Verena Themsen

Elfenzeit 2: Schattendrache


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einmal großzügig sein. Aber er war ab diesem Tag einsam geblieben, ohne echte Freunde, und selbst die wenigen Elfen, die mit ihm Umgang pflegten, taten dies meist nur widerwillig. Seine besten Freunde waren und blieben seither die Erzeugnisse seiner eigenen Kunst.

      Aber ich werde mich sicher nicht beklagen, dachte Alebin. Nicht nur, dass mir das Schattenland erspart geblieben ist, ich kann aus meiner Position heraus am Besten helfen, unser Volk zu retten. Was dieser Usurpator nicht zu tun gewillt scheint, oder zumindest nicht mit den angemessenen Mitteln betreibt.

      Der Blick des Elfen wanderte über die vor ihm Wartenden hinweg zum Kopfende des Saals. Dort saß Fanmòr in leicht vorgebeugter Haltung auf seinem mit Fellen und Stoffen gepolsterten Thronsessel und hielt Hof. Neben ihm standen seine Berater, und gerade jetzt trat Regiatus vor und reckte sich, um seinem Herrscher etwas ins Ohr zu flüstern. Alebin fragte sich, woher der Cervide die grünen Ranken genommen hatte, die er um sein Geweih gelegt hatte. Kein einziges verfärbtes Blatt war daran. Vermutlich hatte er magische Hilfmittel angewandt, um die Blätter zu färben, oder alle befallenen einfach herausgepickt.

      Neben dem Hirschköpfigen flatterte eine Blumenelfe auf und ab, und Alebin wunderte sich, wie die Umstehenden das permanente Klingeln der über ihr hängenden Glockenblumen ertrugen. Doch weder den Baummann, dessen oberste Kopfzweige schon nahezu die Decken berührten, noch die nur in hauchdünne Gischt gekleidete Flussnixe schien es zu stören. Vielleicht hatte aber auch schon jemand einen Stillezauber über die Blumenelfe verhängt. Es hätte das hektische und zornige Flattern erklärt, und würde zu der vorgetäuschten Sorglosigkeit passen, die hier alle so gekonnt an den Tag legten.

      Niemand schien an das zu denken, was in diesem Moment draußen geschah, an das Altern, das Sterben. Niemand wollte sich mehr des alten Morvidian erinnern, der vor kurzem noch an den Toren des Schlosses als Fels gestanden hatte. Alebin hatte zugesehen, wie er verblasst und schließlich ohne Wiederkehr verweht war. In diesem Moment hatte er begriffen, dass die Dinge zu langsam vorangingen, und dass es seine Pflicht war, sie zu beschleunigen. Er musste seinen Herrscher darauf hinweisen, dass es eine große Macht gab, die er nutzen konnte, um zu verhindern, dass es für allzu viele zu spät wurde.

      Alebin sah wieder zurück zu Fanmór und runzelte die Stirn. Vor kurzem erst hatte der König seine beiden Kinder in die Welt der Sterblichen geschickt, und nun hielt er Hof, als sei nichts Besonderes geschehen. Die anderen Elfen klammerten sich an die Zuversicht ihres Herrschers und zogen es vor, ebenfalls so zu tun, als gäbe es den überall einsetzenden Verfall nicht. Alebin ballte unwillkürlich seine Hand zur Faust, als er daran dachte. Erneut spürte er die brüchigen Blattkanten mit unangenehmer Deutlichkeit in seine Haut schneiden.

      Wie dumm musste man sein, zu glauben, dass zwei Elfen, die zu jung waren, um den Krieg gegen Bandorchu miterlebt zu haben, in der fremden Welt der Sterblichen irgendetwas erreichen konnten? Und wenn sie tausendmal vom herrschaftlichen Blut der Sidhe Crain waren und durch die Umstände ihrer Zwillingsgeburt hervorgehoben – sie hatten weder die notwendige Erfahrung noch genug Macht, um etwas gegen eine Kraft ausrichten zu können, welche die Tore zwischen den Elfenländern verschloss und die Bewohner Crains und der anderen Reiche den Folgen der Zeit und damit dem endgültigen Tod überantwortete.

      Die für den Kampf gegen eine solche Kraft notwendige Macht musste anderswo gesucht werden, dort, wohin Fanmór sie verbannt hatte, damit sie ihm nicht mehr gefährlich werden konnte. Alebin würde dem Herrscher eine letzte Gelegenheit geben, dies einzusehen und das einzig Richtige zu tun.

      Sollte Fanmór dennoch nicht einsehen, was allein das Beste für die Elfen war, dann würde Alebin andere Wege gehen, um dafür zu sorgen, dass die Dinge sich entsprechend entwickelten.

      2.

       Im Reich der Nibelungen

      Hart klang das Klappern von Pferdehufen auf Asphalt von den Wänden der Häuser wider und erzeugte Wellen in den Pfützen am Straßenrand, die das mattweiße Licht der Straßenlaternen zurückwarfen. Hier und da wurde ein Vorhang zurückgezogen, und Kinder in Schlafanzügen drückten ihre neugierigen Gesichter an den Fensterscheiben platt.

      Doch ansonsten zeigte niemand Interesse für das seltsame Reiterpaar, das Einzug in der Stadt der Nibelungen hielt. Die geplagten Hundebesitzer, die trotz der späten Stunde und der nassen Wege ihre Tiere ausführen mussten, hoben kaum den Kopf, und die wenigen Autos, die unterwegs waren, fuhren zügig an ihnen vorbei, um so schnell wie möglich ihre trockenen Garagen zu erreichen.

      Rian sah sich aufmerksam um, musterte die Sandsteinfassaden und Fachwerkhäuser und zog unwillkürlich Vergleiche zu der einzigen Menschenstadt, die sie bisher kennengelernt hatte.

      »Das hier ist so … so völlig anders als Paris«, meinte sie über das Hufklappern hinweg zu David. »So ruhig, verschlafen, keine hohen Gebäude, kaum Beton und Stahl, und fast überall sind hübsche Gärten vor den Häusern.«

      David zuckte die Achseln. »Wir sind gerade mal am Stadtrand angekommen. In den Außenbezirken von Paris gibt es bestimmt auch ein paar Orte wie den hier.« Er machte eine ausholende Bewegung, die den hinter ihm sitzenden Pirx beinahe aus dem Gleichgewicht brachte. Der Pixie wedelte leicht mit den Armen und krallte sich dann mit einem Protestknurren am Gürtel des Elfen fest.

      Rian rümpfte die Nase. »Die meisten Außenbezirke, die ich dort gesehen habe, waren nicht gerade einladend. Kein Vergleich zu dem hier.«

      Grog hinter ihr brummte. »Das hier ist mehr das, was ich kenne, auch wenn sie sogar hier diese stinkenden Vehikel haben. So war es damals, als ich die Menschen besuchte und sie noch mit ehrlichem Holz und Stein bauten anstatt mit Metall und Beton.«

      »Mhm«, machte Rian, ohne den Blick von einem etwas nach hinten gerückten Fachwerkhaus mit Türmchen zu nehmen, an dessen Wänden dunkler Efeu emporrankte.

      David blieb deutlich unbeeindruckter von der Umgebung. Anstatt der Häuser und Gärten musterte er die Schilder und Wegweiser, während die Pferde weiter in gemächlichem Schritt der Straße folgten.

      »Hier steht nirgends etwas von einem Brunnen«, stellte er fest. Dann deutete er auf ein braunes Schild, das eine Querstraße hinunterwies. »Hotel Siegfriedsruh. Da hätten wir zumindest mal Siegfried.«

      Rian hob die Augenbrauen. Dies war der erste Beweis, dass David doch das Lesen erlernt hatte und mitnichten nur die Bilder anschaute. Aber sie zog es vor, nicht weiter darauf einzugehen.

      »Hotel klingt ohnehin nicht schlecht«, sagte sie stattdessen. »Wir sollten die Pferde freilassen. Es ist schon spät, wir können uns genauso gut morgen auf die Suche machen, ausgeruht und frisch.«

      David nickte, und sie lenkten die Pferde mit leichtem Schenkeldruck die Querstraße hinunter. Hier wurde die Bebauung bereits dichter, das Fachwerk seltener, stattdessen überwogen verputzte und teilweise mit Stuck verzierte Häuser in den Fassadenreihen. An einem modernen Haus mit einem verglasten Vorbau prangte ein Schild mit dem Bild eines blondgelockten Kriegers, der auf einem Hügel schlief. Darunter stand in geschwungenen Buchstaben Zur Siegfriedsruh. Rian parierte ihr Pferd und legte den Kopf etwas schräg, während sie das Schild betrachtete.

      »Sieht dir ein wenig ähnlich, bis auf die Locken«, sagte sie. David warf ihr einen verächtlichen Blick zu und stieg ab. Er half Pirx herunter und gab seinem Pferd dann einen leichten Klaps, der es davontraben ließ.

      Rian glitt ebenfalls vom Rücken ihres Fuchses und setzte Grog ab, ehe sie dem Pferd an den Hals klopfte. »Danke, meine Schöne«, flüsterte sie. »Und jetzt geh zurück.«

      Die Fuchsstute schloss mit einem kurzen Galopp zu ihrer Gefährtin auf, und wenig später verschwanden beide Tiere im Trab um eine Häuserecke.

      »Ich hoffe, sie finden den Weg nach Hause«, sagte Rian.

      »Eher als wir«, meinte David mit deutlich hörbarem Sarkasmus.

      Rian warf ihm einen kurzen Blick zu, verzichtete jedoch auf eine Erwiderung und ging stattdessen auf die automatisch aufgleitende Schiebetür in dem Glasvorbau zu. Pirx kletterte auf ihre Schulter, und Grog schloss zu ihr auf. David bildete das Schlusslicht, um das lange Offenstehen der Tür nicht seltsam erscheinen