Es müssen keine Polizisten auf weißen Motorrädern vor ihm herfahren. Ich bin auch überzeugt, dass wir in der Liturgie viel einfacher werden sollten, dass wir vom Thron heruntersteigen sollten. Für mich persönlich ist schon die Mitra ein Widerspruch zu meinem Leben als Bischof. Was sagt die Mitra wirklich theologisch aus? Ich habe noch nie einen Zugang dazu gehabt. Ich weiß, das Brustkreuz des Bischofs ist ein Kreuz, der Stab ist ein Hirtenstab, der Ring symbolisiert wie ein Ehering einen Bund, den Bund mit meiner Diözese. Aber die Mitra sagt mir gar nichts. Sie scheint eine mehr oder weniger nostalgische Reminiszenz an die Zeit des Cäsaropapismus zu sein. Ich setze sie auch nicht mehr auf, höchsten wenn alle Bischöfe bei einer Bischofskonferenz die Mitra aufhaben. Da komme ich dann schwer drum herum. Der Erzbischof von Belém bringt mir bei solchen Anlässen immer auch gleich ein Solideo mit, die violette Kopfbedeckung des Bischofs, und er erklärt mir auch immer diese mitbrüderliche Geste: Ich weiß, dass der Bischof von Xingu immer darauf vergisst. Dann setze ich das halt auf. Ich will ja keine Grundsatzdiskussion vom Zaun brechen, wo es keinen Sinn macht.
Als ich ein junger Bischof war, hat mir ein Nachbarbischof – er ist längst emeritiert – gesagt, Erwin, ich weiß, das ist nicht unbedingt in deinem Sinn, aber du musst die Mitra aufsetzen. Das Volk will das. Da habe ich dann tatsächlich bei einer Firmung in einer kleinen Gemeinde im Busch die Mitra aufgesetzt. Das war – außer bei meiner Weihe – das erste und das letzte Mal. Die Leute haben mich unverwandt und verwundert angeschaut. Seit Jahren kannten sie mich als Pater Erwin, und jetzt wirkt er plötzlich ganz anders. Ich habe mir damals gedacht, nein, das tue ich nie mehr.
Ein Bischof braucht bestimmte Insignien nicht. Seine Autorität ist nicht, vom bischöflichen Thron aus zu regieren, Normen und Gesetze zu erlassen, sondern seinem Volk, wo immer es ist, zu dienen, sich für das Volk Gottes einzusetzen, für sein Volk zu beten, ihm sein Leben zu widmen. Seine Autorität besteht im Dienst am Volk Gottes. Ich wurde geweiht, um Distanzen zu überwinden, nicht über dem Volk zu sein, sondern mit dem Volk, unter dem Volk, für das Volk da zu sein. „Aus den Menschen ausgewählt und für die Menschen eingesetzt zum Dienst vor Gott“, heißt es im Hebräerbrief 5,1. Dazu braucht es keinen besonders ausgeklügelten Ornat. Wer von der Abgehobenheit eines Thrones die Herde führen und leiten will, wird nie ein Hirte mit dem „Geruch der Schafe“ sein, wie es sich Papst Franziskus wünscht. „Weidet die Herde Gottes bei euch, nicht gezwungen, sondern freiwillig, nicht aus schnöder Gewinnsucht, sondern aus Zuneigung, nicht als Herrscher über die euch zugewiesenen Seelen, sondern als Vorbilder der Herde!“, heißt es im Ersten Petrusbrief 5,2–3.
Die Leute fragen mich als Bischof, was ich über dieses oder jenes denke. Sie wollen von mir Orientierungshilfen, sie fragen, ob ich einen Vorschlag habe, wie sie manches besser machen könnten, oder sie sagen ganz klar, wir erwarten von dir als Bischof, dass du dort oder dort für uns vorstellig wirst und uns verteidigst. Es gibt keine Gemeinde, in die ich komme, in der die Leute nicht erzählen, was sie erleben, wie es bei ihnen läuft, wo sie der Schuh drückt. Dann fragen sie: Bischof, was sagst du dazu? Wobei die Älteren nicht wirklich du zu mir sagen, aber bei den jungen Leuten wird das schon ganz selbstverständlich.
Meine Erfahrungen „ad limina“ in Rom
Ich war als Bischof 1985, 1990, 1995, 2003 und 2010 in Rom. 1985 und 1990 war Papst Johannes Paul II. noch jung, 2003 habe ich ihn das letzte Mal gesehen, da war er schon sehr von seiner Krankheit gezeichnet. Als ich 1985 das erste Mal bei ihm in Privataudienz war, da hat Johannes Paul II. eine riesige Landkarte vor sich gehabt und mich gefragt, wo denn meine Diözese sei. Ich bin mit dem Zeige- und Mittelfinger vom Amazonas hinuntergefahren bis Mato Grosso. Da hob der Papst die Arme und rief aus: „Troppo grande“, viel zu groß. Dann hat er mich gefragt, wie viele Priester ich hätte. Damals waren es 16. Da hat er gemeint, „troppo pochi“, viel zu wenige“. Er hat gefragt, ob ich Ordensleute hätte. Ich sagte, ja, alle zusammen seien es an die 40. Da meinte er, das sei auch viel zu wenig.
Dann stellte mir Johannes Paul II. die berühmte Frage: „Come fa?“, wie machst du das? Ich habe gesagt: „Ci sono anche i laici“, es gibt auch die Laien. Er erwiderte darauf: Meinst du damit die Basisgemeinden? Ich entgegnete, das Wort Basisgemeinden sei nicht ganz vollständig, es handle sich um „kirchliche“ Basisgemeinden. Sie seien der Ort, wo die Kirche lebe. Dann hat er mir gesagt: Machen Sie weiter so! Das war 1985. Zwei Jahre zuvor hatte mich die Militärpolizei niedergeschlagen. Ich weiß nicht, ob der Papst davon je erfahren hatte. Aber Johannes Paul II. hat mir auf die Schulter geklopft und gesagt: Gehen Sie Ihren Weg weiter. Wenn sich nicht die Kirche auf die Seite der Armen stellt, wer wird es dann tun?
Der Erzbischof von Rio de Janeiro, Kardinal Eugênio de Araújo Sales, der als sehr konservativ bekannt war, ist nach diesem Ad-Limina-Besuch im Jahr 1985 zurückgekommen und hat in den Medien erklärt, der Nachfolger Petri habe ihn in seinem Weg bestätigt. Da haben viele gedacht, na gut, es ist also der erzkonservative Weg, den der Papst bestätigt hat. Ich war im Unterschied zum Erzbischof von Rio damals mit 46 Jahren ein junger Kerl, erst vier Jahre Bischof. Aber wo immer ich in Kreisen der Bischofskonferenz, auch der regionalen Bischofskonferenz von Amazonien, gefragt wurde, wie es in Rom gewesen sei, habe ich gesagt: Ich kann mit großer Freude und mit dem Ausdruck tiefer Dankbarkeit berichten, dass Papst Johannes Paul II. mich auf meinem Weg, den ich mit dem Volk Gottes am Xingu gehe, bestätigt hat. Er hat mir gesagt, gehen Sie diesen Weg weiter. Damit war der Eindruck aus der Welt geschafft, dass der Papst nur den konservativen Weg bestätigt hätte.
Beim Ad-Limina-Besuch 1990 hat Johannes Paul II. mir dann nicht mehr gesagt, gehen Sie Ihren Weg weiter, sondern tragen Sie Ihr Kreuz weiter. Bei den weiteren Besuchen in Rom hat mir der Papst nichts ausdrücklich Persönliches mehr gesagt. Im Jahr 2003 war Johannes Paul II. schon so krank, dass er mir leid getan hat. Ich hätte eine Viertelstunde Zeit gehabt für das Gespräch mit ihm. Aber er war alt und krank, zittrig, erschöpft und ausgelaugt. Da hätte ich es als Zumutung empfunden, wenn ich ihn mit meinen Ausführungen belästigt hätte. Ich habe ein paar Worte auf Polnisch gesagt, und er war ganz glücklich. Wo ich denn Polnisch gelernt habe, wollte er wissen. Da habe ich ihm erzählt, dass einmal ein polnischer Priester in meiner Diözese gewesen sei, und von dem hätte ich ein paar Worte gelernt. Da fragte der Papst: „Ein guter Priester?“ Ich habe ihm jedoch nicht erzählt, dass diese Einschätzung nicht ganz zutreffend war …
In den Jahren, als er gesundheitlich noch rüstig war, hat Johannes Paul II. uns Bischöfe „ad limina“ immer zum Mittagessen eingeladen. Ich bin ihm einmal gegenübergesessen, weil ich am längsten im Amt gewesen bin. Da war er sehr aufgeweckt. Ich habe damals noch geschnupft und meine Mitbrüder haben gemeint: Wetten, du traust dich nicht, dem Papst eine Prise anzubieten. – Ohne weiteres, was gilt es? Dann bin ich hingegangen, habe meine Schmupftabakdose geöffnet und habe den Papst gefragt: Eine Prise gefällig? Er lachte: Va bene, va bene! Im Hinblick auf seine weiße päpstliche Soutane sei es wohl nicht angeraten, zu schnupfen. Aber ich hatte die Wette gewonnen und die Flasche Wein haben wir miteinander getrunken.
Bei meinem bislang letzten Ad-Limina-Besuch bei Papst Benedikt XVI. im Jahr 2010 gab es das gemeinsame Mittagessen nicht mehr und auch nicht den gemeinsamen Gottesdienst in der Früh. Das wesentliche Novum war aber, dass er nicht jeden Bischof einzeln empfangen hat, sondern wir waren bei der Privataudienz fünf Bischöfe. Man hat uns angewiesen, nicht auf den Papst zuzugehen, sondern einfach Platz zu nehmen. Es war am Geburtstag von Benedikt XVI. Da habe ich mir gedacht, ich kenne den Papst von früher. Heute hat er Geburtstag und kein Mensch wird mir verbieten können, ihm zu gratulieren. So bin ich, als wir hineingegangen sind, zu ihm hingegangen, habe ihm die Hand geschüttelt und ihm zum Geburtstag gratuliert: „Alles Gute!“, und habe ihn gefragt „Wie geht es Ihnen?“ Er hat gemeint, wie es in seinem Alter eben so gehe.
Das war natürlich völlig neben dem Protokoll. Aber dann ging es wie geplant weiter. Wir haben Platz genommen, er war sehr herzlich, saß da auf seinem Thron, und wir links und rechts davon, andächtig in der Reihe. Jeder hat etwas gesagt. Ich habe mir herausgenommen, deutsch zu sprechen, und berichtete ihm, dass es Gemeinden am Xingu gibt, die nur zwei oder drei Mal im Jahr das Privileg haben, die Eucharistie feiern können. Ich habe das auch schriftlich in meinem Bericht festgehalten, dass es für mich sehr schwer verständlich sei, dass die Leute de facto von der Eucharistie ausgeschlossen seien. Und Jesus hat doch den