Verena Themsen

Elfenzeit 2: Schattendrache


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wo seine Freunde und die Feiernden waren, sondern von vorn. Eisiger Schreck fuhr ihm durch die Glieder.

      Keinen Moment hatte er mehr an den Getreuen gedacht. War er etwa auch hier?

      Unentschlossen stand Pirx geduckt im Schatten. Sollte er erst nachsehen, was sich dort im Wald bewegt hatte, oder lieber zurückgehen und die anderen warnen? Falls es etwas Harmloses gewesen war, würden sie ihn auslachen. Es war besser, erst einmal nachzusehen, als sie vielleicht unnötig zu beunruhigen.

      Leise und vorsichtig bewegte er sich weiter in die Richtung, aus der das Knacken gekommen war. Er glaubte, eine Bewegung zwischen den Bäumen zu sehen, und hielt inne. Im nächsten Moment hörte er den raschen Flügelschlag einer Fledermaus und atmete auf.

      »Vielleicht war das andere auch nur ein Tier«, sagte er leise zu sich selbst. »Ich mache mir ganz unnötig Sorgen.«

      Wieder überlegte er, ob er zurückkehren sollte, doch die Entscheidung wurde ihm abgenommen. Etwas sprang hinter dem nächsten Baum hervor und warf sich auf ihn.

      *

      Nina kauerte sich tiefer hinunter und hoffte, nicht gesehen zu werden. Ein niedriger Busch stand halb zwischen ihr und dem Mann, dessen Umrisse sich ein Stück weiter den Weg entlang gegen den Feuerschein abzeichneten. Wenn er nicht sehr gute Augen hatte, konnte er sie vermutlich nicht unterscheiden, insbesondere da der Lichtschein nicht bis hierher fiel. Sie fragte sich, ob er schon zuvor dort gestanden hatte.

      Obwohl sie gegen das Licht das Gesicht unter der Kapuze nicht erkennen und nicht sicher wissen konnte, wohin er schaute, hatte Nina das Gefühl, dass sein Blick wie ein Suchstrahl alles um ihn herum abtastete.

      Er würde sie entdecken, dessen war sie sich schlagartig sicher. Er würde sie sehen, und das machte ihr Angst.

      In diesem Moment erklang im Wald ein hohes Quietschen, gefolgt von einem seltsam quäkenden Schrei. Der Mann fuhr herum, und in der nächsten Sekunde war er verschwunden.

      Nina atmete erleichtert auf. Zurück zum Auto, dachte sie. Kehr um.

      Doch in diesem Moment hörte sie erneut einen Aufschrei, und dann einen Ruf, der sie zurückhielt. Sie kannte die Stimme, und sie konnte nicht einfach gehen. Es war David gewesen, der dort gerufen hatte.

      *

      Instinktiv hatte Pirx sich zusammengerollt, als der Angreifer sich auf ihn gestürzt hatte. Als spindeldürre Hände in seine aufgestellten Stacheln fuhren, hörte er einen Aufschrei, der ihm nur zu bekannt vorkam. Er rollte sich ein Stück über den Waldboden weg und richtete sich auf. Mit wütend funkelnden Augen musterte er den Kau.

      »Du schon wieder!«, schimpfte er. »Verzieh dich und nimm deinen bösartigen Chef gleich mit!«

      »Kannst du ihm selbst sagen«, antwortete sein Gegenüber, zeichnete mit einem Finger eine glühende Schlinge in die Luft und warf sie dann in Pirx’ Richtung.

      Der Pixie duckte sich nach vorn unter der Schlinge weg und warf sich dem größeren Kau entgegen. Dieser sprang zur Seite, um den Stacheln zu entgehen, hüllte seine Finger in ein schützendes Glimmen und griff dann in seine Richtung.

      Pirx dachte jedoch nicht daran, sich fassen zu lassen. Flink huschte er unter den zupackenden Händen weg und versuchte, hinter ihn zu gelangen.

      Doch sein Gegner schien das beabsichtigte Manöver zu erahnen. Blitzschnell packte er den Pixie.

      In Pirx blitzte das Bild von der Hündin Bella im Zug auf. Er grinste und biss herzhaft zu – ins dürre Bein.

      Der Kau riss mit einem Aufheulen sein Bein hoch, und Pirx flog durch die Luft und wurde direkt ins nächste Gebüsch befördert. Einen Moment blieb er benommen zwischen den Zweigen hängen. Dann sah er, wie eine Gestalt im Kapuzenmantel auf den Kau zueilte, und das brachte ihn schnell wieder zur Besinnung. Er sprang nach hinten und nahm die Beine in die Hand. Von irgendwo vor sich hörte er David rufen: »Grog! Warte!« Im nächsten Augenblick rannte er in den haarigen Grogoch hinein, und beide fielen zu Boden.

      »Der Getreue«, keuchte Pirx aufgeregt, während er sich wieder aufrappelte. »Ich habe ihn gesehen. Und dieses Ekel, der Kau, ist bei ihm.«

      »Zurück zu den Kindern«, knurrte Grog und gab Pirx einen Stoß in die Richtung, aus der er gekommen war.

      In diesem Moment hörten sie einen neuen Schrei, einen hohen und gellenden, der sofort wieder erstarb. Pirx fuhr herum und starrte Grog mit großen Augen an.

      »Banshee«, flüsterte er.

      Grog erwiderte Pirx’ Blick mit einem Ausdruck zwischen Angespanntheit und Trauer.

      »Nein«, flüsterte er. »Das war keine Banshee. Ich weiß, wie die klingen. Das war ein Mensch

      *

      Als Nina David rufen hörte, waren alle Bedenken wieder vergessen. Da war dieser seltsame Mann, der die Geschwister zu verfolgen schien, und irgendwo da vorn war David, der womöglich keine Ahnung hatte, dass er in Gefahr war. Sie durfte nicht zulassen, dass er und Rian dem Fremden ahnungslos in die Arme liefen.

      Sie sprang auf und rannte geduckt den Weg entlang Richtung Fackelschein. Irgendwo von dort war der Ruf gekommen, und da der Kapuzenträger zwischen den Bäumen sicherlich genauso mit der Dunkelheit zu kämpfen hatte wie sie, konnte sie ihn auf dem Pfad vielleicht überholen.

      »David?«, rief sie halblaut, nachdem sie an der Stelle vorbei war, an der zuvor der Mann im Kapuzenmantel gestanden hatte. »David? Rian? Wo seid ihr?«

      Nach zwanzig Metern war sie weit genug den leichten Hang hinauf und um die Ruhehütte herum gekommen, um die Leute zu sehen, die hier feierten. Offensichtlich hatten auch sie die Schreie gehört und daraufhin ihr Ritual unterbrochen. Die beiden, die Nina als das Hohepriesterpaar einschätzte, waren ein paar Schritte vor die anderen in Richtung Wald getreten, und drei weitere hielten je eine von den Gartenfackeln in Händen, mit denen sie den Platz erleuchtet hatten.

      Der Hohepriester, ein bärtiger dunkelhaariger Mann mittleren Alters, hätte unter anderen Umständen wie ein seriöser Bankangestellter gewirkt. Doch in der silberbestickten schwarzen Robe und mit dem Schwert in der Hand, das normalerweise auf dem Altar lag, hatte er eine für Nina verblüffende Ausstrahlung von Macht. Ebenso die eher zierliche blonde Frau neben ihm, deren schwarze Robe blutrot eingefasst war, und in deren Hand ein schwarzer Dolch lag.

      Für den Bruchteil einer Sekunde irritierte Nina die Andersartigkeit dieser Wahrnehmung im Vergleich zu den Ritualen, die sie damals mit ihrem Ex-Freund erlebt hatte. Doch dann kehrten ihre Gedanken wieder zu dem zurück, was sie hierher geführt hatte. Sie sah weder David noch Rian, also mussten sie woanders sein. Sie wandte sich wieder um und ging ein paar Schritte zurück, den Blick auf den Waldrand geheftet.

      »Sie suchen die Zwillinge?«, erklang unvermittelt eine angenehm sonore Stimme hinter ihr. Sie wandte sich um, im Glauben, einer der Esoteriker sei ihr gefolgt.

      »Ja. Wissen Sie vielleicht …« Das Lächeln auf ihrem Gesicht gefror, als ihr Blick auf die hünenhafte dunkle Gestalt fiel.

      »Nein. Aber ich wüsste es allzu gern. Und ich denke, Sie könnten mir bei der Suche nützlich sein.«

      Der Mann trat auf sie zu und packte sie an beiden Oberarmen, ehe sie reagieren konnte. Eine Aura der Kälte hüllte sie ein, und dort, wo er sie berührte, kam es ihr vor, als müsse ihr Blut zu Eis gefrieren. Sie schrie auf, schmerzhaft hoch selbst für ihre eigenen Ohren, und ihr Schrei wollte nicht enden. Er zog sie enger an sich und schloss seine Arme um sie, ohne dass sie sich auch nur mit einem Muskelzucken wehren konnte. Die Kälte kroch durch ihr Fleisch bis auf ihre Knochen, und die Luft in ihren Lungen verwandelte sich zu einem eisigen Hauch, der ihre Atmung erstarren und ihren Schrei ersterben ließ.

      Ihr Blut schien ihr zu stocken, ihr Herzschlag verlangsamte sich, während sie die ganze Zeit hilflos in die Dunkelheit unter der Kapuze starrte. Nur für einen Moment glaubte sie, ein paar Augen hell aufglitzern zu sehen, ehe sie in ein eiskaltes Nichts sank.

      *

      »Grog!