrad auf später und du kannst zum Arzt gehen.“

      „Ja, Marie, doch zuerst bewirbst du dich für diese Stelle. Gertrude und Amalia können mir auch noch helfen und Elisabeth hat ebenfalls ab und zu frei. Die kleinen Lausbuben sind außerdem aus dem Ärgsten draußen.“

      Zwei Tage später geht Marie zum ersten Mal in ihrer besten Kleidung und mit ihren einzigen guten Schuhen zu Fuß von Bamenohl nach Finnentrop. Das Herz klopft laut, als sie das große Haus und daneben die Auslage mit den schönen Kleidern sieht. Sie läutet bei der Hausglocke. Ein Mann macht ihr die Türe auf und sagt:

      „Grüß Sie Gott, Sie sind sicher Fräulein Maria Cäcilia Autsch?“

      „Ja, Sie können Marie zu mir sagen.“

      „Kommen Sie, gehen wir hoch, meine Frau erwartet Sie bereits.“

      Sie gehen die breite Treppe mit dem schmiedeeisernen Geländer hinauf und Herr Brögger ruft:

      „Ludmilla, Fräulein Autsch ist da!“

      In der Wohnungstür hängen zwei kleine Buben am Rockzipfel ihrer Mutter. Dahinter steht ein vielleicht achtjähriges Mädchen mit kurz geschnittenen Haaren. Marie muss lächeln, denn in Bamenohl tragen die Mädchen normalerweise lange Haare, die sie zu Zöpfen flechten.

      Marie verbeugt sich vor der Hausfrau. Diese reicht ihr die Hand und sagt:

      „Kommen Sie herein, Fräulein Autsch. Fühlen Sie sich wie daheim. Ich bin sehr froh, dass Sie mir bei den Kindern helfen werden. Wie Sie sehen, hat sich das nächste Kind bereits angemeldet.“

      Marie lächelt und sagt:

      „So gut ich kann, werde ich Sie unterstützen. Mit Kindern umzugehen, ist mir nicht neu. Ich habe noch zwei kleinere Brüder zuhause.“

      Die achtjährige Tochter nimmt Marie bei der Hand und zeigt ihr das große Kinderzimmer. Marie ist über das schöne Zimmer erstaunt und fragt:

      „Schläfst du hier ganz alleine?“

      „Ja, mein kleiner Bruder und meine kleine Schwester schlafen im Zimmer neben den Eltern, weil sie nachts öfters aufwachen. Wenn das Baby kommt, wird meine kleine Schwester Rosalinde sicher bei mir schlafen. Und wie heißt du eigentlich?“

      „Ich bin Marie, du darfst du zu mir sagen.“

      „Ich heiße Theresia, nach der heiligen Thérèse von Lisieux. Kennst du die Geschichte von der heiligen Thérèse?“

      Marie sieht Theresia erstaunt an und sagt:

      „Ja, unser Vater hat uns Kindern am Abend oft Heiligengeschichten erzählt oder vorgelesen. Die Geschichte von der heiligen Thérèse von Lisieux gefällt mir besonders gut. Es ist noch nicht lange her, seit sie gelebt hat. Drei Jahre nachdem sie starb, bin ich geboren.“

      „Marie, bleibst du sicher bei uns? Erzählst du mir die Geschichte von Thérèse und noch viele andere?“

      Marie ist gerührt, schließt Theresia in ihre Arme, der Bann ist gebrochen. Die Eltern sind erstaunt, wie schnell sich Marie mit Theresia vertraut machen konnte, denn ansonsten ist sie Fremden gegenüber sehr zurückhaltend.

      Am Abend, als Marie zu Fuß nach Hause geht, ist sie sehr glücklich. Sie kommt bei der Haustüre herein und ruft:

      „Mama, ich habe die Stelle bei den Bröggers bekommen. Morgen kann ich bei ihnen anfangen zu arbeiten. Sie haben drei Kinder und das vierte ist unterwegs. Herr und Frau Brögger sind sehr nett.“

      Mit einem weinenden und einem lachenden Auge schließt die Mama Marie in die Arme und sagt:

      „Du wirst mir zwar abgehen, doch du wirst deinen Weg gehen.“

      Marie wird es schwer ums Herz. Sie läuft in ihre Kammer und kniet sich vor ihren Hausaltar. Es würgt sie und die Tränen rinnen über ihre Wangen. Plötzlich weiß sie, warum, und sagt ganz leise:

      „Ja, ich habe dir bei der Erstkommunion versprochen, dass ich ins Kloster gehe, aber weißt du, noch ist die Zeit dazu nicht reif. Jetzt braucht mich diese Familie, vor allem die kleine Theresia und meine Familie braucht das Geld, das ich verdiene.“

      Der Vater kommt von der Arbeit und sieht Marie erwartungsvoll an.

      Sie sagt: „Ja, ich fange morgen zu arbeiten an. Nun habt ihr es auch leichter.“

      „Aber Marie, bist du dann nicht mehr daheim, so wie August?“, fragen sie fast gleichzeitig ihre Brüder Wilhelm und Franz.

      „Nein, ich komme jeden Abend heim. August kommt erst wieder, wenn der Krieg zu Ende ist.“

      Für Marie beginnt eine spannende Zeit. Sie gewinnt durch ihre fröhliche Art bald das Vertrauen der zwei kleineren Kinder. Theresia fällt es sichtlich schwer, am Morgen, wenn Marie gerade gekommen ist, die Schultasche zu packen und in die Schule zu gehen. Doch Marie tröstet sie und sagt:

      „Weißt du, ich kann dir nicht Lesen, Schreiben und Rechnen beibringen. Das lernst du alles in der Schule. Doch ich erzähle dir, wenn du magst, gerne von Jesus.“

      Bevor Theresia die Wohnung verlässt, sagt sie noch zu Marie:

      „Versprich mir, dass du mir heute am Abend, bevor du nach Hause gehst, die Geschichte von der heiligen Thérèse erzählst.“

      „Versprochen!“

      Lachend läuft Theresia die Stiege hinunter und Frau Brögger sagt zu Marie:

      „Wie schaffst du es bloß, Theresia immer wieder zu motivieren, in die Schule zu gehen?“

      Marie lächelt und sagt, dass sie später ein Versprechen, das sie Theresia gegeben hat, einhalten muss. Abends, als die zwei kleinen Kinder bereits schlafen, geht Marie in Theresias Zimmer. Sie freut sich sehr und sagt:

      „Toll! Hast du noch Zeit für die Geschichte von Thérèse?“

      „Ja, natürlich. Komm, leg dich ins Bett, ich setze mich neben dich.“

      „Die kleine Thérèse von Lisieux ist 1873 in Frankreich geboren. Meine Mama ist nur sieben Jahre älter als sie und deine Mama ist nur ein paar jünger, als Thérèse heute wäre. Sie war die Jüngste und hatte vier ältere Schwestern, außerdem vier ältere Brüder, die alle als kleine Buben gestorben sind. Als Therese vier Jahre alt war, starb auch ihre Mama. Der Papa zog mit seinen fünf Töchtern nach Lisieux. Bereits als kleines Mädchen hatte Thérèse Jesus sehr lieb. Sie glaubte fest daran, dass ihre Mama und ihre vier Brüder im Himmel sind und gut auf sie aufpassen. Als sie 14 Jahre alt war, betete sie für einen Mann, der einen anderen Mann getötet hatte und zum Tode verurteilt wurde, dass er doch noch vor seinem Tod an Gott glauben möge. Dieser Mann hat wirklich vor seinem Tod Gott um Verzeihung gebeten und zu einem Priester gesagt, dass es ihm leidtut, was er alles falsch gemacht hat.

      Mit 15 Jahren wollte Thérèse in Lisieux ins Kloster gehen, doch der Bischof sagte, dass dies noch zu früh sei.“

      Während Marie dies erzählt, muss sie mit den Tränen kämpfen und Theresia fragt sie:

      „Warum weinst du, Marie?“

      Marie streicht ihr über den Kopf und sagt leise:

      „Weißt du, ich habe bei meiner Erstkommunion Jesus auch versprochen, dass ich ins Kloster gehe.“

      „Aber Marie, du bleibst doch bei uns, oder?“

      „Ja, Schätzchen, jetzt bleibe ich bei euch. Deine Mama braucht mich, denn bald kommt das Baby.“

      „Erzähl weiter, Marie, was mit Thérèse passiert ist.“

      „Als sie mit 16 Jahren mit einer Pilgerfahrt nach Rom fuhr, fragte Thérèse sogar den Papst, er hieß Leo, ob sie ins Kloster gehen darf. Doch dieser sagte zu ihr, dass der Bischof von Lisieux damit einverstanden sein muss. Als Thérèse von Rom heimkam, erlaubte ihr der Bischof, ins Kloster zu gehen. Thérèse betete oft für andere Menschen und viele wurden durch ihr Gebet gesund. Ihre Oberin