dich, David. Ich spüre hier nichts von dem, was wir bei der Quelle wahrgenommen haben. Ich denke nicht, dass sie auf diesem Parkplatz waren.«
Heftig schüttelte er ihre Hand ab. »Und wo ist dann Nina?«
»Höre ich da meinen Namen?«
Die Elfen fuhren herum. Nina kam von einem nahen Hügel auf sie zu.
»Nina! Wir haben uns Sorgen gemacht.«
»Ich war nur auf der anderen Seite dieses Hügels.« Sie zeigte hinter sich. »Kurz nachdem ihr weg wart, hörte ich aus der Richtung Stimmen und bin nachschauen gegangen, wen es an einem so grauen Novembertag hinaustreibt. Der Waldweg zwischen dem Stein und der Stahlstatue führt da hinten hoch. Als ich über den Hügel kam, stieg gerade jemand in ein Auto, wendete und fuhr weg. Ich bin dann noch eine Weile dort sitzengeblieben, weil es so herrlich ruhig war.«
»Hast du gesehen, wer in dieses Auto gestiegen ist?«, fragte Rian alarmiert. Sie konnte nicht erklären, warum – ihr Elfensinn schlug an.
Nina schüttelte den Kopf. »Nicht genau. Ich denke, es war ein Mann, zumindest hat die Stimme männlich geklungen, die ich gehört habe. Er trug so etwas wie einen langen Mantel mit Kapuze. Vielleicht jemand, der Samhain feiert.«
»Samhain?« Rian sah Nina verständnislos an. »Wer feiert hier den Herrn der Totenwelt?«
»Esoteriker«, antwortete Nina mit einem Achselzucken. »Solche Ich-will-wieder-im-Einklang-mit-Natur-und-Kosmos-leben-Typen, die sich aus allerlei mehr oder weniger gut fundiertem Halbwissen über alte Religionen was Eigenes zusammengebastelt haben, das zu ihnen passt. Die meisten sind harmlose Spinner auf der Suche nach etwas Magie für ihr tristes Leben, aber manche von denen sind auch heftig drauf. Dieser Kapuzentyp kam mir so vor wie einer von der heftigeren Sorte, falls er wirklich dazu gehört. Nur so ein Gefühl, aber …« Erneut zuckte sie mit den Achseln.
Rian und David sahen sich an.
Der Getreue war hier, und er war ihnen erneut einen Schritt voraus.
Graue Wolken zogen weiterhin tief über den Himmel, und Nebelfetzen hingen in dem Wald, der den Hügel bedeckte, an dessen Fuß sie einige Zeit später erneut das Auto abstellten. Sie waren nicht die Einzigen, die diesen Parkplatz nutzten, doch das Auto, das Nina beim Lindelbrunnen gesehen hatte, war nicht unter den abgestellten Fahrzeugen.
»Das sind nicht nur Leute aus der Region«, stellte Nina mit einem Blick auf die Nummernschilder fest. »Scheint, als hätte ich mit meiner Vermutung recht gehabt. Hier treffen sich Leute für ein Samhain-Fest.«
Sie sah prüfend zum Himmel auf. »Wenn ihr die Quelle noch sehen wollt, solange es hell ist, solltet ihr euch beeilen.«
»Kommst du nicht mit?«, fragte Rian überrascht.
Nina schüttelte den Kopf. »Ich habe es nicht so mit diesen Typen. Ich war vor einiger Zeit mal mit einem Eso zusammen, und der hatte etwas seltsame Ansichten über unser Zusammenleben. Jedenfalls habe ich seither beschlossen, dass die ihr Leben leben sollen, und ich lebe meines, und am Besten stören wir uns gegenseitig nicht.« Sie winkte ab. »Ich werde mich ein wenig auf der Rückbank hinlegen. Nach der Wegbeschreibung im Internet ist das ab hier ein Fußmarsch von etwa 20 Minuten, plus die Zeit, die ihr da oben verbringt – das sollte reichen für eine ordentliche Mütze Schlaf für mich, von der ich das Gefühl habe, sie im Moment dringend zu benötigen.« Sie lächelte David kurz an. »Wer weiß, was der Abend noch bringt.«
David erwiderte ihr Lächeln und fuhr sich mit der Hand durch das Haar. Nina seufzte und öffnete die hintere Autotür. »Viel Erfolg euch beiden«, sagte sie und winkte kurz, ehe sie einstieg und die Tür hinter sich zuzog.
Die Elfen gingen vom Parkplatz hinunter und an dem einsam gelegenen Wohnhaus daneben vorbei auf den ansteigenden Weg zu, der zwischen Wiesen hindurch zum Waldrand reichte. Dort teilte sich der Weg auf, beide Pfade führten laut den Schildern mit unterschiedlichen Wanderzeiten zum Brunnen. Einer war ein breiter geschotterter Weg, der sich mit sanftem Anstieg am Berg hochwand, der andere ein kürzerer, aber steiler Waldweg.
Da Elfen in der Menschenwelt mit den Füßen den Boden nicht berührten, hatten sie keinerlei Mühen mit Unwegsamkeiten. Sie entschieden sich für den unbefestigten Weg und wanderten zwischen hohen Kiefern über den mit Wurzeln und Steinen durchsetzten Pfad hinauf und in feinen Nebel hinein. Der Waldweg endete, als er mit dem breiten Schotterweg zusammentraf, und nachdem sie diesem ein Stück weit gefolgt waren, tauchte zu ihrer Rechten neben sechs Steinstufen eine riesige Holzstatue auf.
»Verlorener Schatz – Verlorenes Königreich – Verlorene Seelen. Tarnkappen-Alberich«, las Rian von der Plakette vor, die an die Statue genagelt war. Die vier Elfenwesen sahen sich verwundert an.
»Ich habe Alberich gekannt«, sagte Grog grinsend, »und so wie das da sah er bestimmt nicht aus! Schätze, er hätte dieses Monster recht schnell zu Feuerholz verarbeitet. Die Drachenbrüder ließen nicht mit sich scherzen.« Er hauchte einmal in Richtung der Statue, als deute er Feueratem an.
Rian lachte auf. »Nun ja, er wird sich nicht mehr dran stören.«
»Sieht so aus, als wären hier vor kurzem schon andere vorbeigekommen«, sagte David mit Blick auf Spuren, die sich in der feuchten Erde des Weges abzeichneten, der von den Stufen aus in den Wald hineinführte.
»Vermutlich diese Leute, von denen Nina gesprochen hat«, meinte Pirx. »Ich habe Gelächter gehört. Kann also nicht mehr weit sein.«
*
Unruhig wälzte sich Nina auf der schmalen Rückbank herum. Sie war unsäglich müde, und dennoch konnte sie ihre Gedanken nicht zu der notwendigen Ruhe bringen. Immer wieder kehrten sie zu David zurück, zu der Art, wie er sie berührte, und diesem eigenartigen Kribbeln, das sie dabei erfasste.
Und Rian, die so ätherisch wie ein Engel war. Etwas war seltsam an den beiden. Als wären sie ein wenig unscharf, als gehörten sie nicht in diese Welt.
Nina seufzte, setzte sich halb auf und strich einige Strähnen aus ihrem Gesicht. Mit solchen wirren Überlegungen würde sie es ganz gewiss nie schaffen, von David loszukommen. Wenn sie ihn jetzt noch in ihren Träumen zum Elfenprinzen erhob … sie lachte trocken auf. Das würde doch genau zu dem passen, wie er sich gab. Ein magischer Prinz aus einer anderen Welt. Was suchte er hier? Gewiss nicht jemand wie Nina.
Die junge Frau horchte auf. Kies knirschte unter Rädern, ein Motor wurde abgeschaltet. Neugierig hob Nina ein wenig den Kopf, um durch das Seitenfenster hinauszuspähen. Ein paar Autos standen zwischen ihrem Wagen und dem Neuankömmling, sie hörte am Klappen der Türen, dass mehrere Leute ausgestiegen sein mussten.
Aber da war nur eine Stimme, die eines Mannes. Es klang, als gäbe er Kommandos.
Im nächsten Moment tauchte sie wieder hinter der Rückbank ab, als der Mann hinter den Autos hervorkam und ihre Erinnerung ihr den dazu passenden Hinweis gab. Es war der Mann in dem seltsamen Kapuzenmantel, den sie beim Lindelbrunnen gesehen hatte. Sie wusste nicht genau, warum, aber sie legte keinerlei Wert darauf, von ihm entdeckt zu werden. Ihr Gefühl in dieser Hinsicht war durch den seltsamen Blick, den Rian und David bei ihrer Erzählung getauscht hatten, nur noch verstärkt worden. Es schien, als würden die Geschwister den Mann kennen, und nicht in positiver Weise. Doch sie hatten kein Wort darüber verloren, und Nina hatte es für besser befunden, nicht in sie zu dringen. Jetzt bereute sie es. Der Kerl war sehr groß und breitschultrig.
Der Mann kam näher, und erneut hörte sie seine Stimme. Sie klang kalt und rau, fast wie ein Zischen, und er redete in einer ihr unbekannten Sprache. Als er schließlich direkt hinter ihrem Auto vorbeiging, hörte sie jemanden leise antworten, in hohen, etwas quäkenden Tönen, wie sie sie noch nie von einem Menschen gehört hatte. Der Mann sagte in scharfem Tonfall ein paar Worte, dann schien das Gespräch beendet, und Nina hörte nur noch das Geräusch sich entfernender Schritte.
Sie wagte erneut einen kurzen Blick durch das Rückfenster. Der Mann ging zügig die Auffahrt hinunter und hielt auf den Feldweg Richtung Siegfriedsbrunnen zu. Wer auch immer bei ihm gewesen war, war entweder zurück zum Auto gegangen