Erwin Kräutler

Mein Leben für Amazonien


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angefragt, ob ich dort wirklich unterrichte und was ich sonst täte und sei. Auch der Bürgermeister von Altamira erhielt eine Anfrage. Der war natürlich voll des Lobes über mich. So bekam ich schließlich 1978 den Bescheid, dass ich im Falle der Annahme der brasilianischen Staatsbürgerschaft die österreichische behalten dürfe.

      In Brasilien war damals noch die Militärregierung am Ruder. Das war ein wenig gefährlich, weil ich Priester war. Ich musste zu einer Befragung durch einen Militär. Der hat mich ausgefragt, welche Literatur ich lese, was meine Hobbys sind. Da habe ich von Musik geredet, von Mozart und Salzburg, wo ich studiert hatte. Schließlich fragte er: „Was sagen Sie zu Che Guevara?“ Er wollte sichergehen, dass ich kein Marxist bin. Ich habe geantwortet, dass ich gegen jede Art von Gewalt sei. Das hat ihn dann überzeugt. Schlussendlich wollte er noch wissen, ob ich verheiratet sei. – Nein. – Ob ich Kinder hätte? – Nein. – Er fragte, wo ich lebe und wohne. Ich wollte absolut nicht, dass er daraufkommt, dass ich Priester bin, denn wahrscheinlich wäre zur Zeit der Militärdiktatur mein Ansuchen um die brasilianische Staatsbürgerschaft deshalb im Archiv gelandet. So sagte ich einfach: „Bei den andern.“ Damit war das Gespräch zu Ende.

      Am 7. Juli 1978 habe ich dann die brasilianische Staatsbürgerschaft erhalten. Das wurde im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Ich habe seither alle Rechte als Brasilianer, ich könnte Senator werden oder Minister, ich kann nur nicht Präsident werden und ich dürfte nicht in der ersten Klasse Volksschule unterrichten, weil man meint, dass ich wegen meiner Herkunft nicht akzentfrei Portugiesisch sprechen könnte. Allerdings sagen die Leute nie, dass ich einen Akzent hätte. Viele meinen, ich sei aus Santa Catarina, Paraná oder Rio Grande do Sul, und wundern sich, wenn ich sage, ich sei in Österreich geboren. – Das gibt es nicht, Sie sprechen ja akzentfreies Portugiesisch!

      Die harte Lehre, durch die ich sprachlich gegangen bin, hat sich gelohnt. Die Ordensschwester, die mich Portugiesisch gelehrt hat, meinte gleich zu Beginn des Unterrichts: Du wirst so reden, wie die Leute hier reden. Sie hat mich einzelne Worte so lange wiederholen lassen, bis die Aussprache perfekt war. Dann bin ich ja bald an die Schule gekommen und ich habe die Schülerinnen und Schüler sofort gebeten: Bitte, wenn ich einen Fehler mache, dann sagt mir das sofort. Denn in Brasilien ist es taktlos, jemanden auf einen sprachlichen Fehler aufmerksam zu machen. Wir reden in Amazonien ein schöneres Portugiesisch als die Brasilianer im Süden. Denn die haben alle einen Akzent, einen italienischen, einen deutschen oder den einer anderen Nationalität.

      Die vier Wünsche an den Bischof Erwin

      Erfreulicherweise darf ich sagen, dass meine Ernennung zum Bischof ganz so gelaufen ist, wie es im Kirchenrecht vorgesehen ist. Der Nuntius hatte eine Befragung in der ganzen Prälatur durchgeführt. Ich wurde dann durch ein Telegramm in die Nuntiatur gerufen. Ich sollte am 31. Oktober 1980 um 11.30 Uhr dort erscheinen, habe aber nicht gewusst, warum. Ich wusste nur, dass in der Prälatur eine Umfrage durchgeführt worden war, wer Bischof werden solle. Der Nuntius war ein Neapolitaner und schon ein alter Mann. Er hat mir einen Scotch servieren lassen, einen Brief aus seiner Rocktasche gezogen und gesagt: Für Sie! Ich habe den Brief gelesen, und das war die Ernennung zum Bischof am Xingu. Ich war überrascht, ja einigermaßen erschrocken. Der Nuntius erwiderte, der Heilige Vater vertraut auf Sie, bitte nehmen Sie die Ernennung an. Mir verschlug es die Stimme und ich ließ den Scotch stehen. Wahrscheinlich hat ihn inzwischen jemand abserviert.

      Auf meinen Einwand, ich möchte schon vorher mit meinen Mitbrüdern darüber reden, antwortete der Nuntius, das habe er bereits im Vorfeld getan. Er habe Priester, Ordensfrauen und Laien befragt, und die Antwort sei eindeutig gewesen: Alle stünden hinter mir. Der Nuntius meinte, ich solle in die Kapelle gehen, eine Stunde beten, und dann zurückkommen und unterschreiben. Da habe ich ihm gesagt: Wenn das ohnehin so fix ist, dann unterschreibe ich lieber gleich und kann mich dann in Ruhe dem Gebet widmen.

      Als ich nach Altamira zurückkam, fragten mich die Leute: Was hast du in Brasilia getan? Ich hatte aber Schweigepflicht bis zum 12. November, also fast zwei Wochen lang. Am 7. November ist die Ernennung im Vatikan offiziell erfolgt, aber erst am 12. November, 8 Uhr früh in Rom, 12 Uhr in Brasilien wurde sie veröffentlicht.

      Da saß ich nun in Altamira und wusste nicht, wie mir war und was ich tun sollte. Gott sei Dank kam mir plötzlich eine Idee: Am besten wird es sein, du fragst die Leute. Ich berief also eine Versammlung ein und lud dazu die Priester ein, die Vertreterinnen und Vertreter der Ordensgemeinschaften und weitere Frauen und Männer aus den Gemeinden. In Gruppenarbeit überlegten und formulierten diese meine Leute ihre Wünsche an den soeben ernannten Bischof. Im Wesentlichen waren das vier Punkte:

      imageDie Priester wollten, dass ich auch als Bischof der Pater Erwin bliebe, den sie seit Jahren kennen. Sie wollten keinen Bischof als höheres Wesen, sondern wünschten, dass ich meinen umgänglichen Stil beibehalte.

      imageAls Zweites wollten die Priester und Ordensleute, dass ich eine freundschaftliche Beziehung mit ihnen pflege. Sie wünschten sich, dass ich ihr Mitbruder bleibe, der ihnen keine Hirtenbriefe schreibt, sondern das Miteinander und die gemeinsame Verantwortung für die Kirche fördert und lebt.

      imageDie Laien haben mich mit ihrem Wunsch ganz besonders überrascht. Sie wünschten sich, dass ich ein betender Bischof sei, ein Mann Gottes. Sie wollten, dass ich ihnen ein Beispiel dafür gebe, dass für mich als Bischof Gebet, Meditation und Kontemplation das Fundament unserer Arbeit sein muss.

      imageDie Laien wünschten sich auch, dass ich kein Schreibtisch-Bischof sei, sondern hinausginge in ihre Gemeinden, damit ich am eigenen Leib erfahre, was sie in ihrem Alltag erleben. Ich möge mit ihnen zusammen sein und sie anhören, damit ich ihre Lebenssituation besser verstehen könne.

      Das war für mich ein klarer Auftrag. Es wäre ohnehin nicht meine Art gewesen, mein Bischofsamt vom Schreibtisch aus auszuüben. Ich habe daher schon kurz nach der Weihe die ersten Termine in den Gemeinden wahrgenommen. Ich bin am 25. Jänner geweiht worden und nahm gleich Anfang Februar an meiner ersten Bischofskonferenz teil. Aber anschließend bin ich bald hinausgegangen in die Gemeinden.

      Heute ist mein Verhältnis zu den jungen Priestern und Ordensleuten naturgemäß ein bisschen anders als damals zu meinen gleichaltrigen Mitbrüdern. Die heute Jungen könnten ja meine Kinder sein. Für sie bin ich der Bischof, 1983 war ich für meine Mitbrüder der Erwin. Aber ich habe als Bischof nur selten wirklich eingreifen müssen. In zwei Fällen ist es um den Vorwurf pädophiler Tendenzen gegangen. Ich machte den beiden klar, dass sie als Priester fehl am Platz sind, und habe sie sofort suspendiert. In einem Fall kam der Priester vor Gericht. Ein einziges Mal ist es um eine seelsorgliche Frage gegangen, weil ein Mitbruder unbedingt ein deklariertes Mitglied einer Sekte als Taufpate zulassen wollte. Ich habe gewusst, dass dieser Herr die katholische Kirche immer wieder auf die gemeinste Art angriff. Die ganze Pfarrgemeinde stand kopf und verurteilte die Entscheidung des Pfarrers. Ich habe versucht, dem Mitbruder klarzumachen, dass es unlogisch sei, einen Taufpaten zu wählen, der den katholischen Glauben mit allen Mitteln bekämpfe. Er hat meine Argumente leider nicht verstanden. Da musste ich wirklich Klartext reden.

      Eine der schönsten Erfahrungen, die ich in meinem Leben machte, war die Art und Weise, wie mich die indigenen Völker angenommen haben. Meine kirchliche Heimat sind die kleinen Gemeinden. Ich bin nur drei Monate im Jahr am Bischofssitz in Altamira. Sonst bin ich immer unterwegs. Ich fühle mich unendlich wohl in diesen kleinen Gemeinden. Ich spüre, dass die Leute ihren Bischof gern mögen. Diese herzliche Verbundenheit ist für mich sehr wichtig – bis dahin, dass sie naturgemäß als Lateinamerikaner auch gern den Bischof parodieren. Was ich je gesagt oder getan habe, wird mit einer derartigen Fantasie ausgeschmückt, dass ich mich nur wundern kann. Aber nicht negativ. Manche können mich in einer Weise perfekt parodieren, dass ich selbst eingestehen muss: Ja, so rede und gestikuliere ich. Man redet ja in Amazonien viel mit Gesten, die Hände gehen beim Sprechen wie von selbst mit, viel mehr als in Europa, und