»Die Möglichkeit sollte man auf keinen Fall ausschließen«, räumte Josuah Parker ein. »Vielleicht klären die Dinge sich von allein. Es könnte durchaus sein, daß sie dem Ferienhaus einen weiteren Besuch abstatten werden.«
Parker hielt sich nicht genau an die erlaubte Höchstgeschwindigkeit, als er seinen hochbeinigen Wagen zu-rück zum spitzgiebligen Fachwerkhaus lenkte. Die Straße dorthin schlängelte sich durch sanft hügeliges Ge-lände. So sehr Parker sich aber auch beeilte, der VW war weit und breit nicht zu entdecken. Er schien einen anderen Weg genommen zu haben.
Im Ferienhaus angekommen, bereitete der Butler erst mal den unvermeidlichen Tee, den er stilvoll servier-te. Danach begab er sich hinauf ins Dachzimmer und bemühte das Teleskop. Er verbrachte einige Zeit damit, das Castle und auch die nähere Umgebung des alten Gemäuers genau zu beobachten. Er suchte sehr gründ-lich die nahe gelegenen Klippen und Mulden ab.
»Hoffentlich bringen Sie gute Nachrichten?« erkundigte sich Agatha Simpson, als Parker in den großen Wohnraum zurückkehrte.
»Mylady werden zufrieden sein«, antwortete der Butler steif und würdevoll. »Das Schloß wird offen-sichtlich gelüftet. Es gibt kein Fenster, das nicht weit geöffnet ist.«
»Ihre Chemikalie scheint recht wirkungsvoll zu sein.« Lady Simpson lächelte schadenfroh.
»Ich möchte keineswegs übertreiben, Mylady«, entgegnete der Butler, »aber die Hersteller sind der An-sicht, daß selbst das oft zitierte Stinktier sich erschreckt zurückzieht, wenn es von den Düften dieser Chemi-kalie erreicht wird.«
»Sehr schade, Mister Parker, daß ich Waters jetzt nicht beobachten kann«, bedauerte Agatha Simpson. »Aber ich denke, ich werde ihn anrufen und mich nach seinem Befinden erkundigen.«
*
Stephan Waters litt deutlich unter Übelkeit und Brechreiz.
Die widerlichen Düfte hatten sich in dem Castle festgesetzt und hafteten wie zäher Leim an allen Wän-den. Schwefelwasserstoff, erfahrungsgemäß nach faulen Eiern riechend, war gegen diesen Geruch fast noch ein Parfüm.
Waters hatte sich auf die Plattform eines der kleinen Türmchen zurückgezogen und ließ sich von der fri-schen Seebrise auslüften. Ein Aufenthalt in den Schloßräumen war so gut wie unmöglich, obwohl sämtliche Fenster weit geöffnet waren.
Seine drei Jungprofis standen auf dem Wehrgang und schnappten ebenfalls nach frischer Luft. Auch sie sahen mitgenommen und bleich aus. Sie hatten sich wie ihr Chef häufig übergeben und verfluchten das alte Gemäuer, aus dem es vorerst kein Entrinnen gab.
Waters war, was seine Widerstandskraft anbetraf, knieweich geworden.
Da war ihm zuerst mal die Energieversorgung in die Luft gejagt worden. Dann hatte man ihn mit diesen teuflischen Knallen traktiert. Und jetzt dieser penetrante Gestank! Ganz zu schweigen von den Schüssen aus dem Hubschrauber. Er fühlte sich umstellt, belauert, auf der Abschußliste. Die Festung, die er für unein-nehmbar gehalten hatte, war brüchig geworden. Selbst dicke Mauern schützten nicht mehr vor List und Ein-fallsreichtum.
Waters zuckte zusammen, als der Wind ein wenig drehte und wieder den pestilenzartigen Gestank herauf auf die Plattform drückte. Der Mann hielt sich die Nase zu und kämpfte mit Übelkeit. Er hörte unter sich Stöhnen und schnelle Schritte.
Die drei Jungprofis waren von dem Gestank ebenfalls betroffen worden und wechselten schleunigst ihren Standort. Sie trabten im Schweinsgalopp zur anderen Seite der Umfassungsmauer.
Der ehemalige Gangsterchef kam zu dem Entschluß, sich wirklich mit dem Syndikat in Verbindung zu setzen. Schön, er war bereit, eine gewisse, nachträgliche Zahlung zu leisten, nur um endlich seine Ruhe zu haben.
Er pumpte sich noch mal voll mit halbwegs frischer Luft und wollte gerade die Mauerzinne verlassen, als dicht neben Ahm ein Geschoß aufschlug und als Querschläger davonzwitscherte.
Waters ging sofort in volle Deckung und verzichtete darauf, nach dem Schützen Ausschau zu halten. Der Trick und die Absicht waren ja klar. Zuerst hatte man ihn und seine Leibwächter ausgeräuchert und aus den schützenden Mauern getrieben. Und nun sollte er und seine Profis der Reihe nach abgeschossen wergen. Raffinierter ging es ja wohl nicht.
Waters kroch zur Treppe und begab sich notgedrungen hinunter in den Bereich der üblen Stinkstoffe. Er hatte gerade einen Verbindungskorridor erreicht, als er das Läuten des Telefons hörte.
Sich weiterhin die Nase zuhaltend, schwankte er durch den Gestank hinüber in den großen Raum und nahm den Hörer ab.
»Waters«, meldete er sich.
»Lady Simpson wünscht Sie zu sprechen«, hörte er die gemessene, kühle Stimme eines Mannes, die nur zu diesem verdammten Butler gehören konnte.
»Hören Sie, hören Sie genau zu, Parker«, schrie Waters aufgebracht. »Ich werde mit dem Syndikat ver-handeln, haben Sie mich verstanden? Stellen Sie die verdammte Schießerei ein! Ich werde verhandeln, haben Sie mich verstanden?«
»Lady Simpson«, gab Parker zurück, worauf die angeregte Stimme von Mylady zu hören war. »Wie geht es Ihnen? Sehen Sie jetzt endlich ein, Sie Flegel, daß man eine Agatha Simpson nicht unbestraft beleidigt?«
»Hören Sie, Mylady«, flehte Waters und würgte diskret. »Ich werde mit dem Syndikat verhandeln. Ich hab’ die Nase voll …!«
»Das kann ich mir gut vorstellen«, lautete Agatha Simpsons Antwort, »doch ein paar Dauerlüftungen, und schon werden Sie sich wieder wohl fühlen …«
»Der Gestank bringt mich um«, keuchte Waters.
»Das kommt davon, wenn man auf harmlose Touristen schießt«, tadelte die Detektivin, »und wenn man sich um die Erstattung von 45 Pfund drückt …«
»Sie haben doch zuerst geschossen«, näselte Waters aufgebracht, da er sich wieder die Nase zuhalten mußte.
»Sie sind nicht nur ein ausgemachter Flegel, sondern dazu auch noch ein schamloser Lügner«, grollte Lady Simpson.
»Und wer hat da eben erst auf mich geschossen?« Waters fächelte sich Luft zu, denn der Gestank im Zimmer wurde unerträglich.
»Geschossen?« Agatha Simpsons Stimme klang erstaunt.
»Tun Sie doch nicht so«, krächzte Waters, »vor ein paar Minuten … Ich hab? doch nicht geträumt …«
Bevor Waters sich weiter über dieses Thema ergehen konnte, klickte es in der Leitung, Agatha Simpson hatte aufgelegt. Wogegen Waters nichts einzuwenden hatte. Er warf seinerseits den Hörer in die Gabel und taumelte benommen zum Fenster, wo er seine Lungen einigermaßen mit frischer Luft füllte. Dann eilte er zurück zum Apparat und wählte die Nummer eines Mannes in London, von dem er sehr genau wußte, daß er einen direkten Draht zum Syndikat besaß.
Was Waters diesem Mann zu sagen hatte, klang reichlich konfus. Einmal, weil ihm zwischendurch immer wieder schlecht wurde, zum anderen aber auch, weil er sich aus diesem Grund nicht so recht zu konzentrie-ren vermochte. Seine hastig hervorgesprudelten Worte und Sätze aber liefen darauf hinaus, daß er Stephan Waters, mit dem Syndikat seinen Frieden machen wollte.
Er erhielt die recht zurückhaltenden Antwort, daß er gegen Abend einen Bescheid erhalten würde.
Waters war froh und ging zurück zum Fenster. Nachdem er sich leicht erholt hatte, hielt er sich die Nase zu und rannte zum Turm. Lieber dort oben auf der Plattform unter Beschuß liegen, als die pestartigen Gerü-che weiter erdulden zu müssen …
*
Parker war diesmal allein.
Er hatte den hochbeinigen Wagen rechts von der Zufahrtstraße zum Castle in einer Bodenfalte zurückge-lassen und lustwandelte gemessen durch das unübersichtliche Gelände, auf der Suche nach dem Schützen, von dem Waters am Telefon gesprochen hatte.
Parker ahnte, daß er es mit jenen zwei Männern zu tun hatte, deren entzündete Augen ihm am Kai in Fal-mouth aufgefallen waren. Diese