im Stadtteil „Alemanha“ (Deutschland) zu Gast. Die Reise ging dann weiter bis nach Belém do Pará, wo die Emsstein um Mitternacht vom 24. auf den 25. November festmachte. Am frühen Morgen des 25. November kam Pater Fritz Tschol an Bord, um mich willkommen zu heißen. Er war in Belém, um eine Malaria auszukurieren.
Mitten im Bundestaat Pará in Amazonien liegt die Präaltur Xingu von Erwin Kräutler. Dieses Bistum ist mit 360.000 Quadratkilometer vier Mal so groß wie Österreich und das flächenmäßig größte Brasiliens. Das Bistum erstreckt sich vom Bundesstaat Amapá im Norden bis in den Bundesstaat Mato Grosso im Süden.
Im Hintergrund meiner Entscheidung für den Xingu stand die Spiritualität unserer Kongregation „vom Kostbaren Blut“. Ich habe diese nie nur als eine Andacht, als bloße Verehrung des kostbaren Blutes Jesu verstanden. Die Spiritualität meiner Kongregation gründete für mich im Johannesevangelium, Kapitel 13, Vers 1: „Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, liebte er sie bis zur Vollendung.“ Griechisch steht hier „eis telos“. Das heißt nicht nur bis zum chronologischen Ende, sondern „bis zum Äußersten“. Das letzte Wort Jesu am Kreuz im Johannesevangelium hat genau dieselbe Wurzel. Wir übersetzen das mit „Es ist vollbracht“, aber das griechische „tetelestai“ ist so zu umschreiben: Jetzt ist mein Leben bis ans Äußerste gelangt. Genau diese beiden Verse, Joh 13,1 zusammen mit Joh 19,30, sind für mich die Basis der Spiritualität unserer Gemeinschaft. Das Blut ist Zeichen des Bundes und der Hingabe bis zum Letzten. Dazu gehört auch die Stelle im Ersten Johannesbrief 3,16: „Daran haben wir die Liebe erkannt, dass er sein Leben für uns eingesetzt hat. Auch wir sind es schuld, unser Leben für die Schwestern und Brüder einzusetzen.“ Man kann von unserer Kongregation tatsächlich sagen: Sie hat sich entschieden, an den Xingu zu gehen, weil niemand dorthin wollte.
Der in Deutschland geborene Bischof von Santarém, Dom Amando Bahlmann OFM (1862–1939), war in den 1920er Jahren nach Europa gekommen und hatte Seelsorger für den Xingu gesucht. Der Xingu hatte den Ruf, eine Region wilder Indios und fauchender Leoparden und dazu noch von allen möglichen Tropenkrankheiten verseucht zu sein. Da wollte niemand hin. Aber unsere Kongregation hat sich entschieden, die Region am Xingu seelsorglich zu betreuen. Das war am Anfang sehr hart. Mehrere junge Priester starben nach wenigen Jahren. Malaria und andere Krankheiten haben sie dahingerafft. Es gab kaum Medikamente dagegen. Ich fühle mich mit diesen Mitbrüdern aus unserer Gemeinschaft, die ihr junges Leben hingegeben haben, sehr verbunden.
Damals gab es am Xingu keine anderen Priester als meine Mitbrüder von der Kongregation. Ich habe Pater Fritz Tschol von St. Anton am Arlberg erst in Brasilien kennengelernt. Er ist inzwischen 85 Jahre alt. Bald ans Herz gewachsen ist mir auch Bruder Hubert, der später einem Mordanschlag zum Opfer fallen sollte. Er war ein guter Mensch und ein Faktotum. Er hat von der Automechanik bis zum Buchdruck alles gemacht. Ein Ordensbruder, wie er im Buche steht. Als er ermordet wurde, sind sehr viele Menschen gekommen, um sich von ihm zu verabschieden, auch viele, die ich nie in einer Kirche gesehen habe. Viele von ihnen gehörten zu einer anderen Glaubensgemeinschaft. Bruder Hubert hatte nie nach dem Glaubensbekenntnis gefragt. Er hat geholfen, wo Hilfe nötig war.
Altamira, der Bischofssitz der Prälatur Xingu, war 1965 eine Kleinstadt mit vielleicht 5000 Einwohnern. Während der Woche ist seelsorglich – so wie man Seelsorge damals verstanden hat – nicht viel los gewesen. Die priesterliche Tätigkeit hat sich auf Freitag, Samstag, Sonntag konzentriert. Daher habe ich angefangen, in der Lehrerbildungsanstalt zu unterrichten, weil sie dort dringend Lehrer brauchten. Die Ordensschwestern sind zu mir gekommen und haben gesagt: Du hast doch studiert, du kannst doch unterrichten. Ich habe gesagt, ich habe Philosophie gemacht. Sie wollten wissen, ob da Psychologie auch dabei gewesen sei. Ich habe gesagt, ja selbstverständlich, ich habe ein Diplom. Damit bekam ich auch gleich meine Unterrichtsfächer anvertraut: Erziehungsphilosophie und Erziehungspsychologie. Für mich war das eine der schönsten Zeiten meines Lebens. Ich habe mit meinen Schülerinnen und Schülern eine sehr enge Verbindung gehabt. Mit vielen besteht sie heute noch, auch wenn sie längst Omas und Opas sind. Meine Jugendarbeit als Priester hat dort begonnen und meine Erfahrungen aus der KAJ haben mir dabei sehr geholfen.
Als junger Priester in die „Mission“ gesandt
Ich bin im November 1965 in Brasilien in eine Kirche und eine Seelsorge hineingekommen, die stark vom Sakramentalismus geprägt war. Ich erinnere mich an den 27. Dezember 1966. Da habe ich den ganzen Tag lang die Taufe gespendet, nach dem alten Ritus, der noch viel länger gedauert hat. Am Morgen feierte ich dazu noch den Gottesdienst, um 5 Uhr Nachmittag war eine Prozession und am Abend gab es einen weiteren Gottesdienst, und zuvor noch Beichtgelegenheit. Gegen 22 Uhr bin ich ins Pfarrhaus gekommen und habe zum Bischof gesagt: Dom Clemente, ich bin absolut nicht mehr in der Lage, mein Brevier zu beten. Da hat er geantwortet: Für heute bist du dispensiert, heute hast du wirklich viel für das Reich Gottes gearbeitet. 104 Kinder sind getauft worden, sind zu Christen geworden.
Für mich war das ein großer Frust. Nicht die Taufen als solche, aber die Art und Weise, wie wir sie gespendet haben, gleichsam in einer Massenabfertigung. Die Kinder waren zum Teil schon zwei, drei Jahre alt. Sie waren sehr unruhig, und Eltern und Paten waren kaum auf die Taufe vorbereitet. Es hat einfach zum guten Ton gehört, dass man die Kinder taufen lässt. Die Taufpaten wurden oft im Schnellverfahren angeheuert. Ich habe mir gedacht: Diese Menschen kommen aus dem Busch, tagelang sind sie hierher gerudert, und dann gehen sie zurück und haben das ganze Jahr lang keine Gemeinschaft, keine christliche Gemeinde. Das kann es nicht sein! Sakrament ja, aber da muss eine Gemeinde dahinterstehen.
Bis 1967 sind wir Priester im Talar aufgetreten. Wir waren irgendwie abgehoben von den Menschen. Eines Tages haben wir von Strömungen in der Nachbardiözese Santarém erfahren, dass sie mit den Leuten eine Gemeindearbeit aufbauen wollten. Schon 1968 kam mit der Bischofsversammlung von Medellín der Ankick. Medellín war ein Meilenstein für Lateinamerika und die Bischöfe von Amazonien waren die ersten, welche die Beschlüsse von Medellín konkretisieren wollten. Das geschah zunächst 1972 in der wegweisenden Versammlung der Bischöfe Amazoniens in Santarém. Wir hatten erlebt, dass das Konzil bei der Versammlung der lateinamerikanischen Bischöfe in Medellín in die konkrete Realität von Lateinamerika übertragen wurde. Jetzt sollten die Richtlinien von Medellín auf die Situation von Amazonien angewendet werden. Im Grunde ging es um die Frage, wie wir das Konzil in Amazonien verwirklichen können.
Um diese Zeit, Anfang der 1970er Jahre, wurde die Transamazônica quer durch den Urwald geschlagen. 1972 ist auch der CIMI (Conselho Indigenista Missionário) gegründet worden, der Rat der Brasilianischen Bischofskonferenz für die indigenen Völker. Da ging es schon sehr stark um einen gemeinsamen Weg mit den indigenen Völkern und darum, dass wir nicht gekommen waren, um diese Völker zu missionieren, sondern um das Evangelium in ihrer Mitte „Fleisch werden“ zu lassen. Es ging um eine „Inkarnation“. Es ging darum, den indigenen Völkern, die immer am Rande der Gesellschaft waren, damals wie heute, die frohe Botschaft zu verkünden, gemäß dem Missionsdekret des Konzils: „Die Kirche ist von Christus gesandt, die Liebe Gottes allen Menschen und Völkern zu verkünden und mitzuteilen“ (AG 10). Was heißt das, Menschen am Rande, die gleichsam schon vom Tod gezeichnet sind, die Liebe Gottes zu verkünden und mitzuteilen?
Die Transamazônica hat dem Lebensraum dieser Völker große Wunden geschlagen. Das war der erste Großangriff auf Amazonien. Und zwar ganz bewusst. Die Militärregierung betonte, es handle sich um ein strategisches Projekt, weil Amazonien die Achillesferse für die Verteidigung von Brasilien sei. Daher wurden gleichzeitig große Kasernen an der Transamazônica gebaut, eine davon in Altamira, auf einer Anhöhe mit einem entzückenden Blick auf den Xingu.
Welche Einstellung die Regierung zu den indigenen Völkern hatte, zeigte ein Ausspruch des brasilianischen Präsidenten der damaligen Militärdiktatur, Emílio Garrastazu Medici. Er sprach von Amazonien als Land ohne Leute. Die indigenen Völker waren für ihn nicht vorhanden. Tatsache ist aber, dass die indigenen Völker die ältesten Bewohner von Brasilien sind. Sie haben wohl keine Hochkultur gehabt wie die Inkas oder die Azteken. Sie waren Sammler und Jäger. Aber bis heute erinnern Felsenmalereien, Höhlenmalereien in unserem Bundesstaat