Andrea Nagele

Du darfst nicht sterben


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dich, mein Schatz.«

      Ich drücke auf den Summer, drehe den Schlüssel und pralle zurück, so heftig drückt er von außen gegen das Holz. Sein Haar ist feucht, und im Bart glitzern Eiskristalle. Er riecht nach Winter.

      Wild presst er mich an sich. Er steckt in einer groben Jacke, deren harte Knöpfe gegen meine Brust drücken.

      »Interessante Aufmachung.« Grinsend hält er mich ein Stück von sich weg. »Hast du dich, seit wir uns zuletzt gesehen haben, in eine Ente verwandelt?«

      Spielerisch wandern die Spitzen seines Zeige- und Mittelfingers über die rote Minnie-Mouse-Figur auf meinem Shirt, umkreisen meine Brustwarze, um danach zur anderen zu wandern. Ich spüre trotz eisiger Umarmung, wie mein Körper auf seine Berührungen reagiert. Sanft streichelt seine Hand mein zerzaustes Haar, versucht, die Strähnen zu glätten. Jetzt erst wird mir bewusst, wie ich aussehe. Die vom Schlaf zerknitterten Wangen, das Shirt, meine wilde Haarpracht und unter meinen Augen die verwischten Reste schwarzer Wimperntusche.

      »Gib mir fünf Minuten«, bitte ich verlegen und gieße ihm in der Küche einen Scotch ein.

      »Für mich bist du nahezu perfekt. Komm her.«

      Er leert das Glas in einem Zug und sieht sich aufmerksam um.

      »Paul, lass dir die Wohnung zeigen, du warst ja noch nie bei mir. Ich bin durcheinander, wenn man mich mitten im Träumen aufweckt. Dann stehe ich völlig neben mir«, brabble ich und lächle ihn dabei an.

      »War’s wenigstens ein schöner Traum?« Wieder zieht er mich an sich. Mit einem heiseren Laut vergräbt er sein Gesicht in meinem Haar und murmelt Unverständliches in mein Ohr.

      Sein Bart kratzt über meine Haut. Dann lässt er mich so plötzlich los, dass ich taumle. Mein Mund wird trocken. Unbeholfen taste ich nach den scharfkantigen Knöpfen seiner Jacke. Er schält sich aus dem rauen Stoff. Wie nebenbei wandert seine Hand unter mein Shirt.

      »Du hast kein Höschen an, schlimmes Mädchen.«

      Ich mache mich los, ziehe ihn hinter mir her ins Schlafzimmer.

      Was, wenn er mich nicht will? Was, wenn das bloß ein Spiel ist?

      Gemeinsam fallen wir auf mein Bett. Dann ist Paul über mir, immer noch bekleidet, und ich bewege mich unter ihm.

      Unentwegt flüstert er meinen Namen und streicht dabei mit gleichmäßigen Bewegungen über meine Haut, bis ich es kaum mehr aushalte. Ungestüm greift er in mein Haar und zieht mich heftig an sich. Sein Kuss gleicht einem Biss, und ich schmecke Blut. Als seine Zunge die Konturen meiner Lippen nachfährt, schmelze ich und vergesse den kurzen Schmerz. Mein Gesicht versinkt in der Wolle seines Pullovers.

      Müde liegen wir nebeneinander. Mein nackter Körper glänzt vor Schweiß. Schwach fällt das Mondlicht durch das geöffnete Fenster.

      Jetzt erst bemerke ich, wie kühl es im Zimmer geworden ist. Zitternd schmiege ich mich an Paul, der immer noch mit Pulli und Jeans bekleidet ist. Schwer atmend legt er seine Hand auf meinen Po und fährt spielerisch mit den Fingern meine Wirbelsäule entlang. Ich hülle mich in die Daunendecke und schlinge ein Bein um Pauls Hüfte. Sein Arm greift über mich, findet sofort, als wäre er schon viele Male hier gewesen, meine Nachttischlampe und knipst sie an.

      Von jäher Helligkeit geblendet, schließe ich die Augen. »Bitte lösche das Licht.«

      Angenehme Dunkelheit umfängt mich. Die wohlige Entspannung kehrt zurück.

      »Und? Hat es sich ausgezahlt, gewartet zu haben?« Ich lächle Paul schläfrig an.

      »Das musst du selbst beurteilen.«

      »Für mich schon. Und für dich?« Ich richte mich ein wenig auf, lehne am Kissen.

      Paul hebt den Kopf, sodass das Mondlicht sein Gesicht umrahmt. Er sieht mich mit einem rätselhaften Ausdruck an. »Vielleicht ist das hier doch ein klein wenig zu schnell gegangen.«

      Es ist, als hätte er mir einen Schlag versetzt. Ich drehe mich weg.

      Er packt mich grob an den Schultern. »Wenn du fragst, musst du auch die Antwort aushalten.«

      Mir ist flau im Magen. Das schöne Gefühl von vorhin hat sich in Luft aufgelöst.

      »Ich möchte verstehen«, sage ich.

      »Lili, wenn du beinahe sofort mit jemandem ins Bett steigst, bist du für alle leicht zu haben. Das wirkt auf mich so, als wäre ich nur einer von vielen.«

      Empört ziehe ich die Luft ein. »Aber du warst es doch, der um Mitternacht vor meiner Tür stand und Sturm geläutet hat.«

      »Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Hältst du mir jetzt auch noch vor, dass ich dich unbedingt sehen wollte?«

      Ich fühle mich, als hätte sich eine Kluft zwischen uns aufgetan. Es dauert lange, bis ich neben ihm einschlafe, und meine Träume sind unruhig.

      Als ich am nächsten Morgen aufwache, hält Paul mich so fest umschlungen, dass mir das Atmen schwerfällt, im Schlafzimmer herrschen arktische Temperaturen.

      Vorsichtig schäle ich mich aus seinen Armen und verschwinde im Bad. Nach einer sehr heißen Dusche fühle ich mich gewappnet, dem Tag zu begegnen.

      Aus dem Bestand meines Kühlschranks bereite ich uns ein Frühstück. Getoastete Roggenbrötchen, Butter, Honig, Marmelade, ein Stück Käse und Eier auf Speck.

      Unruhig setze ich mich und warte. Als Paul schließlich auftaucht, gieße ich Kaffee in die Tassen.

      »Warst du im Supermarkt?«, fragt er.

      »Nicht nötig. Ich kann zaubern.«

      »Das sehe ich.« Er isst gierig, greift dann aber nach meiner Hand. »Sei mir nicht böse wegen gestern. Ich weiß selbst nicht, was manchmal in mich fährt, doch ich kann die Vorstellung nicht ertragen, dass du vor mir schon andere Männer hattest.«

      »Paul«, wehre ich ab, lasse seine Hand dabei aber nicht los, »du tust gerade so, als wären es unendlich viele gewesen. Ich kann dich beruhigen. Außer Harry hatte ich nur zwei kurze Affären.«

      Paul zieht seine Hand so heftig zurück, dass der Kaffee in meinem Becher hochschwappt. »Harry. Der hat mit dir hier gewohnt?«

      »Nein. Ich war bei ihm. Erst nach der Trennung habe ich diese Wohnung gefunden.«

      So schnell sein Zorn hochloderte, so schnell ist er wieder verschwunden. Er steht auf, beugt sich zu mir und küsst meine Stirn. »Willst du meine Antwort immer noch hören?«

      Einen Moment lang überlege ich, was er meint.

      »Ja, es hat sich ausgezahlt, gewartet zu haben«, sagt er ernst.

      Wenn Paul für Überraschungen gut ist, dann bin ich es auch. Ich hatte eine Idee, sie flog mir quasi zu, als ich Neuerscheinungen in die Regalreihen der Bibliothek sortierte.

      Julia hat ihren freien Tag, und die Halbtagskraft, in die sich Julia verguckt hat, arbeitet mit mir.

      Carl ist ein richtiger Nerd. Wenn man ihn fragt, wo etwas abgelegt ist oder wer diesen oder jenen Roman geschrieben hat, verhält er sich wie ein wandelndes Lexikon. Der Computer ist lediglich sein kleiner Assistent, der bestenfalls von ihm lernen darf. Vielleicht ist es das, was Julia so anziehend an ihm findet. Ich kann das bestens nachvollziehen. Paul ist ebenfalls klug, er verfügt über eine Allgemeinbildung, wie sie mir bisher kaum untergekommen ist. Mir scheint, dass er seinen bestens gefüllten Denkspeicher nur kurz streifen muss, und schon spuckt er die abenteuerlichsten Dinge aus.

      »Jahrelanges Training«, erklärte er mir einmal augenzwinkernd und fügte etwas zweideutig hinzu: »Ich für meinen Teil beneide dich um deine impulsive Naivität.«

      »Willst du das Buch klauen?«

      Carl steht neben mir. Jetzt erst wird mir bewusst, dass ich einen der neuen Romane schon minutenlang in den Händen halte und bewegungslos aus dem Fenster sehe. Ich lache und enthalte mich eines Kommentars, denn eben ist mir diese famose