Arik Brauer

Das Alte Testament


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in Panik, denn mir wurde klar, dass sich jetzt endgültig herausstellt, dass ich keineswegs allwissend bin. Mein Einwand, dass diese Frage niemand beantworten kann, wurde von der kleinen Philosophin in sachlichem Ton hinweggewischt, mit der Feststellung, dass Erwachsene eben auch dumm sind.

      Bleiben wir also bei den bekannten alten Schilderungen, die zwar nur falsch sein können, da wir ja, wenn es sich um den Urknall handelt, tatsächlich dumm sind, aber die Bibel ist auf jeden Fall ein Jahrtausendkunstwerk von grandioser Poesie und zeitloser Weisheit.

      Nehmen wir an, drei Menschen lesen das Alte Testament, ein Agnostiker, ein Religiöser und ein Tiefgläubiger. Der Agnostiker ist tief beeindruckt von der sprachlichen Gewalt und Poesie der Schrift. Ist er zufällig auch Künstler, verwendet er Figuren und Erzählungen, die ihn besonders beeindrucken, für sein Schaffen. Die moralischen Forderungen des Alten Testaments sind zum Teil Grundlage seiner Sozialisierung, aber zum Teil inakzeptabel für den Agnostiker der westlichen Kultur des 21. Jahrhunderts.

      Der Religiöse glaubt prinzipiell an eine Gottheit, wie sie in der Schrift geschildert ist, kann aber mit der Schöpfungsgeschichte nichts anfangen. Er geht davon aus, dass die Bibel von Menschen geschrieben wurde, die von Gott inspiriert waren, aber vieles missverstanden, manches hinzugelogen haben. Die zahlreichen Widersprüche und Absurditäten in der Bibel werden von ihm als Ausschmückungen und Symbole für den Wissensstand der Menschen jener Zeit verstanden und nicht weiter hinterfragt. Wahrheiten, die für heute Gültigkeit haben, hält der Religiöse für die Worte einer überirdischen Schöpferkraft.

      Für den Gläubigen gilt jedes Wort, das in der Bibel steht, als Gottes Wort. Absolute, unveränderliche, ewige Wahrheit. Daraus ergibt sich natürlich, dass wissenschaftliche Erkenntnisse, die in Widerspruch zur Bibel stehen, nur falsch und das Werk eines Satans sein können. Konsequenterweise ist es dann die Pflicht des Gläubigen, diese totale und beglückende Wahrheit der gesamten Menschheit mitzuteilen und den Glauben an sie durchzusetzen, sei es durch gutes Beispiel und Überzeugungskraft, sei es durch den Scheiterhaufen und die Zwangsislamisierung mit dem Schwert.

      Das Judentum hat die Basis für den Glauben an eine einzige und absolute Wahrheit geliefert, unterscheidet sich aber von den beiden anderen monotheistischen Religionen. Die Menschheit braucht nicht mosaisch zu werden. Zehn gerechte Juden genügen, um die Welt am Leben und Existieren zu erhalten. Und wenn alle Juden die göttlichen Gesetze (Mitzwot) wirklich erfüllen würden, wäre die Welt gerettet. Es gibt in der jüdischen Tradition das Talmud-Studium. Es ist eine gewaltige Wissenschaft, die jedes dieser »Worte Gottes« seit Jahrhunderten auf unterschiedliche Weise auslegt und versteht. Es ist dies ein äußerst kompliziertes Denksystem und wird von Gelehrten betrieben, die sich ihr Leben lang mit nichts anderem beschäftigen. Der durchschnittliche religiöse Jude braucht daher, um seiner Religion gerecht zu werden, einen Interpreten, der ihm für jedwede seiner Handlungen eine Verhaltensweise vorgibt. Es versteht sich, dass dieses System den Rabbinern Einfluss und Macht über die Gemeinde sichert.

      Der Verfasser dieser Zusammenfassung des Alten Testaments versteht sich selbst als Agnostiker. Für mich ist die Bibel ein Jahrtausendkunstwerk, ein grandioses Zeugnis menschlicher Weisheit und menschlicher Irrtümer. Ich habe weder die Möglichkeit noch die Absicht, mich in die religionswissenschaftlichen Auslegungen der Bibel einzubringen. Diese Kurzfassung erzählt den Text so, wie er in der Bibel steht und von jedermann verstanden werden kann. Meine Kommentare und Reflexionen gehen von dem Allgemeinwissen und den moralischen Vorstellungen unserer Zeit aus.

      Einen Gott, der außerhalb des Kosmos existiert und diesen erschafft, bin ich nicht imstande mir vorzustellen. Es ist auch nicht leicht sich vorzustellen, dass der Kosmos mit all seinen Erscheinungen ununterbrochen daran ist, sich selber zu erschaffen, nicht weil er das will, sondern weil er gar nicht anders kann. Aber nachdenken und träumen schadet nie. Der Urknall schafft Physik und Chemie. Diese schaffen aus Kristallen und Säuren Leben, dieses schafft Intelligenz und diese schafft Götter. Bis zu einem wirklichen Monotheismus hat es die Intelligenz offensichtlich noch nicht gebracht, denn es wimmelt ja in allen Religionen überall von Engeln, Cherubim und Heerscharen, lauter unsterbliche Wesen, also Nebengötter.

      In der Bibel werden oft Wunder geschildert, Ereignisse, die im Widerspruch zu den uns bekannten Naturgesetzen stehen. Als Wunder kann man aber auch verstehen, dass ebendiese Naturgesetze Lebewesen hervorgebracht haben, die imstande sind, Wunder zu erfinden. Die oft krampfhaften Versuche, diese Wunder naturwissenschaftlich zu erklären, beschädigen die Wunder ebenso wie die Naturwissenschaft. Ich selbst habe mich manchmal ebenfalls dieser Sünde schuldig gemacht.

      DIE SCHÖPFUNG

      »Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde« (1. Mose 1,1) lautet die Übersetzung von Luther. Im hebräischen Original Berishit = zuerst bara = schuf (Vergangenheit, Einzahl, männlich) elohim = Götter (Mehrzahl, maskulin), et hashamain = den Himmel we ha aretz = und die Erde. Wenn es einem nichts ausmacht, gekreuzigt zu werden oder auf einem Scheiterhaufen zu enden oder noch schlimmer aus der Israelischen Kultusgemeinde ausgeschlossen zu werden, kann man also auch Folgendes lesen: Zuerst schuf Götter Himmel und die Erde (»Zuerst«, ein guter Name für den Urknall).

      »Und die Erde war wüst und leer.« Hebräisches Original: Tohu wabohu. Dies sind keine hebräischen Worte, sondern wurden offensichtlich eigens erfunden, um das totale Chaos auszudrücken. Es gibt seit 2000 Jahren den Versuch, das hebräische Wort haja (war) mit »wurde« zu übersetzen. Die Erde wurde Tohuwabohu, was die Möglichkeit ergäbe, dass der Kosmos bereits seit Jahrmilliarden existiert und die Erde vor 6000 Jahren aus diesem Tohuwabohu geschaffen wurde. Das hebräische Wort für »wurde« ist aber nehie und außerdem ist, wie wir ja inzwischen wissen, auch die Erde seit Jahrmillionen mit Leben aller Art bevölkert und kein Tohuwabohu.

      Am ersten Tag werden das Licht und die Finsternis geschaffen, und zwar ohne Sonne. Am zweiten Tag wird ein Himmel gemacht, der zwischen einem oberen und einem unteren Wasser platziert ist. Im unteren Wasser gibt es Trockenstellen, die Erde genannt werden, obwohl es Erde, wenn auch wüst und leer, ja schon gibt. Am dritten Tag werden die Pflanzen geschaffen, vorläufig auch ohne Sonne. Am vierten Tag endlich wird die Sonne als großes Licht und der Mond als kleines Licht am Himmel aufgehängt. Am fünften Tag werden alle Tiere erschaffen, von den Walen, die für Fische gehalten werden, bis zu den Käfern und Würmern. Von Bakterien und Viren, ohne die ja Säugetiere nicht existieren könnten, ist nicht die Rede. Am sechsten Tag wird der Mensch gemacht. Vom hebräischen Wort adamah – Erde, kommt das Wort Adam (Einzahl, maskulin). Dieser Adam ist das Ebenbild Gottes, und die Bibel wiederholt, dass er das Ebenbild Gottes ist. Gleich darauf heißt es, als Mann und Weib schuf Gott den Menschen und dann stellt sich heraus, dass Adam eine »Gehilfin« braucht. Er wird eingeschläfert und aus einer seiner Rippen wird ein Weib gebastelt (1. Mose 2,21). Dieser literarische Eiertanz um die Erschaffung der Frau drückt bereits die problematische Vormachtstellung der Männer in den monotheistischen Religionen aus. Es ist allgemein bekannt, dass wegen der Rippe das Weib dem Mann untertan ist. Wie so vieles allgemein Bekannte stimmt es nicht. In der Bibel steht Folgendes: »Darum wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und an seinem Weibe hangen« (1. Mose, 2,24).

      Es gibt über die Schöpfungsgeschichte zahlreiche Witze und Spottlieder, aber so naiv diese Erzählung wirkt, wenn man mit ihr die Erkenntnisse der Wissenschaft ersetzen und verdrängen will, so grandios ist sie als Kunstwerk. In wenigen Sätzen ist die ganze Tragödie eines affenartigen Säugetiers geschildert, das ein Gehirn entwickelt, mit dem es seine eigene Nacktheit erkennt, Gut und Böse unterscheiden kann und tatsächlich Herr über Tiere und Pflanzen wird. Die Verfasser dieser Schrift müssen tiefe Erkenntnisse und prophetische Fähigkeiten gehabt haben. Die Geschichte der Schöpfung ist ja zweifellos viel älter als die Bibel und erweckt mit vielen Widersprüchen und Absurditäten oft den Eindruck, dass die Verfasser dieser Schrift keineswegs die Absicht hatten, Wahrheiten zu verkünden, die Wort für Wort ewig geglaubt werden müssen.

      Kaum existiert der Mensch, beginnen schon die Probleme. Man frisst den verbotenen Apfel und versucht dann, sich abzuputzen.

      Adam: »Ich doch nicht. Die Gehilfin, die du mir geschaffen hast.«

      Eva: »Ich doch nicht, die Schlange,