außergewöhnlichste Erlebnis der vergangenen Jahre hat ein in der Hofburg arbeitender Wachebeamter im Februar des Jahres 1987 gehabt. Herr E.**) hatte eben seinen Rundgang durch die Gänge der Hofburg begonnen. Mit einer starken Lampe und einem elektronischen Gerät ausgestattet, das seinen genauen Standort anzeigt, begab sich der Mann auf die etwa dreieinhalb Kilometer lange Strecke, die durch Keller und Dachboden führt. »Fledermäuse hat er hier schon oft gesehen, auch Marder, die in den alten Gemäuern ihre Wohnung eingerichtet haben. Die langen, dunklen Korridore erscheinen sensiblen Naturen schon bei Tag fremd und ein wenig unheimlich. Wer hier also bei der Nacht seine Arbeit tut, darf nicht ängstlich sein. In dieser Nacht aber sieht und hört Herr E. etwas, das sein Leben verändert. Irgend etwas hat ihm den Schreck in alle Knochen fahren lassen. Was immer es war, er spricht nicht darüber. Aber nie wieder, das sagt er, wird er in der Hofburg eine nächtliche Runde drehen …«. Der Wachebeamte war im Jahr 1987 übrigens nicht der einzige, der Zeuge einer paranormalen Erscheinung wurde. Denn überall in der Burg »vor allem … im ältesten Trakt, dem Schweizertrakt, klagen Menschen in diesen Monaten über nächtliche Störungen. Schritte sind zu hören, Klopfgeräusche, Ächzen und Stöhnen … Geräusche … von Schuhen mit spitzen Absätzen … Dinge (wurden) verrückt, Kleinigkeiten wie Zigaretten oder Schreibstifte von einer Seite des Schreibtisches auf die andere geschoben … Und ein Wissenschaftler des Bundesdenkmalamtes hatte gehört, wie jemand seufzend auf das Sofa niedersank, konnte aber keinen Menschen sehen …« (alles in: dies., S. 145f.)
Eine Menge an Wahrnehmungen, die da vor sechzehn Jahren vernommen wurden, aber weit und breit keine »Weiße Frau«. Und das obwohl gerade ihr Erscheinen seit so langer Zeit bezeugt wird. Auch Kaiserin Zita hatte als Mädchen von ihr gehört und begann sich noch stärker für sie zu interessieren, als sie die Braut des späteren letzten Regenten von Österreich wurde. »Als ich heiratete, hörte ich in Wiener Kreisen erzählen, daß es eine Weiße Dame gäbe, die in der Burg erscheine, bevor ein Mitglied der Familie stirbt. Ich wollte der Sache auf den Grund gehen. Leider ist es mir nicht gelungen. Ich stieß wohl auf die hartnäckige Behauptung, daß die Weiße Dame ziemlich überall in der Hofburg gesehen worden sei in der Nacht, in der der Kronprinz in Mayerling ermordet wurde*). Sie soll sogar vor der Wache vorbeigegangen sein. Ich habe aber leider nie jemanden getroffen, der mir die Erscheinung bestätigen konnte. Allerdings wurde das Sujet auch nur sehr vorsichtig gestreift, da ja Kaiser Franz Joseph (der Vater Kronprinz Rudolfs) während meiner ersten Ehejahre noch am Leben war. Und während der letzten zwei Kriegsjahre*) blieb einem wenig Zeit und Gelegenheit, solche Fragen zu behandeln. Dagegen behauptete man allgemein, daß die Erscheinung beim Tod Kaiserin Elisabeths zum ersten Mal ausgeblieben sei, was damals sehr intensiv diskutiert wurde. Das würde bestätigen, daß an der Sache doch etwas war, denn gerade der tragische Tod der Kaiserin wäre der richtige Moment gewesen, so einer Legende mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Auch nach dem Tod Kaiser Franz Josephs mußte ich konstatieren, daß niemand etwas gesehen hatte und daß die Weiße Dame sicher nicht in der Burg umgegangen war. Auch diesmal hat sich ganz Wien damit beschäftigt. Das allgemeine Urteil war, daß sie zwischen dem Tod des Kronprinzen 1889 und demjenigen von Kaiserin Elisabeth 1898 erlöst worden sei. Wer diese Dame gewesen sein konnte, wußte mir niemand zu sagen, allerdings habe ich aus Zartgefühl auch nicht zu viele Leute gefragt, die mir vielleicht aber eine Antwort hätten geben können.« (dies., undatierte Niederschrift)
Kaiserin Zita (mit Schirm) hatte schon als Mädchen von der »Weißen Frau« in der Hofburg gehört. Ihr Interesse wuchs, als sie die Frau Erzherzog Karls, des späteren letzten Kaisers von Österreich, und Residentin des Wiener Stadtschlosses wurde.
Kaiser Franz Joseph, der als tiefgläubiger Katholik ebenfalls unter der Wahrheit litt, wäre Mord als Todesursache sehr zurecht gekommen. Aber er kannte den genauen Tathergang und die Abschiedsbriefe seines Sohnes an mehrere Familienmitglieder, weshalb also kein Zweifel an dessen Freitod bestand. Der Kaiser mußte im Gegenteil seiner Familie sogar erzählen, daß er »von allen Seiten (höre), dass hier (in Ungarn) fast niemand an die Art von Rudolfs Ende glauben wolle, dass die meisten an Mord oder doch gezwungenen Selbstmord glauben … Papa sagt ganz richtig, es sei unbegreiflich, wie die Leute glauben können, dass man das Ärgste erfindet.« (ebenda)
Vermutlich ist es auf die Prophezeiung der Nonne aus Metz und auf die kurz nach der Tat sehr verschieden lautenden Pressemeldungen zurückzuführen, daß einige Hobby-Historiker bis heute an politische Verschwörung und an Mord glauben. In manchen Berichten hieß es allerdings auch, der Tod wäre durch »Herzstillstand« eingetreten. Diese Angabe hat man – soweit ich mich erinnere – auch an die Patres der Augustinerkirche weitergegeben, um den Kronprinzen in der dortigen Familiengruft christlich beisetzen zu dürfen. Eine Geisteskrankheit, vermutlich Schizophrenie, die von den Ärzten erst später in Erwägung gezogen wurde, hätte den besten Grund für die »Freisprechung« durch die katholische Kirche gegeben: »Wiederhofer (s. S. 40) sagt, er (Kronprinz Rudolf) sei eben an Verrücktheit gestorben, wie ein anderer an einer andern Krankheit. Dieser Gedanke ists, glaube ich, der Papa aufrechterhält …« (Marie Valérie, 21. August 1889)
Einige Jahre, nachdem Kaiserin Zita diese Geschichte niedergeschrieben hatte, stieß sie auf ein Buch, in dem wieder einmal von der Erscheinung der Weißen Dame in der Hofburg die Rede war. Und zwar diesmal konkret im Zusammenhang mit dem Mordanschlag auf Kaiserin Elisabeth. »Im Buch von Maurice Paléologue, Elisabeth, Kaiserin von Österreich*) steht auf den Seiten 226, 227, 228 … Tief in der Nacht hat (Kaiserin Elisabeth) eigenartige Visionen: ein Phantom erscheint ihr, das sie beständig anschaut, um dann bald wieder zu verschwinden. Sie ist darüber sehr beunruhigt, da es gemäß einer jahrhundertealten Sage heißt, daß eine nächtliche weiße Gestalt, die sogenannte Weiße Dame, immer dann erscheint, wenn die Habsburger von einem großen Unglück betroffen würden. Ein Mitglied der kaiserlichen Familie weiß ganz sicher, daß der unheilverkündende Geist … in den kritischen Jahren 1621, 1740, 1809 und 1866*) in Schönbrunn und in den Gängen der Hofburg erschienen ist. Schließlich ist er im Januar 1889 einige Tage vor dem Selbstmord des Erbprinzen Rudolf wieder erschienen. Und am 30. August 1898 sieht Elisabeth, die sich in Caux (in der Schweiz) … aufhält und am Balkon die kühle Nacht genießt, gegen Mitternacht ganz deutlich im Park des Hotels die Weiße Dame herumirren. Sie starrt sie beständig an, um sich schließlich aufzulösen. Ab 5. September desselben Jahres 1898 hält sich die Kaiserin einige Zeit in Genf auf, wo sie im Hotel Beau Rivage wohnt. Am 10. September geht sie in Begleitung von Gräfin Sztáray um 2 Uhr nachmittags über den Quai Mont-Blanc, um sich dort für eine Fahrt über den See einzuschiffen …« (Übersetzung der handschriftlichen Kopie Kaiserin Zitas)
Abholung des Leichnams von Kaiserin Elisabeth aus dem Hotel Beau Rivage in Genf. Hier hatte die Kaiserin gewohnt, bevor sie sich am 10. September 1898 für eine Fahrt über den See einschiffte und auf dem Weg dorthin von einem Attentäter erdolcht wurde.
Das Ende der Geschichte ist hinlänglich bekannt: Kaiserin Elisabeth wird von einem Mann niedergestoßen, der ihr eine Feile ins Herz bohrt. Es gelingt ihm, die Waffe wieder aus ihrem Brustkorb zu ziehen, weshalb man zunächst nicht erkennt, was genau geschehen war. Die Kaiserin richtet sich auf, geht weiter und erreicht sogar noch das Schiff, mit dem sie Genf verlassen möchte. Sie erleidet aber bald einen Schwächeanfall, sinkt zusammen und verstirbt wenig später an den Folgen des Attentats. Der genaue Tathergang ist in dem 1909 erschienenen Buch »Aus den letzten Jahren der Kaiserin Elisabeth« nachzulesen. Die damalige Begleiterin der Kaiserin und Zeugin des Mordanschlags, die Hofdame Gräfin Irma Sztáray, hat darin die letzten Stunden der Kaiserin akribisch genau festgehalten.
Doch wieder zurück zu Kaiserin Zita und ihrer Forschung zu den Erscheinungen der Weißen Dame