Reimmichl

Das große Reimmichl-Lesebuch


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schon –, als der Wastl mit dem fernen Amerika in Berührung kam, wenn auch nur in Form von Zigarren aus Puerto Rico. Der erste Versuch, sich an köstlichem Rauch zu erfreuen, endete kläglich mit Erbrechen und Durchfall. Trotzdem erlernte er später doch noch das Rauchen und es wurde zu seinem größten Laster.

      In den Ferien daheim ließ es sich der Wastl gut gehen. Man sah ihn kaum jemals bei der Heuarbeit oder im Stall. Für den Bauernstand aber zeigte er lebhaftes Interesse, für bäuerliche Sitten und Gebräuche, für die wirtschaftliche und soziale Lage der Landwirtschaft. Lesen, Gitarre spielen und singen, ab und zu eine Wanderung zu Marienwallfahrten in der näheren und weiteren Umgebung oder die Besteigung eines Joches brachten ihm Erholung. Jeden Dienstag fand in einem Gasthaus das Treffen der Deferegger Studenten statt. Dabei übernahm oft Reimmichls Vater die ganze Zeche.

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      An einem selten klaren Augustmorgen des Jahres 1884 erlebte Reimmichl am Gipfel des Großglockners einen überwältigend schönen Sonnenaufgang. „Weder vorher noch später habe ich jemals so etwas Großes gesehen.“

      (Foto: W. Mair)

      Ein Sonnenaufgang am Gipfel des Großglockners prägte sich tief in das Gemüt und die Erinnerung des damals Siebzehnjährigen ein. Dieses unvergessliche Naturschauspiel weckte in Reimmichl eine leidenschaftliche Liebe zur Heimat, zum Land Tirol. Noch im hohen Alter erzählte er von jener beglückenden Morgenstunde auf dem Gipfel. Von daher rührte auch seine heiße Liebe zu den Bergen, die in vielen seiner Geschichten beredten Ausdruck findet.

      Nach acht Jahren Freud und Leid, Erfolgen und Misserfolgen, erlebter Geselligkeit und Kameradschaft trat Wastl im Frühsommer 1880 zur Reifeprüfung an: In Deutsch „vorzüglich“, in den Sprachen je ein „sehr gut“. Nur die Mathematiknote verhinderte ein Vorzugszeugnis. Er durfte aber zufrieden sein. Aus dem schüchternen Bübl aus dem hintersten Tal war ein junger Mann geworden, der sich zwar noch immer in Bescheidenheit übte, aber gleichzeitig wusste, was er wollte: Priester werden.

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      Man ging vom Kreuzgang „übers Brüggele“ zum Brixner Priesterseminar, einem Barockbau aus dem Jahre 1771.

      (Foto: Herzog)

      Östlich des Brixner Dombezirks, jenseits des Kreuzganges, floss früher die Wier (= Wehr, aufgestautes Wasser), ein Nutzwasserkanal, der – vom Eisack gespeist – unterhalb von Vahrn begann und an dessen Ufern Müller, Schmiede, Gerber u. a. ihrem Gewerbe nachgingen. Über diesen Kanal führte eine schmale Brücke (Brüggele). Wollte man nun vom Dombezirk zum Priesterseminar, musste man über selbiges gehen. Im Volksmund sagte man daher von jemandem, der ins Priesterseminar eingetreten ist, dass er „übers Brüggele“ gegangen wäre.

      Die Frage, welchen Beruf er ergreifen sollte, bereitete Reimmichl nach der Matura kein Kopfzerbrechen. Der Wunsch Priester zu werden war in ihm während der acht Jahre im Vinzentinum stetig gewachsen und gereift, und so beschritt er im Herbst 1888 in voller Überzeugung, den richtigen Schritt zu tun, den Weg „übers Brüggele“ ins Priesterseminar, wo er mit den meisten seiner Klassenkameraden wieder zusammentraf.

      Bis zum Ersten Weltkrieg zählte das Brixner Priesterseminar zu den berühmtesten Theologischen Lehranstalten des ganzen Habsburgerreiches. Gleichzeitig galt es als ein Bollwerk gegen Liberalimus und wurde zu der Zeit, als Reimmichl dort studierte, zur Hochburg christlichsozialer Ideen.

      Das heutige Seminar steht auf den Fundamenten eines mittelalterlichen Hospizes, wurde 1771 als Barockbau errichtet und ist mit wertvollen künstlerischen Arbeiten ausgestattet. Joseph Ratzinger ist dem Seminar seit vielen Jahren eng verbunden. Zehnmal verbrachte er als Kardinal und einmal als Papst seinen Sommerurlaub im Brixner Priesterseminar.

      Bis 1938 war das Brixner Seminar die Bildungsstätte auch für die Nordtiroler Anwärter, ehe ihnen diese Möglichkeit auf Grund der politischen Verhältnisse genommen wurde und ihnen die Jesuiten im Innsbrucker Canisianum Aufnahme geboten haben. 1955 wurde dann in der Innsbrucker Riedgasse das neue Priesterseminar errichtet.

      Das Theologiestudium betrieb Sebastian Rieger gewissenhaft und mit bestem Erfolg. Er blieb der tiefgläubige, lebensfrohe und gemütsvolle Wastl. Welterfahrene Professoren weiteten seinen Blick für die sozialen Probleme des Volkes, denn bereits zu dieser frühen Zeit hörten die Priesteramtskandidaten in Brixen sozialwissenschaftliche Vorlesungen.

      Rieger brannte für seine kommende Aufgabe als Seelsorger, dabei sah er im aufstrebenden Tourismus eine Gefahr für Glaube und Sitte im Land. In jugendlichem Eifer lehnte er ihn weitgehend ab. Für eine seiner Probepredigten im Speisesaal des Priesterseminars wählte er das Thema „Fremdenverkehr“. Dabei zog er alle Register und schoss in der Verurteilung weit übers Ziel hinaus.

      Dr. Franz Egger, der Regens und spätere Bischof von Brixen, rief den feurigen Prediger anschließend zu sich und fragte ihn, ob er auch draußen in der Seelsorge so zu predigen gedenke. Und nach einer kurzen Pause: „Herr Rieger, so geht das wohl nicht.“

      Reimmichl erzählte in späten Jahren oft von dieser Episode und lachte über sein damaliges jugendliches Ungestüm, denn im Lauf der Jahre hat er sehr wohl erkannt, dass der Tourismus für Bevölkerung und Land auch viel Positives brachte.

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      Erinnerungsbildchen an Reimmichls Primiz.

      (Foto: Reimmichlmuseum, Hall)

      Mit Ernst- und Gewissenhaftigkeit bereitete sich Rieger auf die priesterlichen Weihen vor. Wegen seines höheren Alters – er begann seine Studien ja erst mit 13 Jahren – erhielt er Dispens und wurde noch vor Beendigung des Theologiestudiums am Peter-und-Pauls-Tag 1891 im Brixner Dom von Fürstbischof Simon Aichner in Anwesenheit seiner Eltern, Geschwister und einiger Verwandter zum Priester geweiht.

      Am 8. Juli 1891 feierte der Neugeweihte in seiner Heimatkirche St. Veit in Defereggen seine Primiz. Es war ein großartiges Fest, von dem die Leute noch Jahrzehnte später redeten. Dass an nichts gespart werden musste und sich alle mitfreuen konnten, dafür sorgte ein stolzer Vater Rieger, der tief in seinen Geldbeutel griff.

      Ehe der junge Priester nun in die Seelsorge entlassen wurde, musste er noch ein weiteres Jahr nach Brixen, um seine Studien abzuschließen.

      Lehr- und Wanderjahre

      1892 trat der 25-jährige Sebastian Rieger als Kooperator (= einem Pfarrer zugeordneter Geistlicher) der Dekanalpfarre Stilfes bei Sterzing seine erste Seelsorgsstelle an. Zu seinem Wirkungskreis gehörte auch die auf der anderen Talseite gelegene Marienwallfahrt Maria Trens. Dort war der junge Geistliche voll gefordert, denn Maria Trens war seinerzeit neben Absam der größte Wallfahrtsort Tirols. Er war das Ziel zahlreicher Kreuzgänge – benannt nach dem Kreuz, das einem Wallfahrtszug vorangetragen wurde. An diesen Bittprozessionen aus oft weit entfernten Gemeinden nahmen nicht selten hunderte Menschen teil. Manchmal war die Kirche so überfüllt, dass sich in der kälteren Jahreszeit an den Wänden dünne Wasserrinnsale bildeten. Stundenlang saß er nun im Beichtstuhl, denn der Pilgerstrom riss selten ab. Dazu kam, dass Maria Trens zu den beliebtesten Hochzeitskirchen des Landes zählte; die Paare kamen aus allen Teilen Tirols. Für viele war diese Reise nach Trens, vielleicht noch mit einem Abstecher nach Sterzing oder Brixen, gleichzeitig die Hochzeitsreise. Deshalb verwundert es nicht, dass in mehreren Reimmichl-Geschichten Brautpaare den Bund fürs Leben in Maria Trens schließen.

      Im Beichtstuhl lernte nun Rieger erstmals die ganze Breite und Tiefe menschlichen Daseins kennen, die Nöte und Hoffnungen. Schnell sprach es sich herum, dass der Neue ein freundlicher und verständnisvoller Beichtvater war. Und er war gewissenhaft. Bevor er das erste Mal in den Beichtstuhl ging, fiel ihm plötzlich nicht mehr ein, wie das mit einer in gutem Glauben geschlossenen, aber ungültigen Ehe ist – in der Moraltheologie heißt der Fachausdruck dafür matrimonium putativum. So nahm er das entsprechende Moralbuch in den Beichtstuhl mit, um gegebenenfalls nachschauen zu können. Oft erzählte er später davon und fügte lachend hinzu: